# taz.de -- 100 Tage neue Regierung in Birma: „Signale des Friedens an das Mi… | |
> Nach dem politischen Wechsel spricht Gregory Kehailia von einer | |
> Bilderbuch-Transition. Doch kein Übergang verläuft ganz ohne Probleme. | |
Bild: Die Repräsentantin des Übergangs, Aung San Suu Kyi | |
taz: Herr Kehailia, in Birma hört man erste Klagen über die Nationale Liga | |
für Demokratie (NLD) von Aung San Suu Kyi. Alles sei immer noch so wie | |
früher. Wie sehen Sie das? | |
Gregory Kehailia: Was kann eine Regierung innerhalb von hundert Tagen schon | |
groß verändern? Die Erwartungen an die NLD als erste zivile Regierung nach | |
der Transition waren gigantisch hoch. Enttäuschung war vorprogrammiert. | |
Fest steht: Die Regierung hat den Regimewechsel bisher sehr umsichtig | |
gesteuert. | |
Welche Herausforderungen warten auf die NLD? | |
Eine Friedenskonferenz soll demnächst helfen, den Bürgerkrieg zu beenden. | |
Das Verhältnis zwischen Militär, Regierung und Bürgern muss sich ebenso wie | |
die Wirtschaft entwickeln und der Lebensstandard steigen. Die NLD muss auch | |
die nächsten Wahlen im Blick behalten. Die zweiten Wahlen nach einer | |
Transition sind immer besonders riskant, weil man es in der Regel mit einer | |
enttäuschten Wählerschaft zu tun hat. | |
Zwischen den Wahlen im November und dem Amtsantritt von | |
Stellvertreter-Präsident Htin Kyaw lagen fünf Monate, in denen die Partei | |
sich scheinbar nur damit beschäftigte, die Verfassung zu ändern, um eine | |
Präsidentin Suu Kyi möglich zu machen. Hätte die NLD die Zeit nicht besser | |
nutzen müssen? | |
Das Volk wollte eine Präsidentin Suu Kyi. Insofern finde ich die Bemühungen | |
der NLD verständlich. | |
Gleichzeitig wird der Partei vorgeworfen, sie habe kein Programm. | |
Wir müssen immer im Blick behalten, dass es sich um eine Transitionswahl | |
handelt. Es ging meiner Meinung nach nicht darum, über ein Programm, | |
sondern über einen Regimewechsel abzustimmen. Das Manifest war vielleicht | |
dürftig, aber immerhin gab es überhaupt eins. Verglichen mit anderen | |
Parteien in Transitionsländern, die ich kennengelernt habe, war die NLD gut | |
aufgestellt. Statt zu kritisieren, sollten wir uns darauf konzentrieren, | |
den Bürgern beizubringen, Programmatik und Repräsentation für die nächsten | |
Wahlen selbst einzufordern. | |
Die NLD will die Versöhnung mit dem Militär. Wie sinnvoll ist es für die | |
Nachhaltigkeit einer jungen Demokratie, die Verbrechen der Vergangenheit | |
unter den Teppich zu kehren? | |
Das ist eine Frage, die Birma ohne Einfluss aus dem Ausland beantworten | |
muss. Wer sich mit Transitionen beschäftigt, weiß, dass sich die Lage über | |
Nacht drehen kann. Ich sehe insofern keine andere Wahl, als Signale des | |
Friedens an das Militär zu senden. Aber die Gefahr, dass dabei langfristig | |
die Glaubwürdigkeit des Übergangs beschädigt wird, besteht natürlich. Dass | |
Dinge unter den Teppich gekehrt werden, heißt übrigens nicht, dass sich | |
keiner mit ihnen auseinandersetzt. Ein burmesisches Sprichwort sagt: Mach | |
große Probleme klein und lasse kleine Probleme verschwinden. Ich erkenne | |
diese Devise in der Politik hier sehr oft. | |
Die Reformen in Birma wurde vom alten Regime eingeleitet. Wie | |
außergewöhnlich ist ein solcher Top-down-Ansatz? | |
Sicher haben letztlich die Generäle den Weg zur Demokratie eingeleitet. | |
Diese Sichtweise wird aber dem unermüdlichen Einsatz der birmesischen | |
Zivilgesellschaft nicht gerecht, ohne den es nie so weit gekommen wäre. | |
Außergewöhnlich für mich ist, dass viele Mitglieder des alten Regimes auf | |
der Seite der Guten in die Geschichte eingehen wollen. Auch wenn es noch | |
viel Arbeit gibt: Wir haben es bislang mit einer Bilderbuch-Transition zu | |
tun. | |
Ist das nicht ein bisschen zu positiv? Noch immer werden Journalisten und | |
Aktivisten eingesperrt, weil unter anderem der Polizeiapparat dem Militär | |
untersteht. | |
Diejenigen, die eine tadellose Demokratie erwarten, erkennen nicht an, dass | |
wir es in Birma mit einer Transition nach einem halben Jahrhundert | |
Militärherrschaft zu tun haben. Nicht alles kann von einem Tag auf den | |
anderen in Ordnung sein. Deshalb müssen wir umso wachsamer sein. Übrigens | |
auch im Hinblick auf die Rechenschaft der NLD. Ist die Regierung aufrichtig | |
demokratisch? Es ist zu früh, das zu sagen. Aber es wäre nicht das erste | |
Mal, dass wir von einem Regimewechsel enttäuscht sind. Wir müssen abwarten. | |
Abgeordnete sollen sich nicht ohne Zustimmung des NLD-Zentralkomitees | |
öffentlich äußern. Wird Suu Kyi zu Recht Autoritarismus vorgeworfen? | |
Minderheiten und Gender spielten kaum eine Rolle bei der Bildung des | |
Kabinetts, Medien erhalten keinen Zugang zu Informationen – ich weiß. Es | |
gibt vieles zu monieren. Innere Parteiangelegenheiten im Griff haben zu | |
wollen, ist für eine Partei, die fast drei Jahrzehnte lang unterdrückt | |
wurde, nicht ungewöhnlich und sogar ein bisschen verständlich. Um aber mit | |
der Demokratisierung Myanmars Schritt zu halten, muss sich die politische | |
Kultur innerhalb der NLD definitiv verändern. Ich frage mich übrigens | |
manchmal, ob Suu Kyi genauso kritisiert werden würde, wenn sie ein Mann | |
wäre. | |
8 Jul 2016 | |
## AUTOREN | |
Verena Hölzl | |
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