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# taz.de -- Hören lernen im Museum: Der Song als Kunstwerk
> Der kristallklare Sound bläst dich um: Wolfgang Tillmans „Playback Room“
> ist ein Glücksfall für das Münchner Lenbachhaus.
Bild: Die altargleiche Bühne, mit Stereoanlage und Boxen. Installationsansicht…
Wer dieser Tage einen Nebenraum des Lenbachhauses in München betritt, wird
Zeuge eines andächtigen, nahezu sakralen Spektakels. Im Dämmerlicht einiger
Leuchtstoffröhren liegen oder sitzen Menschen in Wolfgang Tillmans
„Playback Room“, schummerig wie ein Club beleuchtet.
Es wird kein Wort gesprochen. Ein weißhaariger Zuhörer in Jeans scheint
sich sehr wohlzufühlen. Er hat seine Beine weit von sich gestreckt, seine
Brille neben sich gelegt und die Augen geschlossen. Versunken genießt er
die Musik.
Ein Mann in der zweiten Sitzreihe hingegen starrt minutenlang auf die
altargleiche Bühne: Dort steht eine Stereoanlage, ein unscheinbarer Kasten
mit ein paar Spulen, einem Display und zwei metergroßen länglichen Boxen.
Aber nicht irgendeine Anlage: Das für die Dauer der Schau geliehene Gerät
ist rund 70.000 Euro wert, quasi der Porsche unter den Musikanlagen.
Als Synthesizersequenz, Hookline und Drumbeats auf „The Beach“ einsetzen,
der Instrumentalversion von New Orders „Blue Monday“, bläst einen der
kristallklare Sound förmlich um. Es ist in der Tat ein Hörerlebnis, das den
Sound, den man über Kopfhörer auf dem MP3-Player, vom CD-Player daheim oder
aus Livekonzerten kennt, wie billigen Murks klingen lässt.
Die Lautstärke ist leiser als in einem Club, die konzentrierte Atmosphäre
ähnelt den bourgeoisen Rezeptionsorten klassischer Musik – Opernhäuser oder
Philharmonien – allein, das hier kein Instrument erklingt.
Mit dem „Playback Room“ ist Wolfgang Tillmans ein Scoop für das Lenbachhaus
gelungen, das sich unter Direktor Matthias Mühling immer mehr der Popkultur
öffnet, wie gleichzeitig mit der Schau „Electric Ladyland“ von Michaela
Melián. Tillmans geht es darum, Popmusik in die hochkulturelle
Wertschätzung zu inkludieren, erklärte er bei einem begleitenden Symposium.
„Ich hatte das Gefühl, dass Studiomusik nicht ernst genommen wird“, sagt
er, und dass es eine „Ungleichheit von Popmusik zu Sound- und Video-Art“
gebe.
„Ich habe diesen Glauben an den Song als ein perfektes, fertiges Ding. Ein
Song von New Order ist für mich ein perfektes Werk. Wie ein Sigmar Polke.“
Sein Ansatz ist dabei ein völlig anderer als der, auf den man in der
Vergangenheit schon traf, wenn Popkultur im Museum landete. Man denkt an
die Blockbuster-David-Bowie-Ausstellung, die das Victoria and Albert Museum
vor drei Jahren kuratierte. Während die Bowie-Macher etwa den
Ziggy-Stardust-Anzug von 1973 in die Vitrine stellten, ist Tillmans Ansatz
dezidiert antiobjektbezogen: Er zelebriert den immateriellen, flüchtigen
Moment von Musik. Kurz, die Essenz, eben das, was bleibt, wenn man Image
und Style eines Popstars eliminiert. Musik „ohne Starkult und
Memorabilien“.
Was er nicht wolle, sei „den DJ ins Museum zu bringen“. Sondern: Popmusik,
wie sie sonst nur der Künstler hinter verschlossenen Türen als finale
Aufnahme im Studio hört, ein Sound, an dem monatelang getüftelt wurde. Und
der wird nun in einem fast schon demokratischen Prozess einer breiten
Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Tillmans Rolle ist die des reflektierenden wie passionierten Fans. Er
beschreibt sich als jemanden, der immer die Nähe zu Musikern gesucht habe,
„aus Verehrung“. Wenn er erzählt, wie so manches Musikerporträt von ihm
zustande kam, wirkt er nicht wie einer der gefragtesten Fotografen der
Welt, sondern wie ein Musikenthusiast, der für seine Lieblingsband auch
eine Stunde in der Kälte vor einem Club Schlange stehen würde.
## Morrissey hinter Mikrofonständern
Er erzählt von einem Tag, als er vor seiner Plattensammlung daheim saß und
eine „fantastische 12 Inch“ von Moby in den Händen hielt und dachte, „die
ist so super. Und am selben Nachmittag ruft jemand an und fragt, willst du
Moby fotografieren?“, erzählt er lachend.
Eines von vielen großartigen Tillmans-Musikerporträts gilt Morrissey: Er
hat den großen Morrissey dazu gebracht, sich auf den Boden eines Studios zu
legen und ihn hinter einer Armada an Mikrofonständern fast zum Verschwinden
gebracht. Er hat Lady Gaga auf eine Parkbank gesetzt und sie in schwarzem
BH und Netzstrümpfen so natürlich und verletzlich wie sonst niemand
fotografiert. Er hat für die Pet Shop Boys das Video zur Single „Home and
dry“ gedreht, in dem Mäuse auf den Bahngleisen der Londoner U-Bahn-Station
Tottenham Court Road herumwuseln.
Der Playback Room ist neben diesen fotografischen Arbeiten eine Fortführung
eines Herzensthemas Tillmans, das ihn bereits seit über 20 Jahren
beschäftigt. Schon 1994 kuratierte er den „Salle Techno“ im Musée d’Art
Moderne de la Ville de Paris und beschallte ihn mit House und Techno. 2014
gab es die Installation „American Producers“ im Ausstellungsraum „Between
Brigdes“, den der Turnerpreisträger in Berlin betreibt. Dass seine Idee nun
ihre Vollendung in einem etablierten Museum wie dem Lenbachhaus findet, ist
bemerkenswert. Seine Vision ist damit im Bürgertum angekommen, statt wie
bisher eine Nische zu bespielen.
1 Apr 2016
## AUTOREN
Annette Walter
## TAGS
Schwerpunkt Brexit
Cyborg
Fotografie
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