Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Wiederentdeckung eines Künstlers: Horror in Öl
> Harald Duwe wäre in diesem Jahr 90 Jahre alt geworden. Das Landesmuseum
> Schloss Gottorf würdigt den bedeutenden norddeutschen Künstler mit einer
> großen Ausstellungt.
Bild: Harald Duwe malte auch „An der Elbe“
Zum Strand geht es geradeaus – zur Folter links um die Ecke. Der Weg ist
nicht weit, räumlich nicht, hier im Ausstellungsraum des
Schleswig-Holsteinischen Landesmuseums, und erst recht nicht gedanklich. In
vielen Arbeiten des Malers Harald Duwe schimmert die Gewalt durch, und sie
entlässt dabei niemanden aus der Verantwortung. Nicht die saturierten
Alten, nicht das Paar, das nackt für ein Foto posiert, nicht mal die
Kinder, die sich unter den Augen eines lächelnden Schoko-Osterhasen
prügeln.
90 Jahre alt wäre Harald Duwe, der 1984 bei einem Autounfall starb, in
diesem Jahr geworden. Dass er immer noch erschrecken kann, beweist Schloss
Gottorf mit einer rund 100 Bilder umfassenden Sonderausstellung: ein
Querschnitt durch das Werk des gebürtigen Hamburgers, der später an der
Kieler Muthesius-Kunsthochschule lehrte und in den 60er- bis 80er- Jahren
eine prägende Gestalt der norddeutschen Kunstszene war. Die Schau unter dem
Titel „Heile Welt“ könnte eine Chance sein, hofft Kirsten Baumann,
Kunstdirektorin des Landesmuseums, Duwe wiederzuentdecken: als politischen
Künstler und als hervorragenden Maler.
Unter dem Begriff „Körperstücke“ fasst Kurator Christian Walda die Gemäl…
zusammen, die vermutlich den meisten als „typisch Duwe“ gelten:
überrealistische Gliedmaßen, hängende Brüste, schlappe Penisse,
vorquellende Bäuche – Menschen sind nicht schön bei Duwe, aber stark in
ihrer Präsenz. Die Depression, die Trauer der „Frau auf Plastikstuhl“
drückt sich einzig in ihrer Haltung aus, in der Spannung ihrer von blauen
Adern marmorierten Beine. Oder die Portraitreihe von Hans Ploog, Vater von
Duwes Frau Heilwig Ploog, selbst Malerin: Das erste Bild zeigt den alten
Mann in aufrechter Würde, mit Hut und Mantel zum Aufbruch gerüstet, zwei
Jahre später hockt er rundschultrig im Sessel, die faltigen Oberschenkel
nackt, das weiße Hemd fleckig. Kurz darauf entstand eine Skizze vom
Schwiegervater auf dem Totenbett.
Duwe war ein durchaus erfolgreicher Künstler. Nach Realschulabschluss und
Kunstdruckerlehre wurde der 18-Jährige im August 1944 eingezogen, zum
Fronteinsatz kam es nicht mehr. Direkt nach Kriegsende begann er ein
Kunststudium, zu seinen Kommilitonen gehörten Vicco von Bülow – bekannter
unter dem Alias Loriot –und Horst Jansen. Zum Broterwerb war Duwe, der mit
Frau und drei Kindern in Großensee wohnte, zunächst Lehrer für „räumliches
Darstellen“ an der Ingenieurschule in Hamburg. Daneben malte er, gewann
Stipendien, wurde ausgestellt – auch im Landesmuseum Schloss Gottorf, 1968.
Allerdings blieb seine Bekanntheit regional begrenzt: Vor der Beschäftigung
mit der Ausstellung habe er Duwe kaum gekannt, bekennt sogar Kurator Walda.
Inzwischen schwärmt er Kurator vom vielfältigen Werk, zu dem neben den
„Körperstücken“ auch fast impressionistische Landschaften gehören.
Ein Großteil der nun gezeigten Gemälde und Zeichnungen stammt aus
Familienbesitz, vieles wurde seit Jahren nicht mehr ausgestellt. Johannes
Duwe, einer der Söhne, freut sich über die Würdigung – besonders weil auch
die brutalsten, erschreckendsten Werke nicht fehlen: Sie entstanden
zwischen 1966 und 1969 – großformatige Bilder, die Folteropfer zeigen,
sterbend, mit hervorquellenden Gedärmen, zerschlagenen Gesichtern.
Entstanden sind diese Bilder zu einer Zeit, in der sich die deutsche
Gesellschaft im großen Stil darum bemühte, die Gräuel des Zweiten
Weltkriegs, die Vernichtungslager und den Völkermord zu verdrängen.
Dann gibt es die Bilder, die umso mehr „Heile Welt“ zu spielen scheinen:
„Strand als soziale Bühne“ heißt dieser Teil der Ausstellung. Der Camper
vor seinem Standzelt, an dem die schwarz-rot-goldene Markise flattert,
neben sich der Klapptisch mit Bierdose, Kofferradio und Zeitung, den Arm
auf die Motorhaube eines wuchtigen Autos gelehnt. Einige der Strand-Bilder
wirken heute sogar noch stärker, als Duwe es ahnen konnte: Die „Fördeszene�…
mit Schwimmern, die sich an Gummireifen klammern, erinnert beinahe
automatisch an den Massentod im Mittelmeer. Oder der „Platz an der Sonne“:
ein Kind, zwischen angespültem Müll im Sand liegend.
Und dann ist da das Bild, das beides zusammenbringt, die Gewalt des Krieges
und den Strand: Da schiebt sich wie das Maul eines grimmigen Wals ein
U-Boot über den Sand, Sturmwolken dräuen über den Menschen, die das gar
nicht beachten. Genauso sieht es aus am Strand von Laboe bei Kiel unter dem
aufgebockten U-Boot-Denkmal.
29 Jul 2016
## AUTOREN
Esther Geißlinger
## TAGS
Kunstausstellung
Malerei
Bildende Kunst
## ARTIKEL ZUM THEMA
Über einen zu Unrecht unbekannten Maler: Der Sonnenmaler aus dem Norden
In Skandinavien sind die Bilder von Jens Ferdinand Willumsen Ikonen.
Schloss Gottorf zeigt eine Werkschau des in Deutschland noch unbekannten
Dänen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.