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# taz.de -- Grönland entdecken: Endstation Eiskante
> Im Osten verkauft ein Deutscher Briefmarken in alle Welt. Ein Inuit
> verarbeitet das kulturelle Erbe in geschnitztes Walross-Elfenbein.
Bild: Im Osten Grönlands
Tasiilaq war eine bescheuerte Idee. Wer im langen Winter mit Schneeschuhen
und etwas Ausdauer die 679 Höhenmeter über einen steilen Sattel auf den
Hausberg Qaqqartivakajik steigt, der sieht tief unter sich die Holzhäuser
des Dorfes als Ansammlung winziger bunter Punkte in einer endlosen Wildnis
schrundiger Felswände, tief eingeschnittener Fjorde und verkeilter Eisberge
und -schollen auf der Ammassalik-Insel vor der Ostküste Grönlands liegen.
Die enge Hafenzufahrt ist nur von Juni bis November eisfrei. 625 Kilometer
Luftlinie trennen Tasiilaq vom nächsten Flughafen in Islands Hauptstadt
Reykjavík.
Robuste Propellermaschinen starten dort dreimal pro Woche, falls der häufig
heftige Wind, Nebel und Schneefall es zulassen und der Flugplatz auf der
Nachbarinsel Kulusuk mit dem Hubschrauber aus Tasiilaq überhaupt erreichbar
ist. Selbst den Inuit erschien die Ostküste Grönlands über Jahrhunderte so
lebensfeindlich, dass nur wenige Dutzend auf ihren Wanderungen durch das
Gebiet streiften. Doch im 19. Jahrhundert waren weiße Flecken auf der
Weltkarte für die Nationalstaaten ein unhaltbarer Zustand.
Aus Angst vor anderen Interessenten ließ Dänemarks Kolonialregierung 1894
am König-Oscar-Hafen kurzerhand eine Handelsstation errichten.
Strukturschwaches Gebiet nennt man so etwas in unseren Breiten oder eben
eine bescheuerte Idee, allerdings mit kolossaler Aussicht. Heute ist
Tasiilaq nach ostgrönländischen Verhältnissen so etwas wie eine Boomtown.
Das liegt allerdings nicht daran, dass sich an der Unzugänglichkeit und
Unwirtlichkeit der Gegend etwas geändert hätte. Es sind vielmehr die
Annehmlichkeiten der zwei Supermärkte, des Krankenhauses, der großen
Schule, des Sporthauses und der Pizzeria, die sich in den noch kleineren
Dörfern ringsum herumgesprochen haben. Das alles lockt viele Familien von
dort an die Hänge des Qaqqartivakajik. In den letzten Jahren ist die
Bevölkerung um 300 auf 2.100 Einwohner angestiegen.
## Ein Schwaben im Auftrag der Post
Auch Volker Nitschmann hat sich hier niedergelassen. Der
Software-Entwickler aus Neuffen von der Schwäbischen Alb kam vor Jahren als
Tourist in die Gegend, um einmal den größten Eisschild außerhalb der
Antarktis zu sehen. Dann wurde er für einen Sommer Reiseleiter für einen
deutschen Veranstalter. Schließlich packte Nitschmann Hab und Gut in einen
Container und übersiedelte ganz.
„Mich hat das gereizt, den Lauf der Jahreszeiten viel intensiver zu erleben
als bei uns in Deutschland“, sagt der 44-Jährige. Seit drei Jahren sorgt
Nitschmann im Auftrag der grönländischen Post mit dafür, dass im Osten der
größten Insel der Welt überhaupt etwas wie Exportwirtschaft existiert. Sein
Büro liegt in einem knallroten Holzhaus aus Fertigteilen. Wer hineinmöchte,
der muss kräftig gegen die Holztür klopfen, denn eine Klingel gibt es
nicht. Dafür aber einen freundlichen Empfang. Schließlich kommen die
wenigsten Kunden tatsächlich leibhaftig vorbei in der Filatelia, die von
einer der isoliertesten Ecken Grönlands Sonderbriefmarken in alle Welt
verkauft.
„Bei Sammlern sind unsere Marken tatsächlich beliebt“, berichtet Jördis,
die von den Färoer-Inseln stammt und die Filatelia leitet. Gut ein Dutzend
Mitarbeiter ist nötig, um die Wünsche nach Markensets, Ersttagsblättern und
gestempelten Umschlägen zu erfüllen. 6.000 Abonnenten gibt es weltweit und
insgesamt mehr als 10.000 Kunden jährlich, die die dreimal im Jahr
aufgelegten Markensets oder Einzelmarken von nordischen Tieren,
traditioneller Kleidung oder Weihnachtsmotiven bestellen.
Grönlands Post verkauft damit mehr Marken an Sammler, als für den Postweg
benötigt werden. Auch originelle Projekte gibt es, etwa einen Sonderdruck
mit Marken von Eisbär und Pinguin zusammen mit der Post Neuseelands. Für
die Kulturschaffenden der Insel ist das auch eine Art Förderprogramm, denn
die Motive werden ausschließlich von nordischen Künstlern gestaltet.
„Gedruckt wird nach einer Ausschreibung allerdings im Ausland, in Kanada,
Skandinavien oder China. Die letzten Marken aus China waren allerdings ein
Flop. Die Gummierung war mangelhaft“, erzählt Volker Nitschmann, der den
Webshop der Filatelia betreut.
## Der Maskenschnitzer
Per Schiff schon Monate vor dem Ausgabetag angelandet, gehen die bestellten
Marken von Tasiilaq an ihre Besteller. Fast alle anderen Arbeitsplätze im
Ort dienen lediglich zur Versorgung der Einwohner. Weil die nicht einmal
10.000 Ostgrönländer eine komplizierte eigene Sprache sprechen, die sie
nicht mal in der Hauptstadt Nuuk verstehen, ist es um andere Arbeitsplätze
schlecht bestellt. Um Mehrwert zu schaffen, hat die Kommune unterhalb des
einzigen Hotels eine Künstlerwerkstatt eingerichtet.
Hier schnitzt Bent Kuitse mit einem Kollegen an traditionellen Masken.
„Unsere Großeltern haben damit noch die Kinder erschreckt“, sagt er. Heute
würden die Masken aus Holz und nicht mehr aus Knochen geschnitzt. Aus
Narwal- oder Walross-Elfenbein schleift Kuitse nach alten Vorbildern auch
Tupilaks. Die trollähnlichen Figuren mit übergroßen Gebissen und weit
aufgerissenen Augen steckte man früher Freund und Feind ins Gepäck, konnten
sie doch sowohl beschützen wie auch Unheil verbreiten. „Heute glauben wir
nicht mehr wirklich daran“, sagt Kuitse. Aber es könne natürlich nicht
schaden, draußen auf dem Eis einen Tupilak dabeizuhaben.
Um ein Gefühl für die Größe der Natur Ostgrönlands zu bekommen, empfiehlt
Volker Nitschmann einen Abstecher nach Kuumiut, etwa 40 Kilometer weiter
nördlich. Die Siedlung am Ende des Fjordes liegt viel geschützter und war
früher der Siedlungsschwerpunkt. Heute leben dort noch schätzungsweise 300
Menschen vom Fischfang und der Jagd. Nachdem der einzige Hubschrauber in
der Region im Sturm vier Tage lang nicht fliegt, ist ein Inuit namens
Ulrich bereit, die Besucher über einen fast 1.000 Meter hohen Pass dorthin
zu fahren. Winkende Kinder empfangen die Ankömmlinge mit ein paar Brocken
Englisch in Kuumiut. Ein Däne stellt seine Hütte zur Verfügung. Fließendes
Wasser gibt es im Dorf nur an einigen blauen Brunnenhäusern.
Die wenigen Leitungen müssen teuer mit dem Dieselaggregat beheizt werden.
Die Toilette hat einen Schlauchbeutel, den man tunlichst alle drei Tage
wechselt, soll das fragile Konstrukt nicht platzen. Die Wäsche trocknet
draußen vor den Häusern neben den Fellen geschossener Eisbären. Wie viele
es davon gibt in der Gegend, wüssten auch Christina und Peter aus Seattle
gerne, die für ein Forschungsprojekt im Auftrag der autonomen
InselregierunDer Maskenschnitzerg seit vier Wochen in Kuumiut ausharren und
zwischendurch auf einen Plausch vorbeischauen. Mit Sendern und Zählungen
wollen sie herausfinden, wie sich die Bestände an der Ostküste entwickeln,
wo traditionell Eisbärenland ist.
## Draußen stehen die Bären
25 Bären dürfen die Jäger im Gebiet um Tasiilaq jährlich schießen, wenn die
Räuber den Orten zu nahe kommen. Bislang glaubte man, das zunehmend
schmelzende Meereis bringe sie in Bedrängnis. Doch vor Ort glauben viele,
dass die Bären eher mehr als weniger werden. „Jedenfalls sind sie da
draußen“, sagt Christina, „und es sind nicht nur vorbeiziehende Tiere.
Einige haben hier offenbar ein Revier.“
Ihre Worte klingen nach, als Bootsführer Eli Ignatiuson die Gäste drei Tage
später mit seinem winzigen Motorboot über den offenen Fjord zurück zur
Flughafeninsel fährt. Das Meer ist ruhig, aber das Boot schlägt im harten
Ritt immer wieder unsanft aufs Wasser. Eisschollen und ein blauer Eisberg
treiben vorüber. Fünf Kilometer vor dem Ziel geht dann gar nichts mehr. Eli
Ignatiuson wendet das Boot und spricht aufgeregt in sein Funktelefon. Der
Hafen ist vom Meereis blockiert. Beherzt rammt er das Boot schließlich mit
Vollgas auf die Eiskante. Hier sei Endstation. Aber wenn man Glück habe,
komme in einer Stunde jemand mit einem Hundeschlitten aus Richtung der
Flughafen-Insel Kulusuk. „Er heißt Mads, aber ihr könnt ihn wohl kaum
verwechseln“, meint Ignatiuson ohne hörbare Ironie zum Abschied.
Augenblicke später stehen zwei Reisetaschen und ein Rucksack gottverlassen
auf der schwankenden Eisdecke. Als Mads mit seinem kleinen Sohn Asger an
Bord eine Stunde später sein Hundegespann an die Eiskante lenkt, ist er
dagegen die Ruhe selbst. Vor der Abfahrt wolle er, wo man doch schon mal da
sei, erst mal seine Fangleinen kontrollieren. „Im Sturm wäre das nachher
schließlich keine gute Idee.“
5 Jun 2016
## AUTOREN
Martin Wein
## TAGS
Grönland
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Eisbären
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