Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kolumne Immer bereit: Duschplaylist und dumme Fragen
> Ein Besuch in der Mucki-Bude zeigt: Auch Erwachsene können distanzlos
> sein.
Bild: Hart trainieren und nicht quatschen, bitte!
Wir hatten neulich eine Party. Es war sehr schön jewesen. Es gab
Freigetränke und Geschenke und ein bisschen Buffet und am Ende wurde sogar
noch getanzt. Obwohl der DJ uns leider vergessen hatte.
Wir haben einfach mein Handy an die Anlage angeschlossen und zu meiner
Duschplaylist getanzt.
Sie heißt nur Duschplaylist, eigentlich mache ich dazu Sport, aber Duschen
klingt irgendwie cooler. Lässiger. Nicht so neoliberal.
Beim Duschen höre ich gar keine Musik. Da dusche ich, das reicht mir. Da
bin ich beschäftigt genug.
Mittlerweile dusche ich ja fast nur noch beim Sport, also nach dem Sport,
dabei wäre ja albern. Ich schreibe doch immer noch an diesem Roman, und
immer, wenn ich nicht weiterweiß, geh ich zum Sport.
„Mann, bist du fleißig, Lea!“, ruft Angelika vom Empfang, und Susi, die
alles über mich weiß, sagt: „Na, von wegen. Die will doch bloß nicht
arbeiten.“
Neulich stand ich beim Sport mit einer Frau in der Dusche, die hatte ich da
noch nie gesehen, und ich kenne wirklich fast jeden in dem Laden. Sie
lächelte freundlich und ich lächelte auch, wie man das eben so macht, wenn
man nackt mit Fremden in einem Raum ist, und dann trockneten wir uns ab,
also jede sich selber, und da sagt sie zu mir: „Entschuldigung, darf ich
mal fragen, was hast du denn mit deinem Bein gemacht?“
Ich bin ehrlich verblüfft. Ich bin seit zwei Jahren in diesem
Fitnessstudio, ich renne da immer in kurzen Hosen rum, aber die Frage hat
mir da echt noch keiner gestellt. Es interessiert einfach niemanden. Genau
deshalb liebe ich den Laden ja so. Manche sind fett, manche alt, einige
dürr, ein paar tätowiert und manche haben was machen lassen. Und ich
humpele ein bisschen. Na und?
Es gibt schon Leute, die mich auf meine Gehbehinderung angesprochen haben,
aber die kannte ich vorher und hatte ihnen auch sonst schon viel von mir
erzählt. Da war die Frage nach meinen Beinen nur der Bonustrack zur
fertigen Lea-Platte. Ist ja auch okay. Ist schließlich ein Teil von mir.
Aber – und das ist der springende Punkt – das ist mein Körper, das ist
privat, da lasse ich nur ausgewählte Personen ran, denen ich vertraue oder
vertrauen muss, weil sie mich gesund machen.
Aber dass jemand, dem ich vorher noch nie begegnet bin, das sozusagen als
Gesprächseröffnung benutzt, das kannte ich bisher nur von sehr
distanzlosen Kindern.
Noch dazu in der Formulierung. „Was ich denn da gemacht hätte“, also ob es
irgendwie meine Schuld wäre, dass ich so laufe.
„Ich hab nix gemacht“, antwortete ich kurz und stichpunktartig, um ihr
damit die Ungehörigkeit ihrer Frage zu signalisieren. „Is bei der Geburt
passiert, is nich so schlimm, haben voll viele.“
Eigentlich hoffte ich, das Thema damit erledigt zu haben, aber sie war noch
nicht fertig: „Das finde ich ja voll mutig“, sagte sie.
„Was denn?“, fragte ich genervt.
„Na. Dass du dich hier so zeigst. So öffentlich. Mit kurzen Hosen und so.“
Ich suchte vergeblich nach Anzeichen von Ironie in ihrem Gesicht.
Dann nickte ich langsam.
„Ja“, sagte ich. „Ich finde das aber auch beeindruckend, dass Sie sich
trauen, den Mund aufzumachen, so in aller Öffentlichkeit, obwohl Sie so
dumm sind. Ich an Ihrer Stelle hätte da Hemmungen.“
Dann ging ich mich anziehen.
Man muss auch nicht jede Frage beantworten.
4 Sep 2016
## TAGS
Kolumne Immer bereit
Fitnessstudio
Musik
Schweden
Venedig
Kolumne Immer bereit
Fahrrad
Pankow
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kolumne „Immer bereit“: Berlin ist wie eine Zimtschnecke
Besuch ist immer gut. Denn es ist irrsinnig spannend, mit Touristen in
seiner Heimatstadt unterwegs zu sein – weil die Berlin mit anderen Augen
sehen.
Kolumne Immer Bereit: Ameisen in Venedig
Unsere Autorin war in Venedig und ist darüber erschrocken, was ungebremster
Tourismus aus einer Stadt machen kann. Nun sorgt sie sich um Berlin.
Kolumne Immer bereit: Nie wieder weggucken
Berlin ist überall, selbst in der schwedischen Provinz.
Kolumne Immer bereit: Ferien auf dem Fahrradsattel
Radeln ist toll – wenn man mal die Anfangsjahre voller Pannen, Kratzer und
Schadenfreude hinter sich gebracht hat.
Kolumne Immer bereit: Wildes, buntes, blinkendes Pankow
27 Jahre hat es gedauert, bis die Mauer zwischen Pankow und Wedding
bröckelte, mittlerweile dudelt auch Tarkan-Pop auf den Wiesen im
Bürgerpark.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.