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# taz.de -- Korruptionsbekämpfung in Guatemala: Die Macht der Gerechtigkeit
> Ein UN-Ermittlerteam gegen Korruption zwang bereits Präsidenten, Richter
> und Generäle vor Gericht. In der Bevölkerung genießt es Kultstatus.
Bild: Kämpfer für das Gute: Iván Velásquez Gómez
Guatemala-Stadt taz | Entschlossen stürzt sich der Torero Iván Velásquez
Gómez auf den Stier der Korruption. Er will dem mächtigen Tier den Garaus
machen. Dieses Poster hat bei den Mitarbeitern der UN-Kommission gegen
Straflosigkeit in Guatemala (Cicig) beherztes Lachen ausgelöst: Der
Stierkämpfer mit den strammen Waden und der eher schmächtigen Figur ist ihr
Vorgesetzter.
Seit knapp drei Jahren leitet Vélasquez Gómez die UN-Kommission, die die
Justiz in Guatemala stärken soll. Die Cicig und ihr Leiter genießen in
Guatemala Kultstatus, seit die von ihnen vorgelegten Beweise Anfang
September 2015 zum Rücktritt des damaligen Präsident Otto Pérez Molina
führten. Nun muss sich der Exgeneral in einem der spektakulärsten Prozesse
in der Geschichte Guatemalas vor Gericht für Korruption verantworten.
Nicht nur in Zentral- und Südamerika, auch in Asien werden die von der
Cicig präsentierten Fälle gegen die organisierte Kriminalität genau
beobachtet. Angesichts der Erfolge plädieren soziale Organisationen in
Honduras und El Salvador ebenso wie Politiker in den USA dafür, ähnliche
Kommissionen etwa in Honduras und El Salvador einzurichten.
Vor zwei Jahren sah die Lage noch ganz anders aus. Präsident Otto Pérez
Molina hatte sich Ende 2013 öffentlich gegen eine Erneuerung des
Cicig-Mandats ausgesprochen, im September 2015 wäre somit Schluss gewesen.
Doch Anfang September 2014 präsentierte die Kommission einen Fall, der in
Guatemala für viel Aufsehen sorgte: den Fall Byron Lima. Der ehemalige
Hauptmann der guatemaltekischen Armee war 1998 am Mord an dem Bischof und
Menschenrechtsaktivisten Juan Gerardi beteiligt. Byron Lima wurde zu 30
Jahren Haft verurteilt. Im Gefängnis baute er dann ein einflussreiches
kriminelles Netzwerk auf, dessen Machenschaften die Ermittler um Vélasquez
Gómez aufdeckten.
Dieser Ermittlungserfolg war so etwas wie ein Türöffner und der erste große
Fall der UN-Kommission unter der Regie von Velásquez Gómez. Der Kolumbianer
ist dafür bekannt, mit Fällen erst an die Öffentlichkeit zu gehen, wenn sie
wasserdicht sind. In Bogotá deckte er seinerzeit die Netzwerke zwischen
Paramilitärs und Politik auf. Mehr als sechzig Abgeordnete wanderten ins
Gefängnis.
## Keine politischen Loyalitäten
In Guatemala arbeitet er mit Generalstaatsanwältin Thelma Aldana zusammen.
Die ehemalige Richterin hat bewiesen, dass sie keine politischen
Loyalitäten kennt. Ungewöhnlich in dem von Seilschaften geprägten
Guatemala.
Auch das Korruptionsnetzwerk „La Linéa“, in das der damalige Präsident Ot…
Pérez Molina verstrickt war, wäre ohne die UN-Kommission nicht ans Licht
gekommen. Pérez Molina und Vizepräsidentin Roxana Baldetti hatten Waren en
gros am Zoll vorbei ins Land geleitet und im Gegenzug von den
importierenden Unternehmen Millionenbeträge erhalten.
Kurz vor den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2015 präsentierte die
Kommission ihre Ergebnisse, am 2. September trat Pérez Molina zurück. Die
Ermittler konnten auf Fortschritte im Justizsektor zurückgreifen, die sie
selbst mit initiiert hatten, etwa das Abhören von Telefonaten und die
Verwendung von Gesprächsmitschnitten vor Gericht. „Allein im
La-Línea-Korruptionsfall werteten unsere Ermittlern 90.000 Ton- und 30.000
Schriftdokumente aus“, sagt Kommissionssprecher Arturo Aguilar.
Für derart komplexe Prozesse im öffentlichen Interesse wurden auf
Initiative der Experten drei Gerichte für Kapitaldelikte eingerichtet, die
„Tribunales de Mayor Riesgo“. Dort wurden auch schon der Prozess gegen den
Exdiktator Efraín Ríos Montt oder der erste Vergewaltigungsprozess gegen
guatemaltekische Militärs verhandelt.
Die Existenz dieser Gerichte hat die Justiz des Landes ebenso verändert wie
die Präsenz der UN-Ermittler: „Wenn die UN-Experten in einen Fall
involviert sind, ist die Wahrscheinlichkeit, dass Geld unter dem Tisch
fließt, gleich null“, sagt Orlando López, der leitende Staatsanwalt für
Menschenrechtsdelikte. Mehrere korrupte Richter wurden nach
Cicig-Recherchen festgenommen, das Klima im Land hat sich verändert.
Trotzdem habe die Justiz „mehr politische Unterstützung aus dem Aus- als
aus dem Inland“, urteilt der deutsche Menschenrechtsanwalt Michael Mörth,
der seit zwanzig Jahren in Guatemala arbeitet.
## Die Arbeit soll ausgebaut werden
Den Rücktritt eines Präsidenten wegen Korruption hätte man sich bis zum 2.
September 2015 in Guatemala schlicht nicht vorstellen können – heute sind
die Beweise gegen Pérez Molina so erdrückend, dass Richter Miguel Angel
Gálvez kaum mit dem Sichten der Dokumente hinterherkommt. Mitte Juli
stimmte er zu, die mittlerweile fünf Prozesse gegen das kriminelle Netzwerk
im Präsidentenpalast zu einem Verfahren zusammenzulegen. Es geht um eine
Hafenerweiterung und andere Bauaufträge, die gegen Entgelt vergeben wurden,
und zahlreiche Geschenke; darunter ein Hubschrauber, eine Luxuslimousine
und ein Flugzeug, mit denen Pérez Molina seine Rente aufbessern wollte.
Insgesamt sollen mehr als 60 Millionen Euro geflossen sein.
Die Erfolge der UN-Ermittler in den letzten rund zehn Jahren sprechen für
sich. Und die Arbeit soll noch ausgebaut werden. „Wir wollen die Arbeit
dezentralisieren, einen zweiten Standort in Quetzaltenango aufbauen, um
mehr Präsenz im Inneren des Landes zu zeigen“, sagt Arturo Aguilar.
Quetzaltenango ist die zweitgrößte Stadt Guatemalas, liegt im Norden des
Landes, und die Cicig-Dependance ist bereits eingeweiht worden – dank einer
Millionenspende aus den USA. Das hat Signalcharakter.
Außerhalb von Guatemala-Stadt ist Korruption oft noch viel sichtbarer. In
der Metropole selbst regt sich inzwischen die Zivilgesellschaft. Immer
wieder gibt es Demonstrationen gegen Korruption vor dem Präsidentenpalast,
kommunale Radiosender wie „Radio Urbana“ informieren über die Aktivitäten
der Abgeordneten. Ein Hoffnungsschimmer, für den die Arbeit der Kommission
mitverantwortlich ist. Doch solche Erfolge erfordern Geduld. „Es braucht
Zeit, um ein Team aufzubauen und sich einzuarbeiten, und man braucht
politische Unterstützung“, erklärt Aguilar. Ohne Druck aus den USA hätte
die Cicig kaum weiterrecherchieren können.
5 Sep 2016
## AUTOREN
Knut Henkel
## TAGS
Guatemala
Schwerpunkt Korruption
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Jimmy Morales
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