# taz.de -- 50 Jahre Peter Hammer Verlag: Der „kleine Maulwurf“ half | |
> Monika Bilstein leitet den 1966 gegründeten Verlag. Das originär linke | |
> Programm glänzt jetzt auch mit Kinder- und Jugendbüchern. | |
Bild: Mit dem „kleinen Maulwurf“ fing alles an | |
Mühsam ist der Weg durch Baustellen und der schlecht ausgeschilderten | |
Schwebebahn vom Wuppertaler Hauptbahnhof in den Stadtteil Barmen. Am Ende | |
einer weiteren von Baustellen verstellten Straße prangt auf einer Mauer | |
endlich das Schild: Peter Hammer Verlag. | |
Im ausgebauten Souterrain strahlen die Verlagsräume eine angenehme Ruhe | |
aus. Überraschung, es ist auch nicht „Peter Hammer“, sondern Monika | |
Bilstein, die mit einem Lächeln zum Gespräch bei Kaffee und Keksen einlädt. | |
Die Verlagsleiterin hat eine freundliche Ausstrahlung, kurze graue Haare, | |
rote Lippen, sie wirkt konzentriert, sanft und elegant. „Peter Hammer“ | |
steht zu Deutsch für das Pseudonym „Pierre Marteau“. Oppositionelle Autoren | |
und Verleger im Rheinland anonymisierten mit diesem Pseudonym im 17. und | |
18. Jahrhundert gern ihre Schriften. | |
Doch wie politisch ist der 1966 in Anlehnung an diese Tradition gegründete | |
Peter Hammer Verlag heute? An der Wand hängt ein großes gerahmtes Bild, auf | |
dem fünf gezeichnete Mädchen zu sehen sind. Dazu die Schrift: „Viele | |
Mädchen aus dem Haus sähen gern wir Elfen aus“. Die Zeichnung stammt aus | |
dem Bilderbuch „Und außerdem sind die Borsten schön“ von Nadia Budde, mit | |
der Bilstein häufig zusammenarbeitet. Auch die anderen in ihrem Büro | |
aufgestapelten Bücher sehen sehr bunt aus. Bilderbücher sind heute die eine | |
der beiden Herzkammern des Verlags, Politik, Belletristik und Sachbuch die | |
andere. | |
Gegründet vor 50 Jahren – von Hermann Schulz und (dem späteren | |
Bundespräsidenten und SPD-Politiker) Johannes Rau –, hat der unabhängige | |
Verlag sich vor allem durch seine Nicaragua-Solidaritätsarbeit in den | |
siebziger und achtziger Jahren einen Namen gemacht. In linken Haushalten | |
zirkulierten damals Bücher von Gioconda Belli oder Ernesto Cardenal. Das | |
war in der Ära Schulz. In den neunziger Jahren übernahm Bilstein die | |
Geschäfte. Sie verlegt auch heute erzählende Literatur, die sie als | |
politisch versteht, neben Lateinamerikanern vor allem Übersetzungen aus | |
Afrika von Ngugi wa Thiong’o oder Sefi Atta. | |
## Der klassisch linke Polit-Stempel | |
Doch vorab zeigt sie auf zwei Jugendbücher, die von jungen Mädchen handeln. | |
Eines sei eine typische Coming-of-Age-Erzählung, die andere handle von der | |
Flucht aus dem Iran nach Deutschland. Die Sparte Kinder- und Jugendbuch ist | |
ihr heute besonders wichtig. Peter Hammer habe vieles im Programm, sagt | |
sie, auf das der klassische linke Polit-Stempel nicht unbedingt mehr passe. | |
Nicht zum Schaden der gesellschaftspolitischen Relevanz. Die Zeiten ändern | |
sich, und der erhobene Zeigefinger der alten Linken ist von daher auch | |
weitgehend aus dem Feld der Literatur verschwunden. Pädagogik dürfe heute | |
nicht mehr mit vordergründiger Moral erdrücken. Eine Autorin wie Mehrnousch | |
Zaeri-Esfahani mit ihrem Buch „33 Bogen und ein Teehaus“ habe es | |
tatsächlich geschafft, erklärt Bilstein, eine Fluchtgeschichte poetisch und | |
jugendgemäß zu erzählen. Ohne den Ernst dabei zu verlieren. | |
Und „Pssst“, die Graphic Novel von Annette Herzog und Katrine Clante sei | |
sehr poetisch. Sie beschäftige sich in zwölf Tagebuch-Episoden der | |
Hauptfigur Viola mit den großen Frage des Seins. Dabei wandere die | |
Geschichte zwischen naiv-kindlichen und philosophisch klugen Gedanken hin | |
und her, so dass sie ganz bestimmt nicht nur für zwölfjährige Mädchen | |
bestimmt seien. | |
## Alles auf den Kopf gestellt | |
Während Bilstein von den Neuerscheinungen spricht und dabei stolz weitere | |
Bücher zeigt, leuchten ihre Augen. Mit ihrer Begeisterung versprüht die | |
Verlegerin große Zuversicht und Vertrauen in die Qualitäten ihrer Projekte. | |
2001 übernahm sie die Verlagsleitung von Hermann Schulz, eine | |
Umstrukturierung hat aber bereits zuvor stattgefunden. Während einer | |
schweren Krise Ende der Achtziger kam es im Verlag zu einem Umbruch. Alles | |
wurde auf den Kopf gestellt, neue Konzepte mussten her. Vor allem wurde | |
beschlossen, „dass wir hier im Verlag ‚nur‘ noch das veröffentlichen, was | |
wir so wirklich als Kernkompetenz verstehen“. Das habe sie bis heute auch | |
so beibehalten und hält es für den richtigen Weg, sagt Bilstein. | |
Angefangen mit dem „Kleinen Maulwurf, der wissen wollte, wer ihm auf den | |
Kopf gemacht hat“, wurde die Sparte Bilderbuch fortan zur Kernkompetenz | |
gezählt. Diese relativ erfolgreiche Neuausrichtung ermöglicht es dem | |
Verlag, auch weiterhin zumeist schwerer verkäufliche Titel aus Afrika und | |
Lateinamerika zu publizieren. | |
Bei der Programmmischung macht der Verlag im 50. Jahr seines Bestehens | |
einen größeren Eindruck, als er tatsächlich ist. Bilstein arbeitet mit | |
gerade mal drei festen Mitarbeiterinnen zusammen. Das kleine Team kümmert | |
sich um die Kernarbeit und übergibt beispielsweise die | |
Manuskriptbearbeitung oft an freie Lektorinnen. In diesem Jahr, zum | |
Jubiläum, ist der Verlag ziemlich ausgelastet: „Wir haben keine unendlichen | |
Kapazitäten, sind aber offen für spontane und kurzfristige Projekte.“ Für | |
nächstes Frühjahr wurde zum Beispiel kurzfristig ein Band von Rupert | |
Neudeck in die Planung aufgenommen, verkündet Bilstein. „Da lag mir sehr | |
viel daran.“ | |
Als Bilstein im Jahr 1987 beim Verlag anfing, befand er sich in den | |
Ausläufen und Nachwehen der Nicaragua-Solidarität. Die Mischung aus | |
literarischer Verlags- sowie aktivistischer Solidaritätsarbeit machten es | |
Bilstein anfänglich nicht ganz einfach: „Meine Bewerbung als | |
Verlagssekretärin fiel genau in die Zeit, in der der Verlag von der Krise | |
geprägt war, das konnte ich von außen gar nicht einsehen. Ich habe die | |
Stelle bekommen, und obwohl ich Schreibmaschine schreiben konnte, hatte ich | |
gar keine Ahnung, was eine Verlagssekretärin tun muss, aber das ging dann | |
alles sehr schnell. Dadurch, dass der Verlag sich so neu aufstellen musste, | |
bin ich im Nu in alle Arbeitsbereiche gekommen, die wichtig sind.“ | |
## Auszeichnungen für Bilderbücher | |
Bilstein hat in den 30 Jahren bei Peter Hammer viel investiert und wird | |
dafür gerade durch die Erfolge im Bilderbuchsegment bestätigt. Viele ihrer | |
AutorInnen und IllustratorInnen sind mit Preisen ausgezeichnet worden. 2009 | |
erhielt der Verlag für sein engagiertes Programm den Kurt-Wolff-Preis. „Das | |
hat uns gezeigt, dass man den Verlag als Ganzes auch wahrnimmt.“ | |
Immer wieder kommt Bilstein nicht umhin, für die Besucherin weitere Werke | |
aus den Regalen zu ziehen und dazu kleine Anekdoten zu erzählen: Hier die | |
Edition Trickster, die ethnologische Themen behandelt und auch unter | |
Eingeweihten „eher als speziell gilt“. Aber wenn die Reihe einmal nicht | |
erscheint, rebellieren die Fans. | |
Ja, die Tradition. Sie hat manchmal einengende, aber auch ihre guten | |
Seiten. So wenn ihr ein Buchhändler auf der Messe lobend mitteilt: „Wo | |
Peter Hammer draufsteht, ist auch Peter Hammer drin“. | |
Bilstein ist sich der Sympathien gegenüber dem Verlag bewusst, besonders | |
bei den unabhängigen Buchhandlungen. „Wir fühlen uns mit ihnen auf | |
Augenhöhe und ziehen an einem Strang. Und das ist ein tolles Miteinander.“ | |
Doch auch der Peter Hammer Verlag kommt nicht ohne Internet, Amazon und | |
Buchhandelsketten aus, so sehr sie den ideellen Vorstellungen auch | |
widersprechen: „Wir ärgern uns schon sehr häufig, zumal die | |
Geschäftsgepflogenheiten, das Feilschen um Konditionen oftmals grenzwertig | |
sind.“ Aber auch ein Verlag wie Peter Hammer weiß, wie bedeutsam | |
Sichtbarkeit und Umsatz über Amazon sind. „Viele Menschen nutzen Amazon wie | |
eine Bibliografie. Wenn es ein Buch dort nicht gibt, dann gibt es das auch | |
einfach nicht.“ Und kaum ein Autor würde verstehen, so Bilstein, wenn wir | |
sagen, wir arbeiten nicht mit Amazon. | |
Seit 1966 konnte der kleine Peter Hammer Verlag sich seine Unabhängigkeit | |
bewahren. In Nicaragua verkam der Sandinismus mit Ortega an der Macht zu | |
einem schnöden repressiven Herrschaftssystem. Die Bücher undogmatischer und | |
sanfter Rebellen wie die Ernesto Cardenals sind bei Peter Hammer aber | |
weiterhin und oftmals in überarbeiteten Editionen erhältlich. Der Verlag | |
hat sich von einer allzu engen politischen Weltsicht emanzipiert, aber sich | |
dennoch ein eigenes rebellisches und weltoffenes Gesicht bewahrt. Und das | |
soll auch so bleiben, gegen den Trend zu Fusionen und Imprints auf dem | |
Buchmarkt. | |
28 Sep 2016 | |
## AUTOREN | |
Du Pham | |
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