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# taz.de -- Erste Volksküche in Berlin: Suppenlina kocht für alle
> Vor 150 Jahren eröffnete Lina Morgenstern die erste Volksküche. Das
> Porträt einer vergessenen Frauenrechtlerin.
Bild: Nicht mehr nur im äh am Kochtopf schmoren: Lina Morgenstern wollte den F…
Bei aller Liebe zum Weibe, das ging nun wirklich zu weit. Die Herren aus
dem Vorstand des Volksküchenvereins waren entrüstet. Hatte sich doch diese
Lina Morgenstern erdreistet, nicht nur in den Töpfen zu rühren, sondern
auch in allem Geschäftlichen mitzumischen. Das geziemte sich für eine Frau
im 19. Jahrhundert nicht. Doch Suppenlina, wie sie auch genannt wird, blieb
resolut – die bockigen Herren wurden durch andere ersetzt. Am 9. Juli 1866,
vor genau 150 Jahren, hat Morgenstern die erste Volksküche eröffnet, um die
Ecke vom heutigen Checkpoint Charlie. Eine revolutionäre Idee, die sich die
Frauenrechtlerin nicht nehmen lassen wollte.
1866 war Lina Morgenstern 36 Jahre alt. Eine fleißige, umtriebige Person
aus einer betuchten Breslauer Fabrikantenfamilie, mit strengem Kragen um
den Hals, über jeden moralischen Zweifel erhaben. Sie hatte schon
Kindergärten nach dem Vorbild Fröbels gegründet, Kinderbücher geschrieben
und eine beachtete Biografie Galileo Galileis. Mit dem Kaufmann Theodor
Morgenstern, ihrem „Gemahl der Wahl“, zog sie 1854 nach Berlin in die
Leipziger Straße. Ihre fünf Kinder waren noch nicht aus dem Gröbsten
heraus, aber draußen drohten ein Krieg und die Verelendung der
Arbeiterklasse. Inspiriert von sozialkritischen Schriften der Bettina von
Arnim krempelte Morgenstern die Ärmel hoch und wollte das tun, was sie
ohnehin bestens konnte: kochen für die hungrigen Massen.
Es ist ja beileibe nicht so, dass vor Morgenstern kein Mensch auf die Idee
gekommen wäre, arme Leute in schlechten Zeiten mit dem Nötigsten zu
versorgen. Man denke nur an die Kirchen mit ihren karitativ-missionarischen
Armenspeisungen. Lina Morgenstern aber ging es um das große Ganze, um
Sozialpolitik. Zum einen fürchtete sie Revolution, wenn die Arbeitermassen
nicht genug in die Mägen bekämen. „Mampf statt Kampf“, könnte man da sag…
## Bloß keine Almosen
Zum anderen wollte sie Frauen von der Doppelbelastung Kinder und Haushalt
wegführen. Genau durchgerechnet hatte Lina Morgenstern, die zeitlebens
Haushaltsbuch führte, auch: Mit Großeinkauf und ehrenamtlichen Köchinnen
ließen sich erschwingliche Preise realisieren. Almosen sollten die Speisung
nämlich nicht sein, das wäre fatal für das Selbstwertgefühl der Beköstigten
gewesen. Wenige kochen ohne Gewinnabsicht für viele: Lina Morgensterns
Idee der Volksküche war geboren, sie gründete den Volksküchenverein.
Vielmehr: Sie ließ gründen. Von besagten bockigen Herren, denn Frauen
durften das damals noch nicht.
Am 9. Juli war es so weit: Lina Morgenstern und zwanzig weitere
„Ehrendamen“ standen an den Kochtöpfen und verteilten 180 Quarts Essen, ein
Quart etwas mehr als ein Liter, zu je 1,5 bis 2 Silbergroschen. Später
wurden es deutlich mehr Portionen. Es gab Buchweizengrütze, Hirse,
Kartoffeln. Dreimal die Woche Schweinebraten, Gulasch oder Kuheuter. Auch
mal Klops. Weitere Volksküchen folgten und wurden für viele Jahre zur
Institution in Berlin. Morgenstern bewies: Ein Team von vier bis zwölf
Personen kann die Arbeit von bis zu tausend Hausfrauen aufwiegen. Da kommt
man heute noch ins Staunen.
Da, wo vor 150 Jahren Morgensterns erste Volksküche entstand, ist
inzwischen übrigens die Agentur für Arbeit Berlin-Mitte. Gegenüber stand
lange Zeit ein Imbisswagen. Die Currywurst hat da 1,80 Euro gekostet, mit
Pommes 2,50. Ungefähr so viel muss man auch für ein Essen in der VoKü, der
Volksküche im linksalternativen Kontext, berappen. Im Morgenstern’schen
Sinne wird auch hier mit politischem Anspruch von wenigen für viele
gekocht. Und leckerer als Currywurst ist es allemal. Aber das ist eine
andere Geschichte.
10 Jul 2016
## AUTOREN
Manuela Heim
## TAGS
Berliner Tafel
Feminismus
Bio-Lebensmittel
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