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# taz.de -- Frauen in Tansania: Mama Milingas Mission
> Medizinische Mängel führen bei Geburten zu Todesfällen oder Verletzungen.
> Theodora Milinga hat es sich zur Aufgabe gemacht, zu helfen.
Bild: Theodora Milinga kümmert sich um diejenigen, die wegen ihrer Erkrankunge…
Daressalam taz | Wären Theresias Eltern doch nur nicht so
traditionsversessen. Und hätte es einen Rettungswagen oder einen Bus
gegeben, der sie rechtzeitig ins Krankenhaus hätte bringen können. Dann
wäre es nicht erst so weit gekommen. So aber lehnt die 17-Jährige schwach,
wenn auch konzentriert zwischen 40 Frauen auf einer der Holzbänke vor ihrer
Pflegerin.
Sie wurde ins Krankenhaus CCBRT hier eingeliefert. Eine Klinik in der
3-Millionen-Einwohner-Stadt Daressalam. Der Innenhof zwischen den
kastenartigen Krankenstationen, in dem die Frauen gerade unterrichtet
werden, ist düster. Der Geruch des Urins beißt in der Nase. Die blaue Farbe
des Nachthemds, das hier alle tragen, ist verblichen. Die Pflegerin trägt
ein grünes bodenlanges Kleid und ein Kopftuch in gleicher Farbe.
Theodora Milinga, eine kräftige Frau, die alle nur Mama Milinga nennen,
runzelt die Stirn und fuchtelt mit ihrem Zeigefinger in der Luft. „Vier
Wochen kein Sex, habt ihr verstanden?“, ruft sie und stolziert dabei vor
den Frauen auf und ab. Es sieht aus, als würde sie tanzen, so geschmeidig
bewegt sie ihre Hüften. „Wenn euer Mann getrunken hat und euch zwingt, dann
flieht zu eurer Mama. Auch wenn ihr denkt, ach, wir schlafen doch nur ein
bisschen miteinander, mit Kondom“.
Theresia hält sich die Hand vor den Mund und kichert. Milinga stemmt ihre
Fäuste in die Hüfte. „Dann werden die Fisteln in eurer Vagina, die wir
geflickt haben, wieder reißen und ihr lasst wieder Tag und Nacht Wasser.“
Viele der Frauen lagen Tage lang in den Wehen, haben versucht, unter
höllischen Schmerzen neues Leben auf die Welt zu pressen. Für die Frauen,
die hier operiert und etwa drei Wochen lang gepflegt werden, wurde die
Geburt ihres Kindes zu einem Todeskampf. Sie haben überlebt – aber sich
katastrophal dabei verletzt. Liegt das Kind quer oder ist es bereits tot,
entstehen dabei häufig Durchgänge zwischen Vagina und Blase. Durch diese
Löcher, Fisteln genannt, läuft der Urin gänzlich unkontrollierbar.
## 8000 Todesfälle pro Jahr
Unter Geburtsfisteln litten bis ins 19. Jahrhundert auch Frauen in den
Industrieländern, bis man herausfand, dass sie sich mit einfachen Mitteln
verhindern lassen: mit Vorsorgeuntersuchungen, mit Kaiserschnitten und
später: mit Ultraschall. In Tansania gebären mehr als die Hälfte der Frauen
ihre Kinder zu Hause. Jedes Jahr sterben dort mindestens 8.000 Frauen bei
der Geburt – und etwa 20-mal mehr entwickeln Inkontinenz nach kritischen
Entbindungen, vor allem auf dem Land.
„Es macht mich traurig, wenn ich daran denke, dass es nicht an den Frauen
liegt“, sagt Mama Milinga. „Das Gesundheitssystem funktioniert hier einfach
nicht.“
Die Krankenschwester und Hebamme arbeitet seit 1990 im CCBRT. 2012
wechselte sie von der Aids- in die Fistelstation, um die sogar die Ärzte im
CCBRT einen Bogen machen, so sehr stinkt es dort nach Urin. Mama Milinga
verbringt dort jeden Tag.
Sie erklärt den Frauen, wie eine Eizelle befruchtet wird, was bei der
Geburt passiert und wie dabei die Fisteln in ihrer Vagina entstanden sind.
Denn viele denken, sie seien verhext worden. Mama Milinga singt mit ihnen,
bringt ihnen Englisch bei und überlegt mit den jungen Frauen, wie sie
selbstständig Geld verdienen könnten.
„Ich will ihnen ein neues Leben schenken“, sagt sie und zieht die
Augenbrauen hoch. „Schlimmer als eine Fistel ist nur der Tod. Frauen, die
ständig Urin lassen, können zwar laufen, aber sie leben nicht mehr.“
## Aus dem Dorf verbannt
In den entlegenen Dörfern Tansanias gilt alles, was aus der Vagina läuft,
als unrein. Demnach sind Frauen während ihrer Menstruation unrein – und
Frauen mit Fisteln sind es immer. Sie nehmen nicht mehr an Hochzeiten oder
Dorffesten teil. Sie gehen nicht mehr in die Schule, nicht mehr auf den
Markt. Sie machen einen Bogen um andere Menschen. Oftmals verstoßen von
ihrem Ehemann und von der Dorfgemeinschaft fristeten viele dieser Frauen
ihr Dasein obdachlos.
Um 12 Uhr gibt es Mittagessen. Theresia rappelt sich als eine der Letzten
auf. Ihr Oberkörper kippt dabei beinahe zur Seite weg, so schwach ist sie.
Sie reiht sich in die Schlange vor einem Caterer auf, der den Frauen
großzügig Reis, Bohnen und Fleisch auf den Teller schaufelt. Mama Milinga
kontrolliert am Rande, dass sie sich zuvor die Hände waschen und sich nicht
bekleckern. „Theresia habe ich selbst in einem Dorf im Norden Tansanias
gefunden“, sagt Theodora Milinga. „Sie war abgemagert, niemand wollte ihr
mehr etwas zu essen geben.“ Theresia habe sich an ihren Rockzipfel gehängt
und sie angefleht, sie mitzunehmen. Aber in diesem Zustand hätte sie
niemand operieren können. Deshalb nahm Mama Milinga sie zunächst mit in ein
näher gelegenes Krankenhaus. Drei Wochen später ließ sie Theresia ins CCBRT
bringen. Seit zwei Monaten wird sie hier aufgepäppelt. Nächste Woche wird
sie operiert.
Theresia ist ganz ins Essen versunken. Als sie aufgegessen hat, wäscht sie
sich die Hände und den Mund und lehnt sich auf die Bank neben Mama Milinga.
Ihr Haar trägt sie nach hinten geflochten, Babyspeck sitzt auf ihren
Wangen.
Theresias Eltern hätten sie nie zur Schule geschickt. „Sie haben mich bei
der Hausarbeit gebracht“, sagt sie. Ihre Stimme klingt dabei dünn. Mit 16
Jahren sei sie beim Wasserholen vergewaltigt worden. Um keinen Schande über
die Familie zu bringen, habe sie aus dem Elternhaus ausziehen müssen. Zum
Glück habe sie der Täter geheiratet. Im Januar sollte sie ihr erstes Kind
gebären. Aber Theresias Körper ist der eines Mädchens, ihr Becken ist
schmal, die Muskulatur schwach. Sosehr sie auch gepresst habe – das Kind
wollte einfach nicht aus ihr heraus.
„Nach zwei Tagen Wehen habe ich meine Eltern angefleht, mich ins
Krankenhaus zu bringen“, sagt Theresia geschwächt. „Aber sie wollten, dass
ich das Kind zu Hause zur Welt bringe.“
Die Hände liegen schlaff in ihrem Schoß. „Als dann ein Fuß aus mir
herausragte und Urin herausfloss, tauschten sie zwei Kühe gegen ein Boot
ein und brachten mich in eine Notstation“, sagt sie und blickt zur Seite.
„Dort stellte der Arzt fest, dass mein Kind schon tot war.“ Sie wurde ins
Bezirkskrankenhaus gekarrt. Dort presste sie den toten Leib aus ihrem
Körper. Theresias Hände zittern, als sie ihr Handy aus der Tasche zieht,
die um ihren Hals hängt. Darauf hat sie ein Foto ihres Kindes gespeichert.
An seinem Hals wachsen zwei Köpfe.
Bei den Frauen, um die sich Mama Milinga kümmert, ist das Schlimmste
bereits eingetreten. Damit Fisteln gar nicht erst entstehen, ist es mit
mehr Notstationen, mehr Ausrüstung und mehr Hebammen aber nicht getan. Die
Frage ist auch, wie die Frauen überhaupt in die Krankenhäuser gelangen. Und
wie man es schafft, dass die Geburt im Krankenhaus zur Gewohnheit wird.
Deshalb arbeitet das CCBRT in entlegenen Dörfern mit Botschaftern zusammen
– Ortsvorstehern und ehemaligen Patientinnen, die von Haustür zu Haustür
gehen, den Leuten den Sinn von Vorsorgeuntersuchungen erklären und die
Frauen unter 20 davor warnen, schwanger zu werden.
## Pro Geburt ein Huhn
Die Region Rufiji ist nur drei Stunden Fahrt von Daressalam entfernt. Aber
man erreicht dort nur wenige Dörfer mit dem Auto auf einer Sandstraße, die
sich durch einen dichten Wald aus Palmen und Papayabäumen windet. Alle paar
Kilometer drängen sich Bretterbuden und Kioske an die Straße. Die Hütten,
in denen die Menschen leben, ducken sich dahinter in das Grün.
Sie sind gebaut aus Zweigen und Lehm. Es knattert, als sich der
Ortsvorsteher, ein CCBRT-Botschafter, auf seinem Motorrad einer der Hütten
nähert – ein sportlicher Mann Anfang dreißig. Im Gegensatz zu den anderen
Menschen hier stecken seine Füße in Schnürschuhen aus Leder. Er setzt sich
auf eine Bank im Schatten.
„Wenn die Wehen bei einer Frau beginnen, fahren wir sie sofort auf dem
Motorrad in die nächste Notstation, etwa 20 Kilometer weiter“, sagt er.
„Aber viele Frauen verstecken sich, weil sie Angst vor einer Operation
haben.“ Sie wollen lieber bei einer traditionellen Geburtshelferin gebären,
einer der älteren Frauen im Dorf. Die hätten zwar nicht einmal keimfreie
Handschuhe, aber die Frauen vertrauten ihnen. „Schließlich haben die
Geburtshelferinnen fast alle Kinder, die in dem Dorf leben, zur Welt
gebracht.“ Sie redeten es den Frauen auch aus, ins Krankenhaus zu gehen.
„Pro Geburt bekommen sie ein Huhn oder ein Schwein“, sagt der
Ortsvorsteher.
Gerade hat er wieder eine Frau mit Geburtsfistel aufgespürt. „Sie hat sich
zu Hause verschanzt“, sagt er. „Viele Leute im Dorf lachen über sie.“ Er
erkläre ihr, warum sie inkontinent sei und dass sie sich dafür nicht zu
schämen brauche. „Aber sie weigert sich, ins CCBRT zu gehen“, sagt er und
zuckt die Schultern.
Theresia hatte Glück. Hätte Mama Milinga sie nicht gefunden, wäre sie wohl
verhungert. In den zwei Monaten, während sie auf ihre Operation wartet, hat
sie angefangen lesen und schreiben zu lernen. Wenn sie geheilt ist, will
Mama Milinga sie ins Mabinti Center schicken – einem Trainingscenter des
CCBRT, in dem zehn Frauen pro Jahr zu Schneiderinnen ausgebildet und mit
einer Maschine in die Selbstständigkeit entlassen werden.
Zurück zu ihrem Ehemann und ihrer Familie will Theresia jedenfalls nicht.
Und ein Kind kriegen? „Vielleicht“, sagt sie, zieht ihr Kinn zur Brust und
lächelt verlegen. „Aber erst, wenn ich 20 Jahre alt bin.“
30 Jul 2016
## AUTOREN
Julia Maria Amberger
## TAGS
Tansania
Geburt
Lesestück Recherche und Reportage
Uganda
sexueller Missbrauch
Tansania
Afrika
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