# taz.de -- Vorwahl der Demokraten in New Jersey: Bernies Armee | |
> Viel spricht dafür, dass Hillary Clinton bei den Demokraten die Vorwahl | |
> gewinnt. Ob sie auch die Stimmen der Sanders-Unterstützer erhalten wird, | |
> ist unklar. | |
Bild: Optimismus gehört zum Geschäft: Bernie Sanders spricht am 1. Juni im ka… | |
WOODSTOWN/COLLINGSWOOD taz | Ob sich die Reihen der Demokraten schließen | |
werden? Wann schwenken die Anhänger Bernie Sanders’ zu Hillary Clinton | |
über? Roxanne Dektor zögert keine Sekunde mit ihrer Antwort. „Ich denke, | |
nie. Ich werde Hillary unter keinen Umständen wählen. Und wenn man mich | |
foltern würde.“ | |
Ein Samstagmorgen in Woodstown, einer kleinen, verschlafenen Stadt in New | |
Jersey; es ist das Wochenende vor der letzten Vorwahl, die in einem | |
amerikanischen Bundesstaat über die Bühne geht. In der Ecke eines American | |
Diner haben sich die treuesten, eifrigsten Anhänger von Bernie Sanders um | |
einen robusten Resopaltisch versammelt. | |
Es gilt Flugblätter zu sortieren, Adressen zu prüfen, Routen zu entwerfen, | |
bevor die Wahlkampfhelfer durch Woodstowns ruhige Straßen mit ihren | |
gepflegten Blumenrabatten ziehen, um ein letztes Mal vor dem Votum mit | |
Wählern zu reden. Aus dem Lautsprecher schallt Adele, es riecht nach | |
Kaffee, Speck und Toastbrot, auf einem Stück Pappe steht die Parole, die | |
Roxanne Dektor im Laufe des Gesprächs noch oft wiederholt – „Bernie or | |
Bust“, entweder Sanders oder keiner. | |
## New Jersey ist Clinton-Land | |
Eigentlich ist längst klar, dass der 74-Jährige Senator aus Vermont im | |
November nicht als Präsidentschaftskandidat der Demokratischen Partei zur | |
Wahl stehen wird. Endgültig entschieden wird die Sache auf dem | |
Nominierungsparteitag im Juli. Jetzt, kurz vor dem Endspurt der Primaries, | |
liegt Sanders’ parteiinterne Rivalin Hillary Clinton bei den Delegierten so | |
klar vorne, dass schon ein Wunder passieren müsste, damit er noch den Hauch | |
einer Chance hätte. Das steht nicht zu erwarten, denn in New Jersey führt | |
Clinton in den Umfragen mit großem Vorsprung, während sich in Kalifornien | |
ein Kopf-an-Kopf-Rennen andeutet. Ist es also an der Zeit, Dienstagnacht | |
die Siegerin auszurufen und die zerstrittenen Lager der Demokraten zur | |
Einheit aufzurufen? | |
Roxanne Dektor, 62 Jahre alt, ist überhaupt nicht der Meinung, dass alles | |
schon gelaufen ist. Die Gattin eines Veterinärmediziners ist in ihrem Leben | |
viel gereist und viel rumgekommen, nun hat sie sich aufgerieben für | |
Bernie’s Army, wie sich die freiwilligen Wahlhelfer voller Kampfgeist | |
nennen. Auf ihrem roten T-Shirt prangt ein Konterfei ihres Idols, das mit | |
seinem stilistisch übertriebenen weißen Haarkranz an Albert Einstein denken | |
lässt. Sogar Dektors Retriever heißt neuerdings Bernie Sanders. Vielleicht | |
fällt ihr das Loslassen nach monatelangem Engagement besonders schwer. Wer | |
gibt schon gern auf? Roxanne Dektor sieht Argumente auf ihrer Seite. | |
„Erstens ist nicht gesagt, dass aus Hillarys E-Mail-Affäre nicht doch noch | |
eine Anklage wird“, sagt sie zornig. „Und zweitens würde Sanders Trump klar | |
schlagen, während es dagegen bei Hillary gegen Trump auf der Kippe stünde.“ | |
Solche Überlegungen, so hoffen die Fans im Sanders-Lager, könnten die | |
Superdelegierten auf dem Parteikongress im Juli doch noch dazu bewegen, | |
ihrem Idol und nicht der früheren Außenministerin den Zuschlag zu geben. | |
Obwohl nach jetzigem Stand alles dagegen spricht. Von den 715 | |
Superdelegierten – Abgeordnete, Amtsträger und Parteifunktionäre, die sich | |
de jure nicht an das Ergebnis der Vorwahlen zu halten brauchen – haben 543 | |
bereits angekündigt, sich zu Clinton bekennen zu wollen. „Kann sich alles | |
noch ändern“, klammert sich Dektor an eine vage Hoffnung. | |
## Die Spielverderber | |
Was aber passiert, wenn Donald Trump das Rennen macht, weil Bernie’s Army | |
Hillary Clinton die kalte Schulter zeigt? Den Präzedenzfall dafür, das weiß | |
jeder in Woodstown, gab es bereits im Herbst des Jahres 2000. Der Demokrat | |
Al Gore hätte den Republikaner George W. Bush wohl in die Schranken | |
verwiesen, wäre der Verbraucherschutzanwalt Ralph Nader nicht als | |
Unabhängiger angetreten, womit er Gore bei den Linken Stimmen abjagte. | |
Das „Spielverderber-Szenario“ nennt es Sooren Moosavy. Oder mehr ein | |
Alptraumszenario, das ihn noch dazu bewegen könnte, doch für Clinton zu | |
stimmen, „wenn auch mit zugehaltener Nase“. Geboren im iranischen Isfahan, | |
eingebürgert und heute Chemiestudent im kalifornischen Berkeley, hat der | |
19-Jährige unzählige freie Stunden damit verbracht, für Sanders Klinken zu | |
putzen. | |
Nennt er Gründe, warum er das tut, holt er geschichtlich weit aus. Seit | |
Ronald Reagan vor 35 Jahren ins Weiße Haus einzog, seien die USA „Reagans | |
Amerika“; auch unter den demokratischen Präsidenten Bill Clinton und Barack | |
Obama habe sich daran nicht viel geändert. „Wir haben uns von der Mitte | |
einfach zu weit nach rechts bewegt. Es ist höchste Zeit, dass es mal einen | |
Ruck nach links gibt.“ Mit Hillary Clinton, glaubt der Student, bliebe es | |
bei Reagans Amerika, während Sanders das Schiff zurück in die Mitte steuern | |
würde. Mit „Mitte“ meint Moosavy europäische Verhältnisse: kostenlose | |
Universitäten, bezahlbare Krankenversicherungen, eine bessere Infrastruktur | |
– „und weniger Geld fürs Militär“. | |
Dass der 19-Jährige bereit ist, über seinen Schatten zu springen und | |
eventuell die Werbetrommel für Clinton zu rühren, hat vor allem mit dem | |
Supreme Court zu tun. Wer demnächst im Weißen Haus residiere, prophezeit | |
er, werde eine ganze Reihe von Richtern des Obersten Gerichts zu ernennen | |
haben, berufen auf Lebenszeit. „Nicht auszumalen, wenn ein Donald Trump die | |
Chance dazu bekäme.“ | |
## Zu teure Studiengebühren | |
„Und wenn schon“, entgegnet Dektor. „Ich habe es satt, für das kleinere | |
Übel zu stimmen. Ich will mit meinem Gewissen im Reinen sein.“ Clinton, | |
fügt sie hinzu, sei eigentlich schlimmer als Trump, außenpolitisch „alte | |
interventionistische Schule“. Hätte Clinton 2011 nicht Obama dazu | |
überredet, in Libyen einzugreifen, müsste er dies heute nicht als Fehler | |
bedauern. „Clinton hat in Taten gezeigt, wofür sie steht; Trump hat es | |
bisher nur mit seinem Mundwerk getan. Also: Würde mir jemand eine Pistole | |
an den Kopf halten und sagen, los, du hast nur die Wahl zwischen den | |
beiden, dann wäre es vermutlich Trump.“ | |
Die Pendlerstadt Collingswood liegt im Vorortgürtel um Philadelphia. Die | |
Sanders-Helfer haben hier vorübergehend im Parterre eines Privathauses | |
Unterschlupf gefunden. Für Jonathan Taylor aus dem Unterstützerteam, 22 | |
Jahre alt und angehender Grafikdesigner aus Kentucky, sind Studiengebühren | |
ein Thema. Jedes Jahr muss er einen Kredit von 10.000 Dollar fürs College | |
aufnehmen, obwohl seins noch vergleichsweise preiswert ist. Nach fünf | |
Jahren Uni werden fünfzigtausend Dollar zusammengekommen sein, | |
zurückzuzahlen zu einem durchschnittlichen Zinssatz von 5,7 Prozent. Bernie | |
or Bust? | |
Taylor zieht sich diplomatisch aus der Affäre. Er klingt kompromissbereit | |
und nicht nach Fundamentalopposition. „So wie früher funktioniert dieses | |
Land einfach nicht mehr“, meint er. „Wer arm ist oder nur über ein | |
mittleres Einkommen verfügt, bekommt das gerade heftig zu spüren.“ Das | |
erkläre die Proteststimmung gegen die politischen Eliten im ganzen Land, | |
meint Taylor, und deswegen bräuchten die Demokraten einen | |
Anti-Establishment-Kandidaten, der gegen den Anti-Establishment-Kandidaten | |
der Republikaner antritt: Sanders gegen Trump. | |
Oder aber, lenkt Taylor ein, man müsse Clinton das feste Versprechen | |
abringen, für Sanders’ Agenda zu kämpfen: etwa für einen gesetzlichen | |
Mindestlohn von 15 Dollar pro Stunde anstelle der zwölf Dollar, die sie | |
zurzeit vorschlägt. Folgt man Taylors Logik, könnte Sanders seine | |
Konkurrentin noch ein Stück weiter nach links drängen, bevor beide im | |
Hochsommer in Philadelphia ihre Versöhnung zelebrieren. | |
## Ähnlich wie 2008 | |
Auf den ersten Blick gleicht die Lage der bei den Vorwahlen im Juni 2008. | |
Auch damals lieferten sich zwei Bewerber bis zum Ende der Primaries einen | |
harten Kampf, obwohl längst klar war, dass die eine, Hillary Clinton, den | |
anderen, Barack Obama, nicht mehr einholen konnte. Was damals vielen | |
imponierte, war die eiserne Disziplin, mit der die Unterlegene das Resultat | |
akzeptierte. Nur vier Tage nach Ende der Primaries stellte sich Hillary | |
Clinton unter eine Glaskuppel ins National Building Museum in Washington, | |
um ihre enttäuschten Fans aufzufordern, fortan alles zu tun, damit Obama | |
Präsident werde. | |
Sanders dagegen spricht momentan noch von einer „Contested Convention“, | |
einem hart umkämpften Parteikonvent, auf dem er versuchen wird, die | |
Superdelegierten auf seine Seite zu ziehen. „Ich habe Berichte gehört, nach | |
denen die Medien am Dienstagabend erklären werden, dass alles gelaufen ist. | |
Das trifft schlicht nicht zu.“ Das klingt nach einer wochenlangen | |
Pokerpartie. | |
7 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Frank Herrmann | |
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