# taz.de -- Ausstellung über DDR-Siedlung Wandlitz: Innenansichten aus dem Ghe… | |
> Erstmals geht eine Ausstellung der Frage nach, welches System sich hinter | |
> der Waldstadt verbarg, in der die SED-Politbüromitglieder leben mussten. | |
Bild: Hat einiges gesehen: Mielkes Limousine bei der Schau in Wandlitz | |
Etwas konsterniert steht Jan Carpentier vor der Kamera, hinter ihm das Tor | |
zur Waldsiedlung Wandlitz, die er gerade mit seinem Team besichtigen | |
dürfte. Kurz zuvor hatte der Reporter des DDR-Jugendfernsehens „Elf 99“ | |
seinen Zuschauern mitgeteilt, dass er sich wie ein Voyeur fühle. Nun fällt | |
es ihm schwer, ein Fazit zu ziehen. „Macht euch selbst ein Bild“, fordert | |
er das Publikum auf. | |
Goldene Wasserhähne bekamen die Journalisten nicht zu sehen, die am 23. | |
November 1989 erstmals in der geschlossenen Siedlung des SED-Politbüros | |
drehen durften, aber auch nicht die Westwaren, die normalerweise in | |
Wandlitz zu haben waren. Palettenweise waren sie in den Tagen zuvor | |
weggeschafft worden. | |
Nicht wie eine Bonzensiedlung sollte Wandlitz wirken, sondern als gehobener | |
Wohnort derer, die Verantwortung übernommen haben. Beinahe wäre das Kalkül | |
aufgegangen, wäre Jan Carpentier und seinem Team nicht kurz zuvor der | |
SED-Chefideologe Kurt Hager mit seiner Frau begegnet. | |
Hager bedauerte, dass er seinerzeit nach Wandlitz ziehen musste, aber so | |
seien eben die Vorschriften gewesen. Und dann zog er einen Vergleich, der | |
selbst den unerschrockenen Reporter sprachlos machte: „Wissen Sie, etwas | |
bitter gesagt, ist das, ich weiß nicht, das wievielte Internierungslager, | |
in dem ich lebe“, sagte der SED-Kulturpolitiker – und verglich ganz | |
nebenbei Wandlitz mit einem KZ der Nazis, in dem er eingesessen hatte. | |
Damit war der Volkszorn der DDR-Bevölkerung erst recht entfacht. | |
## Das System Wandlitz | |
Was war Wandlitz? Wie muss man heute, 27 Jahre nach der Sendung von „Elf | |
99“, auf die Waldsiedlung schauen, deren Bau die DDR unter dem Eindruck des | |
Arbeiteraufstands vom 17. Juni 1953 beschlossen hat. Das „Städtchen“ am | |
Majakowskiring in Pankow war den Machthabern plötzlich nicht mehr sicher | |
genug, also wurde bei Bernau eine Siedlung im Wald gebaut, deren Geschichte | |
nun in einer Ausstellung mit dem Titel „Landschaft der Macht“ gezeigt wird. | |
„Uns geht es nicht darum, zu zeigen, ob Wandlitz nun luxuriös war oder | |
nicht“, sagt Kurator Jürgen Danyel vom Zentrum für Zeithistorische | |
Forschung (ZZF) in Potsdam. „Uns ging es eher um das System Wandlitz.“ Und | |
zu diesem System gehörten auch Waren aus dem Westen. In der „Elf | |
99“-Reportage von Jan Carpentier waren es Mischbatterien in einem der 23 | |
Häuser. Aber auch die DDR-Volkswirtschaft war dem „System Wandlitz“ | |
untergeordnet. „Die Tochter von Erich Honecker wollte mal ein Jugendzimmer, | |
das es in der DDR nicht gab. Also wurde die Produktion für dieses eine | |
Einzelstück umgestellt“, so Danyel. | |
Für den Historiker und seine Mitkuratorin Elke Kimmel bestand Wandlitz aus | |
konzentrischen Kreisen. Der erste war das Innerste der Siedlung, das erst | |
mit der Sendung am 23. November sichtbar wurde. Darum herum war die | |
Versorgung der Waldstadt organisiert, und schließlich strahlte das Zentrum | |
der Macht auch auf Berlin aus, etwa entlang der Protokollstrecke, die die | |
Politbüromitglieder jeden Morgen über die Autobahn und die Greifswalder | |
Straße bis ins ZK-Gebäude der SED am Werderschen Markt führte, in dem der | |
innere Machtzirkel der DDR tagte. | |
Entsprechend dieser Ringe der Macht ist auch die Ausstellung im | |
Barnim-Panorama in Wandlitz angeordnet. In einem Kubus finden sich Zitate | |
und Schriftstücke aus der Waldsiedlung, den Einlass markiert ein Vorhang, | |
auf den das berühmte Tor aufgedruckt ist, vor dem Jan Carpentier am Ende | |
seiner Sendung steht. | |
Außerhalb des Kubus kann man über eine Panoramakarte des Barnim gehen, auch | |
über die rot-schraffierten Bereiche, die für die DDR-Bevölkerung gesperrt | |
waren, weil dort entweder die Stasi ihre Objekte hatte oder die Herren | |
Mächtigen zur Jagd gingen. Und die Treppen, die zum Ausstellungsraum | |
führen, sind an den Wänden mit Fotos von der Protokollstrecke versehen, | |
über deren sozialismustaugliches Bild Erich Mielke persönlich wachte. | |
Mit seiner Meinung, dass Wandlitz ein „Internierungslager“ gewesen sei, | |
stand Kurt Hager nicht alleine. Andere bezeichneten die Waldstadt als | |
„Getto“ und beklagten, wie in der Ausstellung nachzulesen ist, die soziale | |
Isolation und die Tatsache, niemals im Haus eines anderen gewesen zu sein. | |
Selbst das Essen nahmen die meisten nicht mehr im sogenannten | |
Funktionärs-Club ein, vielmehr ließen sie es sich ins Haus liefern. | |
In dem umfangreichen Begleitband zur Ausstellung, der im Ch. Links Verlag | |
erschienen ist, ist auch eine Schilderung der Schauspielerin Vera | |
Oelschlegel abgedruckt, die mit ihrem Mann, dem Politbüromitglied Konrad | |
Naumann, in Wandlitz gelebt hatte: „Wandlitz hatte ich mir gedacht als eine | |
Traumsiedlung – irgendwie. Es war eine Albtraumsiedlung.“ | |
Zum System Wandlitz gehörte auch die Stasi. Kurz vor dem Ende der DDR waren | |
es 650 Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit, die über die | |
Bewohner der 23 Häuser wachten. Sie sorgten dafür, dass die Bewohner | |
komplett nach außen abgeschirmt in Wandlitz lebten – die Siedlung war | |
umgeben von einer 2 Meter hohen, grün gestrichenen Mauer, die den | |
„Innenring“ der Siedlung umgab. | |
Gesperrt waren auch die Jagdgebiete, in die sich die Politbüromitglieder, | |
allen voran Erich Honecker, immer mehr zurückzogen. „Am Ende wurden die | |
wichtigen Entscheidungen nicht mehr in Berlin getroffen, sondern bei der | |
Jagd in der Schorfheide“, sagt Kurator Danyel. All das zusammen blieb auch | |
der Bevölkerung nicht verborgen. „Man wusste nicht viel, aber jeder wusste | |
etwas“, so Danyel. „Wandlitz war großer Zündstoff und am Ende auch ein | |
Sargnadel der DDR.“ | |
## Wirkung auf die Politik | |
Das Kuratorenteam hat sich auch mit der Frage beschäftigt, welche | |
Auswirkungen das System Wandlitz mit seiner Abschottung auf die Politik der | |
SED hatte. „Wandlitz hat sicher dazu beigetragen, dass die Politik die | |
Bindung zu den Menschen und zum eigenen Volk verloren hat“, meint Jürgen | |
Danyel. Verglichen mit anderen kommunistischen Ländern sei Wandlitz die | |
„sowjetische Lösung“ gewesen. In Staaten wie der Tschechoslowakei wiederum | |
habe es kein solches System der Abschottung gegeben. | |
Dass es eine solche Ausstellung erst so viele Jahre nach der legendären | |
Sendung von „Elf 99“ gibt, hat auch mit der Nachwendegeschichte des Ortes | |
zu tun. Aus der Waldsiedlung ist gleich nach dem Ende der DDR die private | |
Brandenburg-Klinik geworden, eine Reha-Klinik im Grünen. Nun aber hat sich | |
die Betreiberfamilie entschlossen, das Gelände auch für | |
Geschichtsinteressierte zu öffnen. | |
Vor vielen Häusern, etwa dem von Erich und Margot Honecker und Walter und | |
Lotte Ulbricht, stehen Informationsstelen. Auch einer Dauerausstellung ist | |
Klinikchef Kai-Uwe Michels nicht abgeneigt. Die Wandlitzer | |
Kulturamtsleiterin Claudia Schmid-Rathjen, die die Fördergelder für die | |
Ausstellung im Barnim-Panorama besorgt hat, stimmt zu, dass eine | |
Dauerausstellung auf das Klinikgelände gehört. „Das ist der authentische | |
Ort.“ | |
27 May 2016 | |
## AUTOREN | |
Uwe Rada | |
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