Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- TV-Nachrichtendramaturgie und Brüssel: Tote, Rauch und Synthieklä…
> Einige Sendungen unterlegen die Bilder zu den Brüsseler Anschlägen mit
> Soundtracks. Das sendet die falsche Botschaft an Täter und Opfer.
Bild: Die Toten in Brüssel sind real. Ohne Musikuntermalung
Berlin taz | Es klang wie die Musik aus einem Hollywoodthriller: Tiefe,
wabernde Synthiesounds, die an- und abschwellen, mit viel Hall unterlegt,
dazu in einer höheren Lage ein paar klagende Streicherklänge. Die
Musikuntermalung war im ARD-Brennpunkt am Dienstagabend zu den Bildern von
den Brüsseler Attentaten zu hören. Der „Brennpunkt“ ist eigentlich eine
Nachrichtensendung.
Zu den Synthieklängen taumelten Verletzte durch den Rauch in der
Abfertigungshalle des Brüsseler Flughafens. Einige stützten sich
gegenseitig, einige lagen auf dem Boden, vielleicht tot. Der Soundtrack gab
den Szenen aus dem verwackelten Handyvideo etwas Apokalyptisches und dieser
Effekt hielt an, als man die Klänge auch noch den Reden von Bundespräsident
Joachim Gauck und Bundeskanzlerin Angela Merkel unterlegte.
Muss das sein? Mit hollywoodreifer Filmmusik verschafft man den
Sprengstoffbastlern vom IS die ganz große Bühne. Jede Pathetisierung müsste
sich allein schon deswegen verbieten. Vor allem aber: Was passiert
eigentlich, wenn Verletzte oder gar die Angehörigen von Todesopfern im
Fernsehen solche Nachrichtensendungen sehen, in denen ihr real erlebtes
Leid, das zufällig von einer Handykamera gefilmt wurde, mittels Soundtrack
zu Szenen wie in einem Thriller aufgemotzt wird?
[1][Die Einspielung im „Brennpunkt“] kam vom WDR. Dort sieht man kein
Problem. Es gebe keine generelle Linie zum Musikeinsatz in Brennpunkten,
sagt auf taz-Anfrage eine WDR-Sprecherin. „Wir als WDR verwenden im
Brennpunkt dann Musik, wenn es aus unserer Sicht die Lage gebietet“. Man
verfolge die Linie, „Bilder und Töne den Zuschauern angemessen zu
präsentieren“.
Der WDR vertritt diesen Standpunkt nicht alleine. Auch im [2][Heute Plus]
-Journal des ZDF wurde in der Nacht zu Mittwoch kurz nach Null Uhr ein
aufgemotztes Video ausgestrahlt. Als man darin die mutmaßlichen Attentäter
und Komplizen vorstellte, verdeutlichten tiefe Wabersounds deren
Gefährlichkeit. Zu den Szenen nach der Explosion in der Abfertigungshalle
ertönte tiefes Brummen und ein verhallender Gong, damit auch jeder kapiert,
das hier was ganz Schlimmes passiert ist. Jeder künftige Attentäter kann so
erst recht hoffen, mittels Sprengstoffpaket eine bedeutsame Figur in der
Weltgeschichte zu werden.
## Sortiment zur Gefühlsverstärkung
Für viele ZuschauerInnen wirkt diese klangliche Dramatisierung abscheulich.
Man hat sich ja dran gewöhnt, dass manche Radiosender die Nachrichten nur
noch zu wummernden Sounds verlesen lassen und selbst Staumeldungen nicht
ohne musikalische Untermalung auskommen, „Musikbett“, sagen Experten dazu.
Auch kennt man aus Fernsehserien das musikalische Sortiment zur
Gefühlsverstärkung, dass sich eher bekannter Instrumentenklänge bedient:
Tiefste Streicher bei drohendem Unheil, hohe Geigen für Liebesdinge,
pupsende Basstubaklänge wenn es lustig wirken soll.
Die höhere Kunst führen Hollywoodkomponisten wie Hans Zimmer vor: Sie
verwenden traditionelle Instrumente in Kombination mit eigens erfundenen
Synthieklängen, die aus dem Nirgendwo zu kommen scheinen und nie kleine,
sondern nur große Gefühle wecken sollen.
Doch real erlittenes Leid buchstäblich zu „instrumentalisieren“, um die
Gefühle beim Zuschauer zu verstärken und somit den Voyeurismus im
Wohnzimmersessel zu fördern- das ist ein bisschen eklig. Das gilt nicht nur
für das Untermalen von verwackelten Amateuervideos des Massenmordes in
Brüssel, sondern auch für das Aufmotzen von TV-Dokumentationen über
verzweifelte Flüchtlinge, die durch den Schlamm stolpern.
Es gibt eine Menge guter Soundtracks zu Bildern von Gewalt und Tod. Musik
und Klänge, die genauer zu studieren wirklich spannend ist. Man braucht nur
zu warten, bis der nächste „Tatort“ im Fernsehen kommt. Nach dem
„Brennpunkt“, zum Beispiel.
23 Mar 2016
## LINKS
[1] http://www.ardmediathek.de/tv/Brennpunkt/Terror-in-Br%C3%BCssel/Das-Erste/V…
[2] http://www.zdf.de/ZDFmediathek/kanaluebersicht/aktuellste/1427676#/beitrag/…
## AUTOREN
Barbara Dribbusch
## TAGS
Schwerpunkt Islamistischer Terror
Brüssel
Nachrichten
Schwerpunkt Islamistischer Terror
Schwerpunkt Islamistischer Terror
Belgien
Schwerpunkt Islamistischer Terror
## ARTIKEL ZUM THEMA
EU-Grüner über Sicherheit: „Mehr Geld und mehr Polizei nötig“
Jan Philipp Albrecht fordert eine bessere Zusammenarbeit in der EU, mehr
Geld und Personal. Sozialarbeiter sollen Brennpunkte ausspähen.
Belgien nach den Anschlägen: Der Esprit von Brüssel
Europas Hauptstadt lässt sich nicht unterkriegen. Statt nationalistischem
Pathos prägen Humor und Hohn die Reaktionen auf die Anschläge.
Pressestimmen zu Brüsseler Anschlägen: „Einigkeit macht stark“
Von bestürzt bis kämpferisch schwanken die Kommentare der internationalen
Medien zu den Brüsseler Anschlägen weltweit. Ein Überblick ...
Kommentar Terror und Schuldzuweisung: Brüssels fataler Fehler
Die Attentate zeugen von Sicherheitsproblemen. Doch die beschränken sich
nicht auf Molenbeek in Brüssel – morgen kann es auch Deutschland treffen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.