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# taz.de -- Wechseljahre des Mannes: Die Pharmaindustrie ist begeistert
> Testosteronpräparate werden häufig gegen Altersbeschwerden bei Männern
> verschrieben. Die Arzneimittel haben meist keinen Nutzen.
Bild: Auch der Schwarzmarkt für Testosteron-Präparate boomt
Müde, lustlos, unkonzentriert, gestresst? Dagegen empfiehlt der
Arzneimittelhersteller Bayer älteren Männern Testosteronpräparate. Mit
diesen würde der Hormonspiegel auf Vordermann gebracht, und die schlappen
Männer würden vital, aktiv und ausgeglichen. Dafür hat die Bayer-Tochter
Jenapharm sogar eine eigene Website geschaltet: [1][www.testosteron.de]
sieht zwar auf den ersten Blick wie eine nüchterne Infoseite aus, für die
Initiative unbestechlicher Ärztinnen und Ärzte (Mezis) ist sie jedoch Teil
einer Marketing-Kampagne.
„Bei der Vermarktung von Testosteron wurde für ein bestehendes Medikament
ein neues Krankheitsbild geschaffen – die angeblichen Wechseljahre des
Mannes“, sagt Jan Salzmann von Mezis. Ein klarer Fall von „Disease
Mongering“, wie das Erfinden von Krankheiten, um bestimmte Arzneien
abzusetzen, auch genannt wird.
„Bevorzugte Einsatzgebiete für erfundene Krankheiten sind Tabuzonen der
Gesellschaft“, erklärt Salzmann. Im Falle des alternden Mannes sind es vor
allem Potenzprobleme. „Hier sprechen die Betroffenen nicht gerne darüber
und informieren sich häufig im Internet oder in populärmedizinischen
Zeitschriften.“
Tatsächlich gibt es Anwendungsbereiche für Testosteronpräparate, wo sie
medizinisch indiziert sind. Beim sogenannten primären Hypogonadismus kommt
es zu Störungen in der Testosteronproduktion. Auslöser können erbliche
Krankheiten wie das Klinefelter Syndrom sein, aber auch Hodenkrebs,
Prostatabehandlungen oder Unfälle. Es kommt dann vor allem zu einem Verlust
der Libido, in schweren Fällen zur Impotenz. Auch Osteoporose, schrumpfende
Hoden und zunehmendes Körperfett trotz ausreichender Bewegung kann eine
Folge sein.
Laut der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) sind 3 bis 5
Prozent der über Sechzigjährigen von einem solchen Hormonmangel betroffen.
## Zahl der Verschreiben hat sich verdreifacht
Allerdings wurden in den letzten Jahren Testosteronpräparate immer häufiger
auch älteren Männern verschrieben, die über einen Mangel an psychischer und
physischer Leistungsfähigkeit klagten, aber keine gestörte
Testosteronproduktion hatten. „Man spricht dabei vom sogenannten
Altershypogonadismus“, sagt Robin Haring, Epidemiologe der
Universitätsmedizin Greifswald.
Die Zahl der Verschreibungen hat sich darum in Deutschland verdreifacht. In
den USA ist Testosteron mittlerweile eines der meistverschriebenen
Medikamente. Das Hormonpräparat ist zum Lifestyle-Medikament avanciert. Die
US-Gesundheitsbehörde FDA rechnet, dass bei 80 Prozent der Verschreibungen
die Indikation nicht stimme. In 40 Prozent der Fälle soll nicht einmal der
Testosteronspiegel im Blut gemessen worden sein. Leitlinien besagen jedoch,
dass ein Hormonmangel nur vorliege, wenn wiederholt niedrige Blutwerte
auftreten und die Symptome konsistent sind. Die Verkäufe haben sich in
Übersee zwischen 1980 und 2011 sogar verfünffacht. Die Pharmaindustrie
verdient mit dem Anti-Aging-Medikament heute 1,6 Milliarden US-Dollar, 1980
waren es 18 Millionen Dollar.
Dieser Boom hat verschiedene Gründe: Erstens werden die Menschen immer
älter. Zweitens sind die Hormone als unkomplizierte Pflaster und Gels
erhältlich. Der Hauptgrund ist jedoch das aggressive Marketing. „Wir sehen
in den USA zum Beispiel ganzseitige Werbeanzeigen, die potenzielle Kunden
direkt ansprechen“, sagt Robin Haring.
„In diesem Zuge hat sich der Begriff ‚Low T‘ als Marketingschlagwort
durchgesetzt.“ In Deutschland ist ein solches Direktmarketing zwar nicht
erlaubt – wie der Fall Bayer zeigt, gibt es jedoch auch andere Wege um die
„Wechseljahre des Mannes“ als Krankheit zu etablieren.
## Normale Alterserscheinungen
Das Problem: Viele Symptome des sogenannten Late onset hypogonadism sind
unspezifisch und kommen auch bei anderen Krankheiten vor oder sind normale
Alterserscheinungen. So werden etwa verminderte Vitalität, Schlafstörungen,
Unausgeglichenheit, Schweißausbrüche, depressive Gedanken,
Konzentrationsstörungen, Gewichtszunahme, geringe Muskelmasse,
Libidoverlust oder Erektions- und Potenzstörungen dazu gezählt.
Diese Beschwerden können auch bei normalen Hormonspiegeln auftreten. „Dass
die Kräfte im Laufe des Lebens weniger werden, ist genauso normal wie
seelische und soziale Krisen“, so Salzmann. Ab einem Alter von 40 Jahren
sinken die Testosteronwerte für gewöhnlich um jährlich 1 bis 2 Prozent.
Allerdings kann ein fitter 70-Jähriger höhere Spiegel haben als ein
ausgebrannter 30-jähriger Mann. Neben der Genetik spielen auch Faktoren wie
Übergewicht, Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen eine Rolle. So haben
Männer mit Übergewicht meist einen niedrigeren Testosteronspiegel.
Allerdings führt auch ein niedriger Wert nicht automatisch zu den
Symptomen, die den „Wechseljahren des Mannes“ zugeschrieben werden. „Der
ursächliche Zusammenhang zwischen diesen unspezifischen Beschwerden und dem
Testosteronspiegel fehlt“, sagt Haring. „Was die Altersgruppe 50 plus zum
Arzt treibt, sind vor allem Erektionsstörungen, und die werden durch
verengte Blutgefäße verursacht, nicht durch zu wenig Testosteron.“
## Die Alternative
Daher plädiert der Greifswalder Wissenschaftler auch für einen gesunden
Lebensstil anstatt Hormonpillen, wenn keine echte Störung der
Testosteronproduktion vorliegt. Das heißt: mehr Bewegung, weniger Alkohol,
nicht rauchen, eine ausgewogene Ernährung und ausreichend Schlaf.
Dass das hilft, ist belegt. Der Nutzen von Hormonpräparaten hingegen nicht.
Studien dazu zeigten kein einheitliches Bild. „Es gibt keine Beweise, dass
Testosteronpräparate das Sexualleben verbessern, die Muskelkraft stärken
oder zu einer Abnahme von Knochenbrüchen führen“, sagt Gisela Schott von
der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft.
Die Hormontherapie hat zudem Nebenwirkungen. So wurde in einigen Studien
ein höheres Risiko für Herzkrankheiten, Schlaganfälle, Embolien,
Prostatakrebs und frühzeitigen Tod beobachtet. „Wir warnen davor,
Testosteron kritiklos zu verschreiben, insbesondere ohne Bestimmung des
Hormonspiegels“, sagt Helmut Schatz von der DGE. Die US-Arzneimittelbehörde
FDA hat darum im Jahr 2015 wiederholt klinische Studien angemahnt, um die
Risiken genauer zu beleuchten.
23 Jul 2016
## LINKS
[1] http://www.Testosteron.de
## AUTOREN
Kathrin Burger
## TAGS
Testosteron
Hormone
Pharma
Medikamente
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