# taz.de -- Britischer Spitzel in Deutschland: Die letzte Wahrheit | |
> Ein britischer Undercover-Polizist war jahrelang in der linken Szene | |
> unterwegs. Die Behörden unterstützen die Aufarbeitung des Einsatzes kaum. | |
Bild: Mark Kennedy spähte jahrelang Linke aus | |
BERLIN taz | Es ist ein einsamer Kampf, den Jason Kirkpatrick führt. Aber | |
wenn er Erfolg hat, dann werden sich all die vielen Stunden der Arbeit für | |
ihn gelohnt haben. Vielleicht. | |
Was der 48-jährige US-Amerikaner, der seit 2003 in Deutschland lebt, | |
endlich erfahren will, ist eine einfache Wahrheit: Was wollte der britische | |
Spitzel von ihm, den er für einen Freund hielt, der über Jahre in seiner | |
Wohnung ein- und ausging, bei ihm schlief und der immer wieder die Grenzen | |
anderer auf rechtswidrige Weise überschritt: Polizist Mark Kennedy. | |
Deckname: Mark Stone. | |
Die Geschichte, die mit dessen Namen verbunden ist, weist weit über einen | |
verdeckten Polizeieinsatz hinaus. Denn Mark Kennedy, der als britischer | |
Undercover-Polizist jahrelang in ganz Europa Aktivistinnen und Aktivisten | |
der Umwelt- und Globalisierungsbewegung ausspioniert hatte, steht wie kaum | |
ein zweiter für ein System verdeckter Ermittlungen, das völlig aus den | |
Fugen geriet. Die britischen Beamten, immer wieder auch im | |
grenzüberschreitenden Einsatz unterwegs, verstießen offenbar systematisch | |
gegen Gesetze, begannen Liebespartnerschaften und hatten Sex in dem Milieu, | |
das sie überwachen sollten. Moralisch ein Unding, verboten ohnehin. | |
In Großbritannien, dem Zentrum dieses Skandals der London Metropolitan | |
Police, ermittelt deshalb bereits seit einem Jahr ein | |
Untersuchungsausschuss in der Sache: Arbeitsname „Pitchford Inquiry“, | |
benannt nach dem Sonderermittler Christopher Pitchford. Der Ausschuss hat | |
etliche Zeugen vernommen und Hunderte Aktenseiten erzeugt, denn der Skandal | |
um die verdeckten Ermittler und ihre Liebesbeziehungen hat in | |
Großbritannien längst eine größere Öffentlichkeit erreicht. Knapp 200 | |
Zeugen stehen bislang auf der Liste des Ausschusses. | |
Nur eines ist in all der Zeit, seit Kennedy und seine Kollegen 2010 | |
aufgeflogen sind, nicht möglich gewesen: Dass deutsche Behörden umfassend | |
offenlegen, was hier über ihn und ähnlich gelagerte Fälle bekannt ist. Gäbe | |
es Jason Kirkpatrick nicht, würde wohl auch kaum noch jemand danach fragen. | |
## Anstiftung zu Straftaten | |
Dabei haben Behörden feststellen können, dass Kennedy während seiner | |
Einsätze zwischen 2003 und 2010 nachweislich immer wieder in Deutschland im | |
Einsatz war, sich dabei auch rechtswidrig verhielt. So war er etwa rund um | |
den G-8-Gipfel 2007 in Heiligendamm im Dienst, überwachte hier als Fahrer | |
die logistischen Strukturen der internationalen Protestbewegung. | |
Bekannt ist, dass Kennedy auch in Deutschland Liebesbeziehungen in der | |
Szene unterhielt. Und Kirkpatrick berichtet davon, dass der | |
Undercover-Polizist auch versucht haben soll, ihn selbst zu Straftaten | |
anzustiften – konkret zu einem Überfall auf Neonazis in Deutschland. | |
Und dennoch – oder gerade deshalb? – mangelt es bis heute am | |
Aufklärungswillen der deutschen Behörden. Und das britische Parlament | |
klammert jene Aspekte aus, die außerhalb des eigenen Landes passiert sind. | |
Immerhin dies: Einige Wochen ist es nun her, dass Kirkpatrick, der | |
inzwischen beim britischen Pitchford-Ausschuss als einer der Kernzeugen | |
befragt wird, mit den Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko (Linke) und | |
Christian Ströbele (Grüne) auch das deutsche Innenministerium dazu bewegen | |
konnte, in der Sache tätig zu werden. Ende Mai teilte der Staatssekretär im | |
Bundesinnenministerium, Günter Krings, mit, er habe das britische | |
Heimatschutzministerium darum gebeten, den Auftrag des | |
Untersuchungsausschusses auszuweiten – auf dass dort auch Vorfälle in | |
Deutschland untersucht werden. | |
Was daraus wird? Das bleibt völlig offen. | |
29 Jul 2016 | |
## AUTOREN | |
Martin Kaul | |
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