# taz.de -- Wissenschaft als Open-Source-Projekt: Von allen und für alle | |
> Wissen sollte allen zur Verfügung stehen, statt patentiert zu sein, | |
> findet der Wissenschaftsladen Potsdam. Und setzt das in die Praxis um. | |
Bild: „Citizen science“ kann jeder | |
Berlin taz | Auf einer Platte in der Größe einer Zigarilloschachtel kleben | |
eine blaue Leiterplatte und ein Steckbrett mit ein paar bunten Nadeln. „Da | |
wird noch ein Deckel draufgeschraubt, dann ist das eine Sensorstation, mit | |
der man Ozon und Feinstaub messen kann“, erläutert Mario Parade vom | |
Wissenschaftsladen Potsdam. | |
Einige Dutzend solcher Kästen wollen er und seine sieben Mitstreiter an | |
Bürger verteilen, die bereit sind, sie auf einem Fenstersims zu befestigen. | |
Die Messergebnisse werden dann als mehr oder weniger dunkle Wolken auf | |
einem Stadtplan im Internet zu sehen sein, sodass alle Einwohner von | |
Brandenburgs Hauptstadt jederzeit feststellen können, wie hoch die | |
Belastungen in ihrem Wohngebiet gerade sind. | |
Selbstverständlich ist der Konstruktionsplan für die kleinen Messstationen | |
kostenlos im Internet zu finden. Auch legt Mario Parade Wert darauf, dass | |
jeder die Bauanleitung leicht verstehen und die Komponenten ohne viel | |
Aufwand beschaffen kann. Der 43-Jährige gehört zu der wachsenden | |
internationalen Community, die nichts von Patenten hält und damit an einem | |
zentralen Pfeiler des dominierenden Wirtschaftssystems sägt. Auf | |
Internetseiten wie [1][www.thingiverse.com] finden sich Tausende von | |
Bauplänen, die jede und jeder einfach nutzen darf. | |
Mario Parade ist ein ebenso glühender wie differenzierter Verfechter von | |
Gemeingütern, auch Commons genannt. Warum sollte man Forschungsergebnisse | |
oder die Baupläne von Gerätschaften nicht aller Welt zur freien Verfügung | |
stellen? Ganz bewusst verließ der Astrophysiker die traditionelle | |
akademische Welt, um neue Formen von Wissenschaft zu entwickeln und zu | |
praktizieren. | |
## „Wasserträger für die akademische Welt“ | |
„Unser Anspruch ist, dass alle Bürger Forschung über Fragen anstoßen | |
können, die sie wichtig finden“, fasst er zusammen. An Universitäten und | |
Instituten gehe es dagegen bei den Bürgerwissenschaften oft um eine | |
Pseudobeteiligung, findet Parade – oder die Menschen würden als | |
„Wasserträger für die akademische Welt“ eingespannt, um große Datenmengen | |
auszuwerten. Am Schluss hätten die Beteiligten häufig nicht einmal offenen | |
Zugang zu den vollständigen Dokumenten und Ergebnissen, kritisiert er. | |
Bürgerwissenschaften liegen im Trend. 2014 ging die öffentlich geförderte | |
Internetseite [2][www.buergerschaffenwissen.de] online. Über 60 Projekte | |
sind dort zu finden; an manchen wie dem Stechmücken-Monitoring beteiligen | |
sich mehrere tausend Menschen. Die meisten wurden von staatlichen | |
Forschungseinrichtungen und Universitäten initiiert, ein Teil aber auch von | |
Bürgern oder Wissenschaftsläden. „Im angelsächsischen Raum ist ‚citizen | |
science‘ bereits viel verbreiteter als hierzulande. Was es dort aber kaum | |
gibt, ist die Kritik, dass Bürger als Datensammler missbraucht werden“, | |
berichtet Wiebke Volkmann, zuständig für die Plattform. | |
In der Werkstatt des Potsdamer Wissenschaftsladens stapeln sich Bretter, | |
Blechteile und Platinen, an der Wand hängen Zangen und Bohrer. Neben | |
Werkbänken gibt es hier auch Hightech-Maschinen wie 3-D-Drucker und | |
Lasercutter. Einmal in der Woche kann hier jeder kommen und | |
experimentieren. In einer Ecke lagert ein rostiger, knapp hüfthoher | |
Metallbehälter – eine Minimüllverbrennungsanlage für Plastikmüll, die sich | |
ein Student aus Kamerun ausgedacht hat. | |
## Soziale und ökologische Fragen | |
Gerade sind ein paar Menschen aus Togo in Potsdam, um mit den Leuten aus | |
dem Wissenschaftsladen zu besprechen, wie damit auch Strom und nicht nur | |
Wärme erzeugt werden kann. Für Mario Parade ist ganz klar, dass die | |
Entwicklung des Generators nur ein Teilaspekt ist und sich im gleichen Maße | |
soziale und ökologische Fragen stellen. „Die Menschen, die vom Müll leben, | |
müssen einbezogen werden,“ betont er. Außerdem müsse die Anlage robust und | |
leicht nachbaubar sein. | |
Mehrfach in der Woche unterrichtet Parade an einer Montessorischule, wo er | |
auch für die Computer zuständig ist. Von isolierten PC-Räumen hält er aber | |
gar nichts. Stattdessen ackert er mit ihnen auf 12 Hektar Land, hilft den | |
Jugendlichen, Informationen über Bearbeitungswerkzeuge zu finden und sie | |
selbst herzustellen. | |
Bei der Errichtung eines Gewächshauses bringt er den Schülern dann bei, wie | |
sie mit ihren Smartphones eine gute Dokumentation erstellen und an einem | |
gemeinsamen Protokoll arbeiten: Vielleicht kann das ja irgendwo auf der | |
Welt jemand anderes gebrauchen und für seine Bedürfnisse weiterentwickeln. | |
So lernt der Nachwuchs ganz praktisch, wie Gemeingüter funktionieren. | |
5 May 2016 | |
## LINKS | |
[1] http://www.thingiverse.com | |
[2] http://www.buergerschaffenwissen.de | |
## AUTOREN | |
Annette Jensen | |
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