# taz.de -- Kampf um den Erhalt von Freiräumen: Morbide Anziehungskraft | |
> Andrea Farkasch hat den Görlitzer Park in Berlin durch sämtliche Phasen | |
> begleitet. Jetzt bietet sie in ihrer Freizeit Führungen an. | |
Bild: Generell gibt es im Park weniger Gebüsch, dafür umso mehr kahle Erdflä… | |
Der Himmel ist grau, es ist ein bisschen kühl. Es ist ungewöhnlich wenig | |
los heute im Görlitzer Park. Hin und wieder einige wenige Menschen, die | |
ihre Hunde ausführen, noch nicht mal Dealer sind zu sehen. Andrea Farkasch | |
lebt seit den 1980er Jahren in Kreuzberg und hat den „Görli“ durch | |
sämtliche Höhen und Tiefen begleitet. Dort, wo heute Menschen flanieren, | |
grillen oder Sport treiben, diente das Gelände seit der Schließung des | |
Görlitzer Bahnhofs Ende der Achtziger für zahlreiche Zwischennutzungen. Auf | |
dem heutigen Parkgelände wurde gewohnt, gespielt, Sport getrieben – leider | |
wurde ein Großteil des Geländes aber vor allem als Müllhalde genutzt, auch | |
eine Schrottpresse siedelte sich zeitweilig auf dem Gelände an. | |
Die Flora und Fauna des „Görli“ hat schon viel Leid hinter sich: „Das | |
meiste Geld, das für den Ausbau des Parks zur Verfügung gestellt wurde, | |
ging dafür drauf, Umweltschäden abzuwenden und das gesamte Gelände zu | |
entgiften“, erinnert sich unser Tour-Guide. Heute befindet sich hier der | |
„Japanische Garten“ im hinteren Teil des Parks. Betonierte Wege schlängeln | |
sich um einen Tümpel und um etwas, das entfernt an einen Bachlauf erinnert. | |
„Das ist der schönste Teil des Parks“, schwärmt Andrea. Die Bemerkung ein… | |
Teilnehmers, er würde niemandem raten, sich hier allein aufzuhalten, da | |
hier aufgrund der abgelegenen und dazu noch von Mauern umgebenen Lage schon | |
diverse Überfälle und Vergewaltigungen stattgefunden hätten, relativiert | |
diesen Eindruck dann jedoch sehr drastisch. | |
Wir gehen weiter zu einer für den Park sehr markanten Stelle: der riesigen | |
Kuhle mitten im Zentrum. Hier erstreckte sich bis zum Ende der 1980er Jahre | |
die legendäre „Harnröhre“, ein 170 Meter langer Fußgängertunnel, der die | |
Wiener Straße mit der Görlitzer Straße verband. Der Spitzname des Tunnels | |
kam nicht von ungefähr: „Der Gestank dort drinnen war so erbärmlich, es war | |
kaum auszuhalten“, erzählt eine Teilnehmerin, „wenn es mal nicht anders | |
ging und ich den Tunnel benutzen musste, habe ich mir immer jemanden | |
mitgenommen. Allein war es zu gefährlich.“ Auf die Bemerkung Farkaschs hin, | |
die Kuhle würde jetzt von vielen Menschen angenommen, um den | |
Sonnenuntergang zu genießen, folgt erneut ein Dämpfer seitens der | |
BesucherInnen: „Es ist total übernutzt hier. Überall liegt Müll, hier wird | |
so viel gegrillt, da kriegste ne Rauchvergiftung“, bemerkt ein Teilnehmer | |
nüchtern. | |
Generell gibt es im Park weniger Gebüsch, dafür umso mehr kahle Erdflächen. | |
„Das ist Teil einer Strategie des Innensenators. Er ließ viele Sträucher | |
beseitigen, um den Dealern ihre Verstecke zu nehmen“, erzählt Farkasch. | |
Dealen war ein Aspekt, den fast alle Teilnehmenden direkt mit dem Görli in | |
Verbindung brachten: „Du musst an einigen Eingängen durch ein richtiges | |
Spalier gehen“, erzählt eine Frau. Das kann Farkasch nur bestätigen: „Ja, | |
hier wird schon viel gedealt. Viele der Menschen, die hierher geflohen | |
sind, bezahlen ihre Fluchtroute auf diese Art und Weise ab“, klärt sie uns | |
auf. | |
## Der Verfall und die Kunstszene | |
Neben all den traurigen, zuweilen auch abstoßend wirkenden Aspekten des | |
Parks hat er in seiner Morbidität dennoch Zeit seines Bestehens | |
Anziehungskraft vor allem auf Kunstschaffende ausgeübt. Auf unserem Weg | |
treffen wir immer wieder – neben Ruinenbruchstücken – auf in die Luft | |
ragende Stahlgebilde, merkwürdige, in den Boden eingelassene Falltüren und | |
etwas verloren und merkwürdig erscheinende Eisenstangen. Andrea klärt die | |
Gruppe auf, dass dies allesamt einmal Kunstwerke waren, die eigens für den | |
Park entworfen wurden. | |
Der Park scheint zudem eine inspirierende Wirkung als Drehort zu haben. Ein | |
Teilnehmer erinnert sich, dass hier mal ein Horrorfilm gedreht wurde – und | |
zwar ausgerechnet im Kinderbauernhof: „In den 70er Jahren haben wir hier | |
mal einen Horrorfilm gedreht. Der Film spielte in so einem Hardcore-Ashram | |
in Indien, das war dieses Haus.“ | |
Andrea Farkasch hat den Görlitzer Park trotz – oder vielmehr gerade wegen – | |
seiner von Verfall zeugenden Züge fest ins Herz geschlossen, das ist die | |
ganze Tour hindurch deutlich spürbar. Auf die Frage hin, warum sie in ihrer | |
Freizeit Gruppen durch den Park führt, erklärt sie ihre Hoffnung: „Es tut | |
mir im Herzen weh, wenn ich sehe, wie der Park an einigen Stellen verkommt | |
und wie respektlos sich manche Leute hier verhalten. Aber je mehr Menschen | |
wissen, was für ein harter Kampf es war, dass dieser Park überhaupt | |
entstehen konnte, desto mehr schätzen sie ihn auch wert.“ | |
Die Instandhaltung des Parks ist ihr ein großes Anliegen: „Hier in der | |
Gegend gibt es ohnehin schon viel zu wenig Grünflächen für viel zu viele | |
Menschen. Freiräume, wie der Görli sie bietet, sind hier dringend | |
erforderlich.“ Im Rückblick auf ihre Vergangenheit in der Hausbesetzerszene | |
hat sie eine Gewissheit: „Alle Menschen können es schaffen, ihre Interessen | |
durchzusetzen. Sie müssen sich nur zusammenschließen.“ | |
24 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Annika Glunz | |
## TAGS | |
Görlitzer Park | |
Kunst Berlin | |
Berlin-Kreuzberg | |
Görlitzer Park | |
Mietenbewegung | |
Görlitzer Park | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Zukunft des Görlitzer Parks in Berlin: Kommt Zeit, kommt Rat | |
Ein Parkrat aus Anwohner*innen und Initativen soll die Zukunft des | |
Görlitzer Parks mitgestalten. Am Montag fand ein erstes – reichlich | |
chaotisches – Treffen statt. | |
Spekulation mit Immobilien in Berlin: Kreuzberger Häuserkampf | |
Erstmals macht Berlin-Kreuzberg vom Vorkaufsrecht Gebrauch. Ein | |
Allheilmittel gegen Immobilienspekulation sei das aber nicht, warnen die | |
Grünen. | |
Streit um Park in Kreuzberg: Fluchtpunkt Görlitzer Park | |
Anwohner klagen, die Polizei fährt Razzien: Die Zahl der Dealer im | |
Görlitzer Park steigt. Es sind Flüchtlinge aus Afrika, junge Männer wie | |
Ibrahim aus Mali. | |
Sicherheit in Kreuzberg: Abendlicht für den Görlitzer Park | |
Das Bezirksamt will die Wege im Görlitzer Park befestigen und Lampen | |
installieren. Strom dafür gibt es aber nur bis 22 Uhr. Die Zahl der | |
Polizeieinsätze hat sich vervierfacht. |