# taz.de -- Pro & Contra zu Hafenstraßen-Demos: Populismus vor dem Privathaus | |
> Wegen einer Razzia in der Hafenstraße haben Linke vor dem Wohnhaus von | |
> Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) auf St. Pauli protestiert. Ist das | |
> schlechter Stil? | |
Bild: Mit Trillerpfeifen, Töpfen und Tamtam: Bis zu 150 Personen demonstrierte… | |
Ja: Mit Maschinenpistolen und Schneidbrennern bewaffnet, rockern also 300 | |
PolizistInnen in ein Wohnprojekt, um Dealer in flagranti zu verhaften. Sie | |
finden: ein Stromkabel und eine Mehrfachsteckdose. Angesichts der Wucht und | |
Unverhältnismäßigkeit des Einsatzes ist die Wut der BewohnerInnen groß. | |
Seit Anfang Februar häufen sich derartige Polizeirazzien in St. Pauli Süd. | |
Der Zeitpunkt ist pikant: Zwei Wochen vorher ist mit dem SPD-Mann Andy | |
Grote ein St. Paulianer Innensenator geworden. | |
Die Wut über den Großeinsatz entlädt sich schließlich in abendlichen | |
Demonstrationen vor dem Haus, in dem Grote wohnt. „Grote raus aus St. | |
Pauli“ ist da immer wieder zu hören. | |
Solch eine identitäre Parole ist ein Unding. Sie legt nahe, es gebe „wahre | |
St. PaulianerInnen“, die zum Stadtteil dazugehören, und der Rest habe dort | |
nichts verloren. | |
Identitäre Regungen hat es in der linken Kritik an Gentrifizierung und | |
neoliberaler Stadtentwicklung in den vergangenen Jahren immer wieder | |
gegeben. Es ist allerdings nur ein kleiner Schritt zu einem unangenehmen | |
Heimatschutz-Populismus. | |
Populismus zeichnet sich nach Jan-Werner Müller dadurch aus, dass er nicht | |
nur gegen Eliten ist, sondern antipluralistisch. Er konstruiert nach | |
moralischen Kriterien ein homogenes Volk. Wer nicht dazugehört, hat das | |
Recht verwirkt, überhaupt ein politisches Subjekt zu sein. | |
Diese Weltsicht ist leider keine Domäne der Rechten. Auch in der Linken | |
wird sie allmählich hoffähig, wenn etwa die Theoretikerin Chantal Mouffe | |
dezidiert für einen Linkspopulismus wirbt. „Die populistische Dimension der | |
Demokratie, die den Entwurf eines Volkes einfordert, gilt es zu würdigen“, | |
schreibt Mouffe und plädiert für eine „Einheit des progressiven Volkes“ | |
gegen die Eliten. | |
Auf dieses Terrain haben sich die Initiativen im Hamburger Netzwerk Recht | |
auf Stadt, einige davon auf St. Pauli, bisher zu Recht nicht begeben. | |
Stattdessen haben sie das „Recht auf Differenz“ (Henri Lefebvre) | |
hochgehalten. Idiotien wie das Schwaben-Bashing in Berlin Prenzlauer Berg | |
hatten hier bisher keine Chance. „Grote raus aus St. Pauli“ geht nun genau | |
in diese Richtung. | |
Selbstverständlich muss sich der Innensenator Grote zu dem Einsatz | |
erklären. Er hat ihn politisch zu verantworten. Das kann er auch als St. | |
Paulianer tun. | |
Denn St. Pauli ist keine Modellkommune, in der alle das gleiche Weltbild | |
pflegen. Für mich war es immer verdichtete Unterschiedlichkeit im besten | |
Sinne. Das impliziert, dass politische Konflikte ausgetragen werden – aber | |
eben nicht, indem man Leute rausdefiniert und rausschmeißt. Niels Boeing | |
Niels Boeing ist Journalist, Autor und „Recht auf Stadt“-Aktivist. Er lebt | |
in Hamburg-St. Pauli. | |
Nein: | |
Kein Ort ist wie zu Hause, „there’s no place like home“, das hatte Thomas | |
Payne schon ganz zutreffend gedichtet. Und dem ist die Gesetzgebung | |
gefolgt, auch in Deutschland: Das traute Heim als Inbegriff der | |
Privatsphäre „ist unverletzlich“, bestimmt Artikel 13 des Grundgesetzes. Es | |
ist also unfein, als Demo beim Innensenator zu Hause aufzukreuzen und mit | |
Töpfen zu klappern, wie die SympathisantInnen des Wohnprojekts Plan B am | |
Montag, und „Andy Grote raus aus Sankt Pauli“ zu rufen. Denn das hätte dem | |
Innensenator in den Ohren und der Seele weh tun können. | |
Es war jedoch eine verhältnismäßige Reaktion auf einen unverhältnismäßigen | |
Polizeieinsatz. Und eine notwendige, trotz dummer Sprüche. Die jetzt als | |
weltanschauliche Aussagen zu bewerten, mutet wie ein hermeneutischer Exzess | |
an: Demo-Slogans müssen sich skandieren lassen. Wenn sie die Schwelle zur | |
Hassrede nicht überschreiten, ist es so sinnvoll, sie zu problematisieren, | |
wie sich musikwissenschaftliche Gedanken übers Scheppern zu machen: Gab es | |
nicht auch schon per Topfdeckelbeats angeheizte Pogrome? Auf diese Weise | |
kann ein linksfrisiertes Bürgertum noch jeden Protest diskreditieren, der | |
sich ohne den elaborierten Feinsinn akademischer Diskurse artikuliert. | |
Brutale Maßnahmen mit Feinsinn zu beantworten, ist aber wirkungslos. Das | |
zeigt ja der aktuelle Hafenstraßen-Stress: Los ist da so gut wie nichts. | |
Trotzdem erhöht die Polizei die Kontrolldichte – was für Unruhe sorgt. Im | |
Februar stürmt sie wegen angeblicher Gefahr im Verzug eine Wohnung, wo sie | |
Pfefferspray versprüht. Im Mai besorgt sie sich, quasi als Blankovollmacht, | |
eine Genehmigung für die Durchsuchung, die man jetzt, drei Monate später, | |
zückt, um in voller Montur das Haus zu entern. Der Vorwand: Dort würde | |
Drogenhandel betrieben. Im Haus gefunden haben die Cops nichts, im Garten | |
pro Festgenommenen 2,7 Gramm Hasch und 0,27 Kügelchen Koks, da findet man | |
auf den Klos im Polizeipräsidium mehr. | |
Klar, nicht der Senator persönlich ist als schwerbewaffneter Trupp ins | |
Wohnprojekt eingedrungen. Manche munkeln gar, Behörde und der | |
Polizeipräsident betrieben diesen urbanen Kleinkrieg gegen den Willen des | |
Senators. Aber ob er ihn hinnimmt oder selbst forciert – Grote ist | |
persönlich zuständig, und durch sein Amt hat Grote die Macht, den | |
Polizei-Klamauk zu beenden. Und weil der Angriff seiner Truppen direkt auf | |
die Privatsphäre und ihren Schutz zielt, ist es nur angemessen, ihn | |
persönlich zu nehmen. Also die Wut darüber dort zu äußern, wo die | |
Privatsphäre des für die Attacken Verantwortlichen in den Blick gerät – und | |
sie direkt auch anzusprechen. Wut aber wählt ihre Worte nicht mit Bedacht, | |
auch wenn sie berechtigt ist. Benno Schirrmeister | |
Benno Schirrmeister ist taz-Redakteur und liest Comics. | |
26 Jul 2016 | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
Niels Boeing | |
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Demonstrationen | |
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