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# taz.de -- Nachruf Malick Sidibé: Chronist des freien Mali
> Der Fotograf Sidibé ist im Alter von 80 Jahren gestorben. Seine Bilder
> halten das optimistische Lebensgefühl einer vergangenen Ära fest.
Bild: Malick Sidibé vor seinem Studio
Ein Pionier der Fotografie in Afrika ist tot. Malick Sidibé aus Mali starb
am Abend des 14. April in der malischen Hauptstadt Bamako an Krebs, im
Alter von 80 Jahren. Dies gaben seine Freunde in der Nacht über soziale
Netzwerke bekannt.
„Tausende Bilder voller Zärtlichkeit und Schönheit“ würden von Sidibé in
Erinnerung bleiben, schrieb der französische Galerist André Magnan, der den
Tod des Maliers als erster verbreitete. In seinen Werken hat Sidibé ein
Mali aus einer unbekümmerteren Zeit verewigt: die 1960er Jahre, in den
ersten Jahren nach der Unabhängigkeit, vor Malis erstem Miliärputsch im
Jahr 1968, als die Jugend Bamakos wie in allen afrikanischen Städten noch
voller Optimismus und Selbstbewusstsein in die Zukunft blickte und das
Gefühl, vom Rest der Welt abgehängt zu sein, noch nicht so verbreitet war
wie später.
Sein Markenzeichen damals war die Porträtfotografie: im privaten Umfeld,
auf Partys und im Freundeskreis, wo die Fotografierten sich extra in Pose
warfen, viele davon beim Tanz, beim Musikhören. „Es ist vor allem das Leben
einfacher Leute, das er im Bild festhält“, schrieb taz-Kulturredakteur
Julian Weber im Jahr 2008 über eine große Ausstellung von Sidibés Fotos im
spanischen Sevilla und spricht von einem „sachlichen, fast liebevollen
Blick“.
Im taz-Interview im Jahr 2000, als sein Werk im Berliner Haus der Kulturen
der Welt Station machte, erklärte Sidibé selbst seine Bilder zum Zeugnis
einer vergangenen Epoche: „Zu dieser Zeit, als ich diese Fotos gemacht
habe, waren die Leute viel sozialer, man lebte in Gruppen“, erinnerte er
sich. „In dieser Zeit gab es keinen Alkoholismus, keine Drogen – es gab
Lebensfreude (…) Allmählich denke ich, dass ich während meiner
fotografischen Karriere tatsächlich ein Stück der Geschichte meines Landes
festgehalten habe.“
## Lebensfroh und würdevoll
Malick Sidibés Werke waren auch deshalb einzigartig, weil von vielen dieser
Fotos nur ein einziger Abzug existiert. Sie gehen auf Tournee wie kostbare
Gemälde. Es dauerte bis in die 1990er Jahre, dass er auch im eigenen Land
und weltweit die entsprechende Anerkennung erhielt, mit Ehrungen und
Ausstellungen, bis zum Goldenen Löwen der Biennale von Venedig im Jahr
2007. Da war er schon alt und fotografierte kaum noch. Aber er wurde zum
Inbegriff eines gewissen Bildes eines freien, lebensfrohen und zugleich
würdevollen Mali, das sich seither am ehesten noch in der Musik fortsetzt.
Geboren wurde Sidibé 1936 in Soloba in der Region Wassoulou 300 Kilometer
von Bamako entfernt, als Sohn einer Bauernfamilie. In einem Interview
erzählte er einmal: Als kleines Kind war er Hirtenjunge, erst Schafe, dann
Rinder; als er größer wurde, durfte er auch die Felder mit bestellen. Er
schlief am liebsten draußen bei den Schafen und zog kleine Geierküken auf,
erinnerte er sich.
Als er acht Jahre alt war, kam er zur Schule. Dort erwies sich Sidibé als
hervorragender Zeichner. Sein Malgerät war Holzkohle. Er zeichnete die
Tiere und Pflanzen, die er kannte, und gewann einen Schulpreis: ein
Bildband mit dem Werk des französischen Malers Eugène Delacroix. Das war
für ihn eine Offenbarung, der Eintritt in die große weite Welt der Kunst.
Schließlich malte er Bilder von offiziellen Feierlichkeiten und wurde von
begeisterten Franzosen in die Hauptstadt zur Weiterbildung geholt: erst an
der Juwelierschule und schließlich ab 1955 in einem Fotostudio beim
Franzosen Gérard Guillat, genannt „Gégé la pellicule“ (Film-Gégé). Sein
weißer Chef fotografierte die Europäer. Sidibé durfte üben, indem er
Afrikaner fotografierte. So fing alles an.
## Zum eigenen Studio
1962, zwei Jahre nach Malis Unabhängigkeit, eröffnete Sidibé sein eigenes
Studio im Stadtteil Bagadadji von Bamako. Man ging damals aber nicht zu
ihm, um sich fotografieren zu lassen, sondern der Fotograf – wie vielerorts
in Afrika bis heute üblich – geht selbst zu den gesellschaftlichen
Anlässen, von denen er sich erhofft, dass die Leute sich gern fotografieren
lassen und dafür bezahlen.
Er ging von Party zu Party, verschoss auf jeder einen Film von 36 Bildern
und hoffte, dass er von den Abzügen welche loswürde. Besonders beliebt
wurden seine Fotos von Tanzpaaren – so sahen sich junge Verliebte erstmals
gemeinsam. Die außergewöhnliche Qualität seiner Arbeit, der eigene Stil und
die künstlerische Genialität seiner Bilder stach aber sofort aus dem
Üblichen heraus. Bald strömten die Leute zu ihm ins Studio, nicht mehr er
zu den Leuten.
Schon vor Jahren hatte er die Fotografie aufgegeben. Er kämpfte fünf Jahre
lang gegen den Krebs. Im Krankenhaus Gabriel Touré in Bamako ist Malick
Sidibé am Donnerstag gegen 19 Uhr gestorben. Nach eigenem Wunsch soll er in
seinem Geburtsdorf beigesetzt werden.
15 Apr 2016
## AUTOREN
Dominic Johnson
## TAGS
Mali
Bamako
Fotografie
Mali
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