# taz.de -- Streit um Straßen-Bemalung: „Das ist Amtsanmaßung“ | |
> Die Anwohner-Ini Lahnstraße hat zur Verkehrsberuhigung eine Kreuzung blau | |
> gefärbt, das Amt hat’s wieder weggefräst: zu Recht, sagt Anwältin | |
> Alexandra Siemering | |
Bild: Der Schrecken aller Autofahrer: eine blaue Straße! Was nun? | |
taz: Frau Siemering, was ist konkret ein gefährlicher Eingriff in den | |
Straßenverkehr? | |
Alexandra Siemering: Beispielsweise Dinge von der Autobahnbrücke schmeißen, | |
Gullydeckel entfernen, gefährliche Hindernisse aufstellen. Das kann sein: | |
Draht über die Fahrbahn spannen, Straßensperren errichten, das Werfen von | |
Holzscheiten. Und auch als Autofahrer kann man selbst gefährlich in den | |
Straßenverkehr eingreifen: etwa durch das Abbremsen, um anderen eine | |
Lektion zu erteilen, oder absichtliches Schneiden. | |
Wir fragen für eine Bürger-Initiative: Ist das Färben einer Kreuzung mit | |
blauer Farbe auch ein gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr? | |
Erst dann, wenn ein objektiver und ein subjektiver Tatbestand | |
zusammenkommen. Der objektive Tatbestand ist eine abstrakte Gefährdung der | |
Sicherheit des Straßenverkehrs. Die ist bei einer blauen Kreuzung durchaus | |
gegeben. Die Motivation der Anwohner war jedoch im Zweifel das Gegenteil: | |
Die Färbung sollte zur Sicherheit beitragen. Die Initiative wollte die | |
Verkehrsteilnehmer an die geltenden Regeln, rechts vor links, erinnern. | |
Damit ist der subjektive Tatbestand womöglich nicht erfüllt. Um gefährlich | |
zu sein, muss der Eingriff zudem mit Schädigungsvorsatz getätigt worden | |
sein. Außerdem muss für den Tatbestand des gefährlichen Eingriffes eine | |
konkrete Gefahr für Verkehrsteilnehmer nachgewiesen sein. Durch | |
Außenstehende müsste etwa ein Unfall oder ein Beinahe-Unfall bezeugt sein, | |
der auf die blaue Kreuzung zurückzuführen ist. Das ist in diesem Fall | |
zweifelhaft. | |
Dann hatte Jens Tittmann, Sprecher des Bausenators, also unrecht, als er | |
die Aktion als „gefährlichen Eingriff“ wertete. War es dann auch | |
unrechtmäßig, sofort alles zu sperren, einzureißen und neu zu asphaltieren? | |
Nein. Dafür gibt es Verwaltungsvorschriften im Bremer Landesgesetz. Um eine | |
drohende Gefahr abzuwenden, kann die Behörde die Maßnahme unter bestimmen | |
Voraussetzungen ohne vorherige Aufforderung an den Störer mit einer | |
sogenannten Ersatzvornahme durchführen. Und dann anschließend die Kosten | |
auf den Verursacher abwälzen. | |
Aber geht von einer blauen Kreuzung eine Gefahr aus? | |
Sie ist eine Irritation. Für den Straßenverkehr gilt das | |
Sichtbarkeitsprinzip: Jeder Verkehrsteilnehmer, der an die Kreuzung kommt, | |
muss mit einem beiläufigen Blick die Verkehrszeichen verstehen können. Wenn | |
ich als Fahrerin in eine verkehrsberuhigte Zone komme und dort ein Schild | |
für Tempo 30 steht, ist mir klar: Hier muss ich mich an rechts vor links | |
halten. Das weiß ich aber nicht deswegen, weil die Straße blau angemalt | |
ist. Diese Markierung ist kein erkennbares Verkehrszeichen. Die STVO regelt | |
genau, was zulässige Verkehrszeichen sind: Blaue Farbe für eine Kreuzung | |
ist da nicht vorgesehen. | |
Aber das ist doch trotzdem nicht gefährlich. | |
Doch: sowohl die blaue Farbe als auch die rote Linie, die wie eine | |
Haltelinie aussieht. Als Verkehrsteilnehmer könnte ich denken, dass ich | |
dort in jedem Fall halten muss. Wenn jemand hinter mir fährt, rechnet der | |
nicht damit, dass ich auch ohne bevorrechtigten Querverkehr halte. Damit | |
besteht die Gefahr eines Auffahrunfalls. Das gefährdet mich, meinen | |
Mitfahrer und den Hintermann. | |
Aber gerade, weil die Situation in der Lahnstraße vorher so gefährlich war, | |
hat die Ini die Kreuzung gefärbt. Hätte man nicht abwarten können und | |
gucken, ob es funktioniert? | |
Nein: Wenn man von der STVO abweichende Zeichen und Markierungen anbringt, | |
entbehren die einer Rechtsgrundlage. Sobald das Amt Kenntnis von einem | |
rechtswidrigen Zustand hat, ist es dazu aufgefordert, ihn zu beheben. | |
Deswegen hat der ASV auch so schnell reagiert. Tut es das nicht, trägt das | |
Amt an einem Unfall im Zweifel Mitschuld. | |
Waren denn der große Aufriss und die Kosten von 8.500 Euro verhältnismäßig? | |
Ob die Kosten gerechtfertigt sind, müsste gegebenenfalls ein Gutachter | |
prüfen und einschätzen. Wenn ich der Adressat dieser Rechnung wäre, würde | |
ich der Zahlungsaufforderung widersprechen und einen Sachverständigen | |
einsetzen. So viel mehr kostet der dann auch wieder nicht. Alle | |
Amtsmaßnahmen müssen erforderlich, geeignet und angemessen sein. Wenn es | |
eine andere Möglichkeit zum Beheben der Markierung gegeben hätte, etwa | |
durch Übergießen, hätte das ASV ein ebenso geeignetes milderes und | |
billigeres Mittel vorziehen müssen. | |
Wäre es besser gewesen, wenn die Anwohnerinitiative Poller oder Kölner | |
Teller angebracht hätte? | |
Kölner Teller gelten nicht als Hindernis. Solange sie ordnungsgemäß und | |
sachgerecht angebracht sind, geht von ihnen keine Gefahr für den | |
Straßenverkehr aus. Aber ohne Befugnis oder Genehmigung geht beides | |
grundsätzlich nicht. Solche eigenmächtigen Handlungen sind immer | |
Amtsanmaßungen. Auch wenn es kein gefährlicher Eingriff ist. Ein Poller | |
stellt grundsätzlich jedoch ein Hindernis dar. | |
Immerhin hat das ASV auf eine Anzeige verzichtet. | |
Amtsanmaßung ist ein Offizialdelikt, eine Strafverfolgung erfolgt nicht auf | |
Antrag. Vermutlich bekommen die Initiatoren also trotzdem bald Post vom | |
Staatsanwalt. Außerdem war das Färben natürlich Sachbeschädigung, also | |
unbefugtes Verändern des Erscheinungsbildes einer fremden Sache. | |
Was ist denn, wenn jetzt an der selben Kreuzung Beinahe-Unfälle oder gar | |
richtige Unfälle passieren, weil eben rechts vor links missachtet wird? | |
Das wäre ein Indiz dafür, dass Maßnahmen erforderlich sind. Das würde aber | |
keinen rechtswidrigen Zustand rechtfertigen, sondern nur einen erhöhten | |
Handlungsbedarf für das Amt bedeuten. | |
28 Jul 2016 | |
## AUTOREN | |
Gareth Joswig | |
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Bremen | |
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