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# taz.de -- Die Wahrheit: Frankfurt fuckt ab
> Öde Orte revisited: Das entsetzlich verhunzte Großdorf am Main besticht
> durch immer neues Schandwerk in sämtlichen Stadtteilen.
Bild: Stolz sind die Frankfurter auf die Skyline, einen Klumpen aus steindummem…
Frankfurt war mal eine ziemlich schöne, polyzentrale, hie dörflich
verwuselte, da human moderne, eine lässige, angenehm unaufgeräumte und
ungeordnet-zusammengewürfelte Stadt. Bis vor ungefähr zehn Jahren konnte
man es in Frankfurt bestens aushalten. Heute ist Frankfurt ein Ausbund von
Verhunzung, Anmaßung, Angleichung, Einebnung und Plattmacherfurorgesinnung,
von Blödheit mal Schwachsinn hoch acht.
In der sogenannten Innenstadt, die, zugegeben, schon immer nichts weiter
als ein Klumpen aus steindummem Beton, Rotz und Ramsch war, hat das
sogenannte Stadtplanungsamt den Roßmarkt in ein „Aufmarschgelände für
Fußballfans, Apfelweintrinker und Salafisten“ (Stefan Geyer) verwandelt.
In unmittelbarer Nähe lässt das Großkotzkapital einen dringend benötigten
Riverside Financial District ins Erdreich rammen, der „Uferseitigs
Verfehlungs-Miststück“ oder so ähnlich heißen müsste, und am ohnehin
debilen Römer entsteht im Zuge der Rekonstruktion einer angeblichen
„Altstadt“ das entsetzliche, hirnrissige Stadthaus, weil dem Magistrat das
Bauen halt sehr viel Spaß macht.
## Tummelplätze fürs Bankergeschmeiß
Das Nordend, in dem die hochnäsigen Grünen nisten, kann man nur noch
einmauern. West- und Osthafen sind kopftote, abgrundtief öde, faschistische
Tummelplätze fürs Bankergeschmeiß, andere neue Stadtteile sehen nicht einen
Deut anders und besser aus. Bald gibt es in Frankfurt vermutlich keine Ecke
mehr, in der Menschen mit Geschmack und Verstand zu leben in der Lage
wären. Vielleicht erhalten sich Reste im Riederwald, in Bornheim und in
Sossenheim (Chlodwig Poth!).
Und im Gallus, wo ich wohne. Dachte ich bis vor drei, vier Jahren. Nee,
dito hier – Sense. Das zutiefst asozial-aseptische, von Albert Speer
konzipierte Europaviertel auf dem zum Gallus gehörenden ehemaligen
Bahnareal an der Messe wuchert rund um die Zentralachse „Stalinallee“
(Volksmund), ein gigantisches „Klötzchenspiel“ (Süddeutsche Zeitung)
geistig und moralisch infinit verkommener Investoren. Da hülfe tatsächlich
allein der sofortige Wiedertotalabriss – oder Bomber-Harris.
Das Gallus, ein altes, in vielen Winkeln einst anmutiges Arbeiterquartier,
durchlaufe „eine spannende Entwicklung“, säuselt Oberbürgermeister Peter
Feldmann (SPD), dieses Genie. Wahr ist: Es wird allerorten nach
Kapitalistengiermanier aufgerissen, abgerissen, zertrümmert, luxussaniert,
„verdichtet“ und versaut.
Jetzt verwüstet das sogenannte Grünflächenamt im Rahmen des Programms – man
merke auf! – „Schöneres Frankfurt“ einen weiteren Abschnitt des ehedem
herrlichen Grünstreifens in der Frankenallee – unter Einsatz von
Abermillionen Euro und mit Hilfe eines Offenbacher (!) Gartenbaubetriebs.
Vor ein paar Wochen, zu Beginn der Brutzeit, sah ich da im ehrwürdigen
Baumbestand einen Kleiber, einen dieser redlichen, wunderfeinen
Kletterkünstler, einen schmerzlich zierlichen Baumläufer, und eine
Nachtigall sang sich abends um den Verstand. Nun zerfetzen Bagger (mit dem
Gütesiegel Blauer Engel, „weil lärmarm“, jojo) die hüft- bis schulterhoh…
Hecken, reißen die verfluchte dichte Wiese mit den schmählichen
Gänseblümchen heraus, türmen Erdwälle auf und beseitigen alles Krumme und
Wildwüchsige – mitten in der Brutperiode. Gesegnetes Grünflächenamt.
## Reichsparteitagsgelände mit verstörten Vögeln
Gestern beobachtete ich eine verstörte Amsel, die auf dem planierten und
verdichteten Boden verzweifelt und erfolglos nach Nahrung spähte. Alle
anderen Vögel haben das Weite gesucht, morgens ist kein Ton mehr zu hören.
Wenn das Schandwerk vollendet sein wird, darf ich mich an stinkfaden
Verbundsteinflächen, „besonderen Gestaltungselementen“ wie mehrfarbigen
Globen und blauen Bodenwulstleuchten (oder was das sein soll) sowie
staubgrauen Steinsockeln und in Reih und Glied strammstehenden Stauden
ergötzen – ein Reichsparteitagsgelände vor meiner Haustür.
Man nennt es: „Erhöhung der Nutzungsqualität des Grünstreifens durch eine
neue, breitere Wegeführung, Wegnahme des dichten, unüberschaubaren
Heckenstreifens und Einsatz von blühenden Pflanzen, Installierung einer
neuen Beleuchtung im Grünstreifen zur Erhöhung der Aufenthaltsqualität
sowie des Sicherheitsempfindens“ (Stadtplanungsamt).
„An ihrer Sprache sollt ihr sie erkennen“ (Karl Kraus), an ihren Taten
sollt ihr sie messen. Links und rechts gehört dieser verfickten Stadt,
gehört diesem Arschloch namens Frankfurt eine runtergehauen, mit Karacho
und Aplomb.
18 May 2016
## AUTOREN
Jürgen Roth
## TAGS
Frankfurt am Main
Stadtplanung
Architektur
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Fußball
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Belgien
Ornithologie
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