# taz.de -- Leben mit Cannabis: Illegal bis in den Tod | |
> Ein Krebspatient hat seine Symptome mit einer Paste aus den Niederlanden | |
> gelindert. Dabei haben sich Ärzte und Pflegekräfte strafbar gemacht | |
Bild: In den Niederlanden schon seit 15 Jahren erprobt: Cannabis als Heilpflanz… | |
LEER taz | Wolfgang Keller* ist tot. Er starb vor vier Wochen mit 49 | |
Jahren. „Viel zu jung“, steht in der Traueranzeige. Wolfgang Keller hat | |
sich wütend gegen das Sterben gewehrt. Der Krebs war stärker. Noch als ihn | |
die Krankheit ans Bett fesselte, telefonierte der KFZ-Mechaniker aus der | |
Gegend von Aurich mit Kunden, machte Termine, versuchte sein Geschäft zu | |
organisieren. „Hör’doch auf“, sagte seine Frau. „Es gibt doch Wichtige… | |
Wichtiger waren die Familie, seine Frau und die Kinder. Wolfgang Keller | |
wollte mit seiner Familie leben. So lange wie möglich. Mit dem Tod im | |
Nacken und trotz der Schmerzen, die ihn quälten. | |
Sein Krebs war „austherapiert“, wie sein Onkologe sagte. Aussicht auf | |
Heilung bestünde nicht, so der Arzt. Den nahen Tod will Keller aber nicht | |
akzeptieren. Er klammert sich an jeden Strohhalm, der Hoffnung verspricht. | |
Resigniert ist er nicht, nur wütend, verzweifelt, unruhig. „Es gibt | |
Menschen, die wir nach herkömmlichem Wissen nicht mehr heilen können“, sagt | |
seine Palliativärztin Karola Wiedemann*. „Dann gilt es, das Leben erlebbar | |
und genießbar zu gestalten“, sagt die Palliativärztin. „Dafür müssen | |
Symptome der Krankheit und Nebenwirkungen der Krebstherapie wie Schmerzen, | |
Übelkeit oder Depressionen eingeschränkt werden.“ | |
Nach seiner Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs lebt Wolfgang Keller noch | |
sieben Monate. Die Chemotherapien schlagen an, Morphium lindert seine | |
Schmerzen, aber macht ihn müde. Seine Wut und seine Angst vor dem Tod kann | |
das Opiat ihm nicht nehmen. „Wolfgang schlief viel. Aber wir wollten ja so | |
viel Zeit wie möglich bewusst miteinander verbringen“, sagt seine Frau. | |
Im Fernsehen sehen sie durch Zufall einen Film über Cannabis als | |
Krebsmedikament. Der Film spielt mit der Hoffnung der Todgeweihten, | |
gerettet zu werden. Endlich sei ein „Wundermittel“ gegen den Krebs | |
gefunden, verbreitet der „Erfinder“ eines Cannabis-Extraktes, das er | |
illegal vertreibt. | |
Karola Wiedemann differenziert: „Etwa zehn Inhaltsstoffe wirken in | |
Cannabisprodukten. Wie sie genau wirken, wissen wir nicht.“ Wahrscheinlich | |
sei nur ein Wirkstoff, das Tetrahydrocannbinol, berauschend, die anderen | |
nicht. „Aber sie scheinen zu helfen, die Nebenwirkungen einer herkömmlichen | |
Krebstherapie zu mildern.“ Die Stoffe wirkten gegen Übelkeit, Müdigkeit, | |
Appetitlosigkeit, Schlaflosigkeit und vor allen Dingen gegen Schmerzen. | |
„Das zählt. Das macht Cannabisprodukte zu einer wichtigen Option in der | |
Palliativmedizin“, unterstreicht die Ärztin. „Es geht hier nicht darum, | |
einen schnellen Joint zu rauchen.“ | |
Auch Wolfgang Keller hofft auf das Wundermittel gegen Krebs. Aber gerade | |
das Mittel, welches ihm helfen könnte, ist in Deutschland verboten. Es wird | |
über die Stiftung Suver Nuver in den Niederlanden vertrieben. Informationen | |
zum Medikament und der Stiftung bekam die Familie über Franjo Grotenhermen. | |
Der Privatarzt aus Rüthen in Nordrhein-Westfalen ist selbst schwer krank. | |
Er ist Cannabis-Experte. Auf seiner Website gibt er umfassende Einblicke in | |
die Therapien von unterschiedlichen Symptomen bei schwersten Krankheiten | |
mit Cannabis-Produkten. | |
Zum Glück wohnt die Familie von Wolfgang Keller nicht weit von der | |
niederländischen Grenze. Freunde fahren rüber und beschaffen die | |
Cannabis-Paste aus den Niederlanden. Bei Bauchspeicheldrüsenkrebs klagen | |
die Patienten häufig über Rückenschmerzen. Frau Keller reibt ihrem Mann den | |
Rücken mit der Paste ein. Das Ergebnis: Keller hat so gut wie keine | |
Schmerzen mehr. Außerdem wird er ruhiger, ohne sich „abzuschießen“. „Er | |
braucht weniger Morphium, hat weniger Nebenwirkungen und ist präsent“, sagt | |
seine Frau. „Er ist bei uns.“ | |
Wolfgang Keller fragt seine behandelnde Ärztin hoffnungsvoll: „Glauben Sie, | |
dass das Cannabis-Öl auch gegen den Krebs hilft?“ Sie antwortet: „Wenn Sie | |
essen können, keine Schmerzen haben und ihre Familie erleben können, dann | |
ist das doch gut.“ Sie und der Pflegedienst decken die illegale Therapie, | |
weil sie ihrem Patienten nutzt. | |
Patient, Familie und Therapeuten haben die Grenze zur Illegalität | |
überschritten. Zwar ist die Anerkennung von Cannabis als Medikament in | |
Deutschland im Fluss, bis Ende des Jahres erwarten Experten eine Klärung. | |
Eine Gesetzesvorlage wird derzeit im Bundesgesundheitsministerium | |
erarbeitet. Aber wer jetzt Cannabis in die Krebstherapie einbaut, befindet | |
sich mit einem Fuß im Knast. | |
In den letzten Jahren hat die Bundesopiumstelle 1139 Anträge für | |
Ausnahmegenehmigungen bearbeitet. 701 Anträge wurden genehmigt. Zurzeit | |
kommen 647 Patienten in Deutschland in den Genuss, Cannabis-Extrakt oder | |
Blüten legal über Apotheken zu beziehen. Die Patienten müssen erst ihren | |
Antrag stellen und dann die Genehmigung abwarten. Das kann dauern. Dann | |
müssen sie ihre Medikamente selbst bezahlen. Eine Therapierunde kann dann | |
1.000 Euro kosten. „Nur das Fertigprodukt Sativex kann von Ärzten | |
verschrieben werden und wird dann auch von Krankenkassen bezahlt“, sagt | |
Maik Pommer von der Bundesopiumstelle. | |
In den Niederlanden oder gar in Israel, wo Cannabis-Therapien in der | |
Palliativmedizin zum Standard gehören, kosten die Produkte unter 100 Euro – | |
falls sie nicht sowieso von den Kassen übernommen werden. | |
Kurios: Auch die per Ausnahmegenehmigung erlaubten Cannabisprodukte in | |
Deutschland werden über die niederländische, staatliche Cannabis-Agentur | |
geliefert. „Sollten sich in Deutschland die Gesetze ändern, müssen wir eine | |
eigene Cannabis-Agentur aufbauen“, meint Pommer. Die muss dann erst im | |
direkten Wortsinn wachsen. Bis dahin leiden Patienten, verschulden sich | |
wegen der Kosten für ihre Medikamente oder riskieren Haftstrafen. | |
Der Weg von Wolfgang Keller, sich eine Cannabis-Paste aus den Niederlanden | |
zu besorgen, war illegal. Nach seinem Tod verschwanden die Reste seiner | |
Medikamente sang und klanglos im Müll. | |
* Namen geändert | |
25 Apr 2016 | |
## AUTOREN | |
Thomas Schumacher | |
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