Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Katholikentag in Leipzig: Mauer aus Pragmatismus
> Wo endet Gastfreundschaft? Innenminister de Maizière diskutiert mit
> Menschenrechtsexperten. Der CDU-Mann wird einmal ein bisschen weich.
Bild: Das Asylrecht, sagt de Maizière, hat nun mal ein hartes und ein freundli…
Leipzig taz | Wie es um die Gastfreundschaft in Deutschland bestellt ist,
lässt sich gut im Gewerbegebiet an der Braunstraße im Osten Leipzig
ermessen. Auf einem Gelände so groß wie ein Fußballplatz ist eine
„Erstaufnahmeeinrichtung“ für Flüchtlinge entstanden.
Der Eingang ist scharf bewacht, überall Security-Männer, die schnell
ankommen, wenn man der Anlage zu nahe kommt. Und ein Zaun, der auch einem
Knast alle Ehre machen würde. Bis vor kurzem waren hier Flüchtlinge
untergebracht – nun sind es gläubige Menschen, die zum Katholikentag nach
Leipzig gekommen sind und anderswo keine Bleibe gefunden haben. Die
Flüchtlingsfrage ist ein wichtiges Thema auf dem großen Christentreffen.
Das passt.
Wer Näheres zum Thema Gastfreundschaft hierzulande erfahren wollte, konnte
auch am Freitag morgen in die „Arena“ von Leipzig kommen, eine Konzert- und
Sporthalle, wo Udo Lindenberg singt und Handballer oder Judoka schwitzen.
Und auch hier: viele Sicherheitsleute. „‚Vergesst die Gastfreundschaft
nicht!‘ Flüchtlingsschutz und Willkommenskultur“, dies war der Titel der
Veranstaltung in der Sportstätte, eine Mahnung des Apostels Paulus an die
Hebräer aufnehmend.
Es verspricht, brisant zu werden. Denn neben dem Bundesinnenminister Thomas
de Maizière und dem Leipziger Oberbürgermeister Burkhard Jung sind auch
Günter Burkhardt, der Geschäftsführer von Pro Asyl, und Ulrike Kostka vom
Berliner Caritas Verband zugegen, also steht die Politik in der
Flüchtlingshilfe gegen ihre Praxis.
## Ein Stuhl bleibt leer
Ein Stuhl blieb auf dem Podium leer – er sollte für den ertrunkenen
Flüchtlingsjungen Aylan Kurdi sein, dessen Bild als schreckliche Ikone des
Todes so vieler Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa die Weltöffentlichkeit
im vergangenen Jahr bewegte. Auch ein Foto des lebenden Jungen im Arm
seiner verschleierten Mutter wurde auf eine Leinwand über dem Podium
geworfen. Pathetischer, aber auch treffender ist nicht zu zeigen, um was es
am Ende bei der Flüchtlingspolitik geht: um Leben und Tod.
Der Innenminister aber wollte in dieses Pathos nicht einsteigen. Er gab,
nicht ohne eine gewisse Lust an der Provokation, den Law-and-Order-Mann,
der halt die Drecksarbeit zu tun hat, um die Flüchtlingskrise irgendwie zu
managen.
Im Ausland werde Deutschland wegen der Aufnahme so vieler Flüchtlinge
bewundert, sagt er, aber „es können nicht alle bleiben“. Die nötigen
Abschiebungen müssten mit Respekt und unter Achtung der Menschenwürde des
Flüchtlings vollzogen werden.
So ging es weiter mit dem Innenminister. Der Sinn des EU-Deals mit der
Türkei sei es, den Schleppern „das Geschäft ihres Lebens“ zu versauen. Wer
mit Schleppern in die EU komme, solle nicht bleiben dürfen. Die
Wohnsitzauflage für Flüchtlinge in Deutschland diene dazu, eine
Ghettobildung zu verhindern. Beim Familiennachzug sei „eine gewisse Pause“
beschlossen. Dies solle verhindern, dass minderjährige Flüchtlinge ohne
Papiere von ihren Familien nach Europa voran geschickt würden mit dem Ziel,
später die ganze Familie nachholen zu können. „Das wollen wir nicht
belohnen.“
## „Kein Handeln ohne Schuld“
Das Asylrecht, so de Maizière, habe nun mal ein hartes und ein freundliches
Gesicht – und manchmal müsse man das harte zeigen. Gastfreundschaft und
Abschiebung vertrügen sich durchaus, auch die unangekündigte Abschiebung am
frühen Morgen: „Dann kommt der Rechtstaat eben morgens um vier Uhr“, sagte
der Minister. „Das ist hart, aber das ist nötig.“
Wenn so viele Flüchtlinge wie im vergangenen Jahr, nämlich etwa ein
Million, auch dieses Jahr wieder kämen, wäre „der gesellschaftliche
Zusammenhalt gefährdet“, sagte de Maizière. Nur einmal zeigte der Minister
ein wenig Weichheit: „Als Christ weiß ich: Es gibt kein Handeln ohne
Schuld.“
Gegen diese Mauer aus Pragmatismus und Realpolitik kamen die anderen
Gesprächspartner nicht an. Der Pro-Asyl-Chef bemühte Einzelschicksale von
Flüchtlinge, fand damit aber kaum Beifall. Die Caritas-Chefin beklagte die
Überforderung der Ehrenamtlichen – aber sah zugleich eine Erholung bei
ihnen wegen zurück gehender Flüchtlingszahlen. Der Oberbürgermeister
bemühte sich redlich, seine Stadt als weltoffen darzustellen, und gegen die
Weltpolitik komme man halt nicht an.
So war der Beifall des eher kleinen Publikums in der „Arena“ am Ende eher
müde. Es war kaum etwas zu hören, was nicht schon in Talkshows erörtert
worden wäre.
Immerhin: Die Podiumsdiskussion endete mit einem Gebet, das kommt in
Talkshows ja eher selten vor. Darin ging es auch um Engel, die an diesem
Morgen nicht in der Leipziger Arena zu spüren waren. Offenbar fehlte es an
Gastfreundschaft auch hier. Denn das komplette Zitat aus dem Hebräer-Brief
lautet: „Vergesst die Gastfreundschaft nicht. Denn durch sie haben manche,
ohne es zu wissen, Engel beherbergt.“
27 May 2016
## AUTOREN
Philipp Gessler
## TAGS
Kirchentag 2023
Katholikentag
Thomas de Maizière
Schwerpunkt Flucht
Kirchentag 2023
Flüchtlinge
Katholikentag
katholisch
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kommentar Katholikentag: Keine Schäfchenherde mehr
In Leipzig zeigte sich eine moderne Kirche, die sich klar gegenüber der AfD
positioniert. Auch deshalb muss sie wieder ernstgenommen werden.
Fluchtdebatte auf dem Katholikentag: Frag den Flüchtling
Enkel von Vertriebenen treffen Geflüchtete von heute. Sie sollen wissen,
was sie erlitten und erlebt haben. Doch es gibt da ein Problem.
Landesschülerrat gegen Unterrichtsausfall: Katholikentag verhindert Bildung
Gegen den am Mittwoch beginnenden Katholikentag gibt es Protest. Schüler
beklagen, dass ihnen Unterricht entgeht, weil Katholiken in den Schulen
übernachten.
Kommentar Eröffnung Katholikentag: Säkular gelesene Leviten
In Leipzig beginnt der Katholikentag. Was so fromm scheint, ist ein Akt der
Rechristianisierung – und das auch noch mit Steuergeld gefördert.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.