# taz.de -- Die Wahrheit: Schräger Vogel | |
> Hektisch zuckt er mit seinem winzigen Kopf. Er gilt als eitel, dumm und | |
> diebisch. Doch dem ist nicht so. Zur Ehrenrettung des oft geschmähten | |
> Pfaus. | |
Bild: Auch ohne Rad schaut der Pfau recht rund aus dem Federkleid | |
Am 16. August ist Weltpfauentag – Zeit, mit den gröbsten | |
Fehlinformationen, tragischsten Missverständnissen und schlimmsten | |
Vorurteilen gegen das vielgeschmähte Fasanenfedervieh aufzuräumen. Die | |
Wahrheit liefert hier die wichtigsten Argumente, die für den wunderbaren | |
Vogel sprechen. | |
Sie gelten als eitel, dumm und diebisch, zucken immer hektisch mit den | |
winzigen Köpfen herum und nehmen uns die Arbeitsplätze weg: Über Pfauen | |
darf man jederzeit so hämisch herziehen, wie man will – man bekommt stets | |
tosenden Beifall, und zwar von der falschen Seite. Dabei verdankt sich das | |
schlechte Image der „Ratten der Schloss- und Burgparks“, wie sie der | |
Volksmund verächtlich nennt, nur einigen anscheinend unausrottbaren | |
Klischees aus dem finsteren Mittelalter, die jedoch längst widerlegt sind. | |
Aus gutem Grund. Und Gott sei Dank! Pfauen sind nämlich die einzige | |
einheimische Vogelart, die im internationalen Vergleich spielend mithalten | |
kann, zum Beispiel in puncto Glamourfaktor und Eventcharakter. Mit ihrem | |
prächtigen Gefieder und Sinn für Dramaturgie leisten Pfauen einen | |
unverzichtbaren Beitrag zur Standortsicherung und erhalten selbst da Jobs, | |
wo man sie aus eigener Anschauung gar nicht kennt (Duisburg, Pirmasens). | |
Funfact No. 1: Dies gilt übrigens nicht für Pfauenweibchen. Die werden, | |
sobald sie genügend Eier gelegt haben, kurzerhand geschreddert – zu | |
hässlich! | |
## Einfach ganz normale Geilheit | |
Doch auch die männlichen Pfauen sind, obwohl sie jedes Recht dazu hätten, | |
kein Stück eitel, wie es das gängige Vorurteil behauptet. Ganz im | |
Gegenteil: Immer neue Generationen von Zoologen staunen, wie ausnehmend | |
höflich und bescheiden, oft sogar krankhaft zurückhaltend Pfauen in | |
Wirklichkeit sind. Was auf Außenstehende wie pure Eitelkeit wirkt, ist | |
einfach nur ganz normale Geilheit. Mit ihren angeborenen, rein mechanischen | |
Balzritualen versuchen die Pfauenmännchen lediglich, ohne große | |
Leidenschaft und Anstrengung eines der hässlichen Weibchen ins Bett – | |
Fachleute sprechen lieber von „Nest“ – zu kriegen. | |
Wahre Ausnahmeerscheinungen sind Pfauen dafür im Sport. Ihre | |
Paradedisziplin: Radfahren; weil sie sich einfach gern tüchtig abstrampeln, | |
um andere in jeder Hinsicht zu überrunden. Sie führen längst bei der Tour | |
de France mit, und zwar ganz vorne führend, wenn sie nur wüssten, wie genau | |
das mit dem Doping geht. Funfact No. 2: Pfauen haben das Rad zwar nicht | |
erfunden, aber sie schlagen es immer wieder, und zwar in vielerlei | |
Schlachten vernichtend. Na ja, kleine Macke hat jeder! Dafür sind sie eben | |
nicht so gut im Pfauenfußball. Und richtig gut fliegen können sie auch | |
nicht – liebenswert! | |
Apropos fliegen: Das erstaunlichste an Pfauen sind ihre Augen. Wie Biologen | |
inzwischen herausgefunden haben, besitzen sie davon sogar mehr als die | |
tumben Insekten mit ihren vielgerühmten Facetten. Die Forschung dazu steht | |
zwar erst am Anfang, doch es scheint, als könnten Pfauen mit ihren vielen, | |
hochkomplexen Augen Dinge sehen, die wir Menschen nicht sehen, teils auch | |
Sachen, die noch gar nicht passiert sind. Also die schon passiert sind oder | |
soeben passieren, aber vom menschlichen Auge wegen der Trägheit seiner | |
Nervenbahnen noch nicht zum Bewusstsein übermittelt werden können. | |
## Noch immer ist Pfauenfeindlichkeit weit verbreitet | |
Insofern tricksen Pfauen die übliche Zeitverzögerung – die Latenz zwischen | |
Reiz und Reaktion, Kommunikation und Kognition, Wahn und Wirklichkeit – | |
intuitiv aus. Sie springen einfach lustig über die Pforten der Wahrnehmung | |
hinweg! Diese magische Fähigkeit hat ihnen in früheren Zeiten den Ruf | |
eingebracht, mit schwarzen Kräften im Bunde zu stehen. Im späten | |
Mittelalter galten sie deshalb als Hexenwesen, wurden oftmals über offenem | |
Feuer fies verbrannt, brutal zerteilt und widerwillig aufgegessen. Auch | |
wenn diese düstere Epoche gottlob längst vorbei ist: Hier liegt die | |
historische Ursache für die immer noch weitverbreitete Pfauenfeindlichkeit. | |
Zum Glück verschrieb sich seit Anfang des 20. Jahrhunderts eine weltweit | |
agierende Pfauenbewegung dem Kampf um die Pfauenrechte. Ihr ist es zu | |
verdanken, dass es heute an jeder besseren Uni Pfauenbeauftragte gibt, | |
kommunale Arbeitgeber immer öfter Pfauenförderungspläne aufsetzen, große | |
Verlagshäuser erfolgreiche Pfauenzeitschriften herausgeben und Pfauenärzte | |
ein Heidengeld mit der Reparatur abgeknickter Pfauenfedern verdienen. Und | |
auch wenn Pfauenfeinde und Pfauenschänder es nicht gern hören: Selbst das | |
allgemeine Pfauenwahlrecht muss in absehbarer Zeit keine Utopie mehr | |
bleiben. | |
Um die schiere Überlegenheit des wissenschaftlich-kritischen Ansatzes über | |
die schnöde Praxis herauszustreichen, hat Marcel Reich-Ranicki einmal | |
gesagt, Autoren verstünden etwa so viel von Literatur wie Vögel von | |
Ornithologie. Funfact No. 3: Bei Pfauen stimmt das nicht! Sie verstehen | |
sehr viel von Ornithologie, wie renommierte Vogelkundler verblüfft | |
berichten, jedenfalls wenn man langsam spricht und präzise artikuliert. Und | |
das Beste: Sie sind jederzeit bereit, mit uns Menschen darüber in einen | |
Dialog zu treten! | |
16 Aug 2016 | |
## AUTOREN | |
Mark-Stefan Tietze | |
## TAGS | |
Ornithologie | |
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