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# taz.de -- Ausstellung Wolfgang Tillmans: Wo Ambient war, wird Ambition
> Der Hamburger Bahnhof in Berlin zeigt eine Retrospektive des Werks von
> Wolfgang-Tillmans. Dieser testet in seinen jüngsten Fotoserien erneut die
> Möglichkeiten des Trägermaterials.
Bild: Wolfgang Tillmans: Paper drop (Berlin), 2007
Man mag gar nicht aufhören, "Freedom from the Known Empire (US/Mexico
Border)", das riesige Schwarz-Weiß-Format eines Grenzübergangs zwischen den
Vereinigten Staaten und Mexiko aus dem Jahr 2005, zu studieren. Die
großartige Fotografie zeigt Wolfgang Tillmans als politisch wachen
Zeitgenossen. Die vielfältigen Formen der provisorischen Baracke wie die
harte beständige Architektur des Grenzzauns markieren den aufgenommenen Ort
als Zone staatlicher Macht. Das bekannte Imperium definiert denn auch die
alltäglichen rites de passage, denen sich die Menschen im Bild unterwerfen
müssen, um nach Mexiko zu gelangen. Alle haben sie dem Betrachter den
Rücken zugekehrt.
"Freedom from the Known Empire" bildet den fulminanten Auftakt von
"Lighter", der großen Wolfgang-Tillmans Retrospektive im Hamburger Bahnhof,
Berlins Museum für Gegenwartskunst. In der Aufnahme kann die klassische
Reportagefotografie bewundert, aber auch Laszlo Moholy-Nagy entdeckt
werden, ganz beiläufig: seine formalen Studien über den Schattenwurf von
Balkongittern oder anderen Eisenkonstruktionen nach der Devise: Fotografie
ist reine Lichtgestaltung.
"Freedom" ist eingebettet in eine Reihe selten gezeigter
Schwarz-Weiß-Kopien aus den 80er-Jahren, früher medienreflexiver
Experimente, mit denen sich Wolfgang Tillmans der Fotografie näherte. Einst
sah man in ihnen den Ausgangspunkt, von dem aus der Künstler die
Imageproduktion der Medien in die Normalität seiner Generation und ihres
semiprivaten Alltags zwischen Techno, Dresscodes und dem, was nach der
Clubnacht übrig bleibt, überführte. Nun scheinen sie direkter
Anknüpfungspunkt für seine neuesten Arbeiten zu sein. Denn in den Serien
"Lighter" (2006-08), "Freischwimmer" (2003-05) und "Paper drops" (2001-07)
im Zentrum der Schau testet Tillmans erneut die Möglichkeiten des
fotografischen Trägermaterials. Moholy-Nagy hat in diesen kameralosen
Farbfotogrammen, den pinkfarben, blau, grün oder violett aufflammenden
abstrakten Farbverläufen, die Oberhand gewonnen. Das Studio und ein in
kostbaren Plexiglaskästen zur Schau gestellter, experimenteller Hochglanz
haben die Welt und das mediale Flimmern der Images und deren lässiger
Hängung verdrängt.
Gewiss, Tillmans zeigt eine Abstraktion ohne Pathos. Denn der Kante, die
das Grün vom Rot trennt, liegt nicht die subjektive Setzung des Künstlers
zugrunde, sondern ein technisch manipulierbares, industrielles
Entwicklungsverfahren. Nur oberflächlich lassen die schwarzen Schlieren der
"Freischwimmer" also an Jackson Pollock denken. Tillmans biegt sein
Fotopapier im eye candy seiner "Paper drops" zur Industrial-, ja geradezu
zur Minimal-Abstraktion. So betrachtet, könnte sein Experiment als späte
Antwort auf Donald Judds Aluminiumboxen gelten. Und ähnlich wie Donald
Judds kühle Kunst-Kisten hart an der guten Form entlangschrammen (weswegen
ihn der Schweizer Inneneinrichter Lehni 1984 schließlich als Möbeldesigner
gewinnen konnte), tendieren auch Tillmans - dann doch noch handwerklich
geknitterte und gefaltete - Hochglanzprints zum Kunstgewerbe und
fotografischen Konfektpapier.
Vielleicht verursacht ausgerechnet die Hängung den faden Geschmack eines
zunehmend sterilen, akademischen Werks. Tillmans kleine Videofilme, in
denen grüne Erbsen im Wasserbecken strudeln oder eine Druckwalze Rot vor
sich hinwalzt, könnten diesen Eindruck verstärken. Glücklicherweise halten
sie aber nicht damit hinterm Berg, dass sie Versuche sind: Experimente
eines genauen, langen, auch mal haltlosen Hinschauens.
Warum also Tillmans die "Feuerzeug"-Abstraktionen in Plexiglassärgen
beerdigt hat, bleibt ein Rätsel. Der Raum jedenfalls, der die Installation
rekonstruiert, mit der er 2000 den Turner Prize gewann, zeigt einen ganz
anderen Impetus. Während in den Vitrinen die rege Publizistik des
Chronisten der 90er-Jahre zirkuliert, deklinieren sich die unregelmäßigen
Cluster aus überdimensionalen Digitalprints, ausgerissenen Zeitungsseiten,
Farbabzügen in Fotoalbumgröße und perfekt aufgezogenen Diasecs da noch
durch die Grammatik der Visual Culture. Doch wo Ambient war, soll Ambition
werden. Anstelle des Blicks aus dem Flugzeug auf die Turbine, die im Himmel
hängt, anstelle des Faltenwurfs flüchtig hingeworfener Klamotten, eben der
Gemengelage des Alltags, die den mäandernden Fluss der Bilder bestimmte,
herrscht nun das strenge Raster der Konzeptkunst, die schwarzen Quadrate
eines "Memorial for the Victims of Organized Religions" (2006), die,
subtil, subtil, vereinzelt auch blau schimmern.
Zum Glück konterkariert im Fortgang durch die Rieckhallen das "Truth Study
Centre" diese Avantgarde. Das ausufernde Tischlabyrinth versammelt eigene
wie gefundene Fotos, Buchtexte und vor allem Zeitungsausschnitte, aber auch
eine Riesenschachtel Milka Millennium Edition oder eine Jubiläumstasse zum
Einhundertsten von Queen Mum. Die Wirkung der Installation entfaltet sich
in der Aussage - und nur nebenbei in der Form - des Materials, das von
Rechtsradikalismus, Homophobie und den vielen anderen Konflikten und
Problemen handelt, die ein gesellschaftlich mehr und mehr um sich
greifender, rechtgläubiger Dogmatismus heraufbeschwört, wie Wolfgang
Tillmans sagt. Da sei seine Kunst vor. Aber bitte wieder als aktuelle,
letzte Lockerung.
24 Mar 2008
## AUTOREN
B. Werneburg
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