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# taz.de -- Armut in Kuba: Tage, die schwerfallen
> Isora Gómez hat Glück: Als einzige von allen Müllsammlern in La Picadora
> hat sie schon einmal Sandalen in ihrer Größe gefunden.
Bild: Isora Gómez. Ihre Enkelin hat sie begraben, gleich neben ihrem Sohn, am …
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al alemán.
Noch nie hat sie sich so an einem Gegenstand verloren wie jetzt. Isora
Gómez weiß, dass das ein Mobiltelefon ist, sie hat schon mal welche
gesehen. Sie hat auch schon Vorhängeschlösser gesehen, Kämme, Nadeln,
Dosen, Kleiderbügel, Tassen, Kabel, Seile. Aber trotzdem löst dieser
Gegenstand bei ihr keine Erinnerungen aus, oder eine Erinnerung von vor der
Zeit: Nichts.
Isora Gómez steht vor dem Berg mit neuem Müll. Ihr Körper von 62 sieht aus
wie nach 80 Jahren der Erschöpfung. Sie rührt mit einem Stock im Müll, bis
sie etwas sieht, was ihr gefällt. Sie ist eine Frau mit viel Glück. Von
allen, die im Müll herumstochern, ist sie die einzige, die schon einmal
fast neue Sandalen in ihrer Größe gefunden hat. Einmal hat sie eine Uhr
gefunden, einmal eine Puppe in Form einer Ente. Auf der Müllhalde zu leben
heißt auch, in fremder Intimität zu leben.
Die ausgefranste Tasche beherbergt Vulgaritäten: Jene, von denen wir uns
nicht trennen können, die sich parasitär an unser Leben heften, die
erzählen, wer wir sind. Isora hat die Tasche vor Jahren gefunden. Mit ihr
in der Hand ging sie zur Aids-Krankenstation, bevor einer ihrer acht Söhne
starb. Mit ihr in der Hand ging sie durch die Gänge des
Provinzgefängnisses, um ihren jüngsten zu besuchen. In der Tasche sind die
Sandalen, ein Topf, ein Bic-Feuerzeug. Das Mobiltelefon hingegen hält sie
in der Hand, wie einen Fremdkörper aus einer fernen Zivilisation.
Vor zehn Jahren verlegten die Behörden von Caibarién im Zentrum Kubas die
Gemeindemüllhalde aus dem Dorf La Picadora in ein unbewohntes Gebiet. Aber
es war schon zur Gewohnheit geworden, dort Sachen wegzuwerfen, und bis
heute tauchen dort Büromaterialien auf, medizinische oder organische
Abfälle.
Wie Isora haben dort rund 15 andere Famlien ihre Hütten gebaut. Keine
Stadtverwaltung kann über diese kleine Gemeinschaft von Parias präzise
Auskünfte geben. Keiner weiß mehr, ob die Müllhalde oder die Bewohner
zuerst da waren, aber es ist auch egal, beides ist Jauche unter dem
Teppich, die hässliche Postkarte, die niemand ansehen will.
Wie ein schmutziger Vogel stellt sich Isora an die Ecke des Tores. Sie
lehnt sich an die Bretterwand und zündet sich eine Zigarette an. Als ihr
aidskranker Sohn starb, nahm sie sich vor, niemals mit dem Rauchen
aufzuhören, und jetzt krümmt sie sich bei jedem Hustenanfall unter einem
ekelhaften Röcheln.
In ihrer vier-mal-vier-Meter-Hütte, die sie ihr Haus nennt, wohnt sie mit
ihrer Tochter María Luisa und ihrem 14jährigen Enkel. Manchmal gibt es kein
Wasser, sagt sie, manchmal wäscht sie sich tagelang nicht, um das bisschen
Wasser zu nutzen, um den Kindern etwas zu essen zu kochen.
Das Wasser kommt nicht hoch bis La Picadora. Alle drei Tage kommt ein
Tankwagen zur Siedlung. Aber es reicht nicht. Es verschafft nicht einmal
Erleichterung. Seit Dezember 2015 versuchen die Wasserwerke von Caibarién,
die Schäden an den Wasserleitungen zu reparieren.
## Eine bürokratische Endlosschleife
Aber die Arbeiten hängen nicht nur von den Wasserwerken ab, sondern auch
von Ressourcen, Ausrüstung, Arbeitskraft, von der Finanzierung und deren
Genehmigung durch dritte, vierte und fünfte Instanzen. Sich waschen zu
können oder zu kochen hängt an einer bürokratischen Endlosschleife.
Isora hat diese gegerbte Haut, die wie Leder aussieht. Ihre Silhouette hat
nichts menschliches, eher etwas von einem Fabelwesen. Ihr Rücken ist kein
Rücken, sondern ein Buckel. Vielleicht, um die Schmerzen aushalten zu
können, die Tage, die schwerfallen.
Isora sammelt Verluste. Am 31. Oktober 2014 verlor sie eine elf Monate alte
Urenkelin. Sie hat sie dort begraben, gleich neben ihrem aidskranken Sohn,
am Fuße der Müllhalde, da, wo der Friedhof ist.
Der Tod ihrer Lieben ließ sich für sie nie mit der Allegorie der
vollendeten Reise beschreiben. Es reichte, lieber wegzuschauen. Für die
Armen besteht die Traurigkeit aus vielen kleinen Teilen. Ein Verlust
zerfällt in viele kleine Schmerzen. Theoretisch kompensiert der Arme seinen
Schmerz durch den Schmerz, den die Armut selbst schon schafft: Er
entspricht seinem Naturell. Isora leidet so sehr, dass sie es selbst gar
nicht merkt, sie denkt, das Leben sei halt so. Isora wirkt nicht
verbittert. Das Glück kennt seltsame Spielarten.
## Sie muss doch bei ihm sein
Als ihr jüngster Sohn José den Dorfladen in Brand steckte, legte sie sich
an seine Seite und küsste ihn auf die Wange. Der Brandgestank durchschnitt
die Luft. Der Sohn beruhigte seine Mutter, bis ihn die Polizei mitnahm. Bei
José wurde Schizophrenie diagnostiziert. Isora besuchte ihn im Gefängnis,
ihr wohlsortiertes Elend in der Tasche. Sie muss doch bei ihm sein.
Eine Zeitlang konnte sie ihn nicht besuchen, und er versuchte zweimal, sich
die Beine zu amputieren. José braucht sie, sie muss ihm von ihen
Nichtigkeiten erzählen, eine Zigarette anzünden und sehen wie er lächelt
mit seinen braunen Zähnen.
Obwohl Isora Witwe ist, bekommt sie keine Rente. Ihr Wohnraum gehört ihr
nicht, denn das registrieren zu lassen, wäre eine weitere bürokratische
Endlosschleife. Niemand kommt die staubige Schlange hoch, die Hauptstraße
von La Picadora, den Weg zu ihrem Haus. Sie schläft auf Stofffetzen,. Sie
besteht aus Fetzen von anderen.
Ich habe sie gefragt, was sie sich für ihr Leben wünschen würde. „Ein paar
Wasserkanister,“ antwortete sie. Das Glück ist etwas sehr privates.
* * *
Versión original:
## Días a cuesta
En cambio, nunca se había detenido frente a un objeto como lo hace ahora.
Isora Gómez sabe que se trata de un teléfono celular. Los ha visto ya. Ha
visto, también, cerraduras, peines, agujas, latas, aros, tazas, cables,
lazos. Sin embargo, esta imagen no la remite a nada, o la remite a una
amnesia anterior a los signos: Nada.
Isora Gómez está parada junto a la pila de basura nueva. Tiene 80 años de
desgaste sobre un cuerpo de 62. Revuelve con un palo hasta dar con algo que
le guste. Es una mujer con suerte. De todas las que hurgan en la basura
solo ella ha encontrado sandalias de su talla, casi nuevecitas. Una vez
halló un reloj y un muñeco con forma de pato. Vivir en el vertedero es
adentrarse en ajenos vertederos íntimos.
La jaba de mimbre deshilachada tiene la vulgaridad de las cosas comunes:
aquellas de las que no conseguimos deshacernos, las que se adhieren
parasitariamente a la vida, las que revelan eso que somos. Isora encontró
la jaba de mimbre hace años. Con ella entró en el Sanatorio de enfermos de
SIDA, antes que muriera uno de sus ocho hijos. Con ella atravesó las
galerías de la prisión provincial, para ver al menor de todos. En la jaba
acaba de depositar las sandalias, un caldero, una fosforera Bic. El
teléfono celular, en cambio, lo lleva en su mano, como un artículo
extraviado de alguna civilización posterior, como el cristal de Murano
hipersensible.
Hace diez años que la Unidad Presupuestada de Servicios Comunales en
Caibarién (al centro de Cuba) trasladó el vertedero municipal desde la
comunidad La Picadora hasta un área despoblada. Pero arrojar desperdicios
al sitio se hizo hábito y aún aparecen, en los alrededores, accesorios de
oficina, útiles de enfermería, desechos orgánicos. Como Isora, otras quince
familias (aproximadamente) han erigido sus ranchos en la ciudadela. No hay
registro urbano que ofrezca datos precisos sobre esta pequeña sociedad de
parias. Nadie sabe si fue vecindario o basurero inicialmente, aunque da
igual, ambas cosas son estiércol, mugre bajo la alfombra, la postal fea
donde nadie demora la mirada.
Isora se posa, como un pájaro sucio, en la esquina del portón. Se apoya en
la pared de tablas y prende un cigarro. Al morir su hijo seropositivo
decidió, de una buena vez, no dejar jamás de fumar y ahora se quiebra en un
espumarajo hediondo cada vez que tose. En el rancho de cuatro por cuatro
que llama casa vive con su hija María Luisa y su nieto de 14 años. A veces
no hay agua, me dice, a veces uno deja de bañarse en días pa cocinarle el
bocaʼo de comida a los muchachos.
El agua no sube a La Picadora. Cada tres días llevan una pipa al caserío.
Pero no alcanza. Ni siquiera alivia. Desde diciembre de 2015 la Empresa de
Acueducto y Alcantarillado en Caibarién intenta reparar las averías en la
red hidráulica. Las labores de reparación no dependen únicamente de esta
empresa, sino de recursos, equipamiento, fuerza de trabajo, presupuestos y
autorización de terceras, cuartas y enésimas instancias. Bañarse o cocinar
requiere un trámite en caracol, un bucle burocrático infinito.
Isora tiene esa piel fibrosa parecida al cuero. Su silueta no es humana,
pertenece a la fabulación. Su espalda no es espalda, sino lomo. Quizá para
sostener los bloques del dolor, para echarse los días a cuesta. Isora
colecciona pérdidas. El 31 de octubre de 2014 perdió una bisnieta de 11
meses. La enterró allí, junto al hijo seropositivo, a orillas del basurero.
El basurero está allí, a orillas del cementerio. La muerte de los suyos
nunca ha admitido la alegoría del viaje. Bastan dos zancadas. Basta ladear
la mirada. Para los pobres la tristeza es fragmentaria. Una pérdida se
disemina en pequeñas penas. En teoría un pobre compensa su dolor con el
propio dolor que es ya la miseria: su estado natural. Isora sufre tanto que
ni siquiera lo sabe, piensa que la vida es solo eso. No parece, Isora, una
mujer amarga. Extraños modos de la felicidad.
25 Jul 2016
## AUTOREN
Lianet Fleites Claro
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