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# taz.de -- Mecklenburgische Seenplatte: Eine kleine Paddlerwelt
> Mit dem halben Hausstand auf Wanderpaddeltour. Der Erholungswert ist groß
> – egal ob Wind, Sonne oder Regenschauer.
Bild: Paddeln im Faltboot: Auf jeden Fall erholsam
Drei Leute, zwei Faltboote, Zelte, Klamottensäcke, Kocher, Kisten, Krempel
im Auto untergebracht. Ágnes kommt mit, war etwas heikel, nachdem ein
Freund sich gerade beim Paddeln den Arm gebrochen hat – ist noch nie
vorgekommen, meinte die Bootsverleiherin. Glaube ich sofort. Ertrinken,
klar. An der Müritz hören wir immer solche Geschichten, von der Frau im
Campingplatzlädchen (Onkel gekentert, ertrunken), dem Mann an der Fischbude
(Nichte ertrunken). Die Müritz ist tückisch, lautet der Begleitsatz.
Flacher See, plötzliche Böen können das Wasser schnell hochpeitschen.
Plauer See nach Osten bis in die Müritz (größter Binnensee Deutschlands!)
und als Endpunkt vielleicht der Mirower See, stelle ich mir vor. Wenn schon
Mecklenburgische Seenplatte, dann richtig. Der Kanuverleiher mailt, es gebe
schönere Strecken durch kleine Seen und Seerosenkanäle, der Plauer See
könne tückisch sein. Ich verschweige das den Mitpaddelnden. Herausforderung
muss auch mal sein. Wir nehmen Schwimmwesten mit.
Marit und Konrad sind schon auf dem Wald- und Seeblick-Campingplatz bei
Zislow am Plauer See, wo wir einsetzen wollen. Ein Riesending mit Massen
von Campingwagen – on tour oder stationär mit Vorgärtchen und
Sichtschutzhecken. Millionen Euro stehen hier herum. Keine Paddlerwiese,
wir müssen uns mit unseren drei kleinen Zelten zwischen zwei dicken
Wohnwagen niederlassen. Ohne Zweifel eine Missachtung unserer Spezies. Aber
eine gepflegte kleine Promenade mit Strand und einer Schwanenfamilie, die
einiges an Kot hinterlässt, gibt es.
„Ruhig war es bisher“, sagt Margit. Aber die Nacht war nicht ruhig. Eine
Truppe von Wohnwagenleuten hatte ihren Spaß mit viel Alkohol und Musiklärm.
Gegen Mitternacht war es gottlob vorbei, wir haben schon Schlimmeres
erlebt. Die verständnisvollen Leute von der Anmeldung sagen uns morgens,
wir hätten sie anrufen können.
## Flucht vorm Gewitter
Faltboote zusammengebaut, inzwischen haben wir Routine, die Spitzen
vollgestopft, wasserdichte Beutel aufgebunden. Weras „Kolibri“ ist ein
Werftprodukt aus Wismar, in DDR-Zeiten neben Ozeandampfern gebaut, in einem
Packsack zu verstauen; meins ist aus Westdeutschland, drei Packsäcke.
Margit und Konrad haben ein Boot geliehen.
Das Wasser ist klar, der Himmel bewölkt, Regen angesagt. Etwa dreizehn
Kilometer wollten wir am ersten Paddeltag schaffen, östlich in den
Petersdorfer See, hinter Malchow wieder an Land. Ein Gewitter lässt uns ans
Ufer in eine Schilflücke flüchten, rumstehen unter Bäumen mit anderen
Paddlern, spekulieren über die Blitzeinschlagsgefahr.
Nur eine kurze Sonnenpause wird uns am Lenzer Hafen gegönnt, von Südwesten
ziehen schon wieder düstere Wolken auf, wir schaffen gerade noch den
Zeltaufbau auf dem Campingplatz Malchow, immer noch am Plauer See. Auf der
Wiese gibt es zwar auch die unvermeidlichen Wohnwagen, aber Platz genug für
uns, die Atmosphäre ist entspannt. Sieben Kilometer gepaddelt, kein großer
Wurf.
Am zweiten und dritten Tag kein Weiterkommen, der Wind treibt graue Wolken
über den Himmel und wühlt das Wasser auf.
Wir sehen uns in Malchow um, einem dieser aufgehübschten
Ackerbürgerstädtchen, geputzte Klinkersteine, frische Farben, Drehbrücke.
Autos verstopfen die schmalen Straßen jede Stunde, wenn sie geöffnet wird
und der Verkehr erlahmt. Immerhin haben wir den Tourismus, sagen die einen;
eine Qual für die Anwohner die anderen.
Wera und ich holen unser Auto nach und machen eine Tour um den See.
Besonders beeindruckt sind wir von der romanisch-gotisch westfälischen
Hallenkirche St. Marien in Plau mit Ornamentmalerei und Bänken, die den
Handwerkszünften zugeordnet sind, den Tuchmachern, Schlachterfrauen,
Amtsmännern. Die Slawen waren im 12. Jahrhundert von den christlichen
Kolonisatoren als „Heiden“ niedergeworfen worden, westfälische Bauern
wurden angelockt mit dem Versprechen größerer Freiheit und weniger Abgaben.
Die den Ort beherrschende Kirche wurde errichtet als Zeichen des Triumphs
und der Macht der Christen.
## Sommergefühle auf den Campingplätzen
Großereignis abends auf dem Campingplatz in Malchow: „Summerfeeling“ mit
Jugendlichen aus der Umgebung, die auf der Bühne ältere und neue Songs mit
viel Hingabe und Können interpretieren und aufführen. Viel besser als diese
aufgeblasenen Mittelalterspektakel oder Lasershows, die wir schon auf
anderen Plätzen erlebt haben. Kleinkinder stürmen das Podium und tanzen,
Eltern sind entzückt.
Die Wetter-Apps der anderen sagen für den vierten Tag akzeptable
Bedingungen voraus. Unsere Strecke bis in den Kölpinsee ist zu schaffen,
dachten wir. Stattdessen Kampf gegen Wind und Wellen. Als der Segelverein
Malchow zu sehen ist, gibt es kein Halten. Ein netter Flecken am Ortsrand,
die Segler schauen mitleidig auf unsere vollgepackten Boote herab. Der
Hafenmeister weist uns auf dem kleinen Platz ein.
Wir haben keine großen Ziele mehr, fünf Kilometer paddeln wir am nächsten
Tag zum Campingplatz Heidepark Silz. Wieder eine Großanlage für Wohnwagen.
Viel Langeweile und viel Routine bei den Bewohnern, wie es scheint. Wir
fühlen uns als Zelter wie Exoten.
Wettermäßig keine Besserung in Sicht. Wir brechen ab, packen ein.
Wir verlassen diese kleine Welt nahe Berlin. Einige Nischen auf
Campingplätzen wirken wie Beate-Zschäpe-Land, eingeschworene, abgeschottete
Gemeinschaften, Deutschlandfahne, Armeehosen. Andere versuchen sich in
„Glamcamping“, glamourösem Camping mit hochpreisigen Angeboten für die
Mittelschicht aus Berlin-Prenzlauer Berg, um den Kindern die Natur
nahezubringen.
## Ein Land wie Mittelerde
Die „Generalin“ am Gobenowsee hat ihre Gäste im Griff, der „Chef“ von
Himmelpfort bietet Kinderspaß und gehobenere Küche. Die Crew von Mirow
zeigt sich alternativ, große Holzskulpturen stehen am Strand.
Mittelerde, meinte Wera einmal. Paddler begrüßen sich, rufen Ahoi.
Austausch über die Faltboote – ah, mit Motor; oh, ihr habt ein Segel! Auf
Kanutaxis wie von Paddel Paul werden Boote über die Landstraßen zu den
gewünschten Einsatzstellen geschaukelt. Es geht durch Schleusen und über
Umtragestellen von Wasser zu Wasser.
Über den Seen kreisen Milane, Fisch- und Seeadler stoßen ins Wasser für
ihre Beute. Eisvögel huschen über die Schwanenhavel, Kolonien von
Blässhühnern ziehen aus dem Schilf auf den See und wieder zurück, Hunderte
Graugänse fliegen in Keilformation Richtung Südosten. Erholungswert groß,
selbst bei weniger gutem Wetter, Kosten gering.
Die Boote sind wieder im Kleiderschrank untergebracht. Fotos über Dropbox
ausgetauscht, Konrad mailt, war doch ein schöner Urlaub. Nächstes Jahr eine
beschaulichere Gegend, kleinere Seen und Seerosenkanäle und Paddlerwiesen
wünschen sich alle. So soll es sein.
13 Aug 2016
## AUTOREN
Rosemarie Nünning
## TAGS
Paddeln
Mecklenburg-Vorpommern
Reiseland Frankreich
Finnland
Nationalparks
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