Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Urteil zur Kostenübernahme bei Brust-OP: Die Kasse muss zahlen
> Eine Frau hat sich vorsorglich die Brüste abnehmen lassen. Nun muss die
> Kasse die OP zahlen. Ein Urteil, das Folgen haben könnte.
Bild: Per Magnetresonanz-Mammographie festgestellter Brustkrebs.
Berlin taz | Frauen, die wegen einer Genmutation ein stark erhöhtes Risiko
haben, im Laufe ihres Lebens an Brustkrebs zu erkranken und sich deswegen
vorsorglich die Brüste abnehmen lassen, müssen die Operation keineswegs
selbst bezahlen. Sie haben vielmehr Anspruch darauf, dass ihre
Krankenversicherung ihnen die Kosten für die so genannte Mastektomie
komplett erstattet. Das entschied der Hessische Verwaltungsgerichtshof in
Kassel am Donnerstag.
Auch ein mutiertes Gen stelle eine Krankheit dar, erklärte das Gericht. Der
Brustkrebs selbst müsse also keineswegs schon ausgebrochen sein, damit eine
Frau Anspruch auf eine Therapie und deren Kostenübernahme durch die
Versicherung habe. Im konkreten Fall muss nun das Land Hessen – in Gestalt
seiner Beihilfestelle – die Kosten für die Brustoperation einer
Landesbeamtin rückwirkend erstatten.
Geklagt hatte die heute 41-jährige Finanzbeamtin Nadine Prahl aus Hessen.
Nachdem mehrere Frauen in ihrer Familie, darunter ihre Mutter, sehr jung an
Brust- oder Eierstockkrebs erkrankt oder verstorben waren, hatte Prahl sich
2011 auf das Brustkrebsgen BRCA testen lassen. Das Ergebnis war alarmierend
– es fiel positiv aus. Die Ärzte sagten Prahl damals, dass sie als Trägerin
des defekten Gens ein lebenslanges Risiko, an Brustkrebs zu erkranken, von
90 Prozent habe.
Bei der US-Schauspielerin Angelina Jolie, die sich wegen BRCA
vorsichtshalber beide Brüste abnehmen und später auch die Eierstöcke
entfernen ließ, lag das Risiko zu erkranken bei 87 Prozent. Die
Erkrankungswahrscheinlichkeit in der Normalbevölkerung liegt bei zehn
Prozent.
Nadine Prahl ließ sich daraufhin – nach intensiver medizinischer Beratung –
im Herbst 2014 vorsorglich beide Brüste abnehmen. Als Faustformel gilt:
Frauen mit mutiertem BRCA-Gen, die sich vorbeugend einer Mastektomie
unterziehen, also das komplette Brustdrüsengewebe entfernen lassen, senken
ihr Erkrankungsrisiko auf unter zwei Prozent.
## Genetischen Disposition ist eine Krankheit
Auf den Kosten für die beidseitige Brust-OP, 13.000 Euro insgesamt, blieb
Prahl jedoch zu 60 Prozent sitzen. Die Beihilfe des Landes Hessen, die
zusammen mit der privaten Krankenversicherung (PKV) die medizinische
Versorgung von Landesbeamtinnen erstattet, weigerte sich, ihren Anteil von
60 Prozent zu zahlen.
Die PKV immerhin übernahm 40 Prozent der Kosten. Die Beihilfe dagegen
argumentierte, dass „allein das Vorhandensein einer bestimmten genetischen
Disposition“ noch keine Krankheit darstelle, jedenfalls nicht „im
beihilferechtlichen Sinne“. Prahls „Körperfunktion“ werde „durch das
Vorhandensein dieses Gens nicht beeinträchtigt“.
Am Donnerstag nun stellte das Gericht klar, dass die BRCA-Genmutation sehr
wohl eine Krankheit darstellt. Für die Beihilfe bedeutet das, dass sie die
Behandlung bezahlen muss. Nadine Prahl bekommt nun nicht nur die Kosten für
die Mastektomie erstattet, sondern sie kann davon ausgehen, dass sie sich
demnächst auch die Eierstöcke – wie von ihren Ärzten empfohlen – auf Kos…
der Beihilfe und der privaten Krankenversicherung entfernen lassen darf.
## Grundsätzliche Klärung steht aus
Von der Kasseler Entscheidung dürfte Signalwirkung ausgehen. Denn die
Frage, welchen Rechtsanspruch Frauen haben sollen, die mit einem genetisch
bedingten Brustkrebsrisiko leben, beschäftigt nicht nur die Beihilfe,
sondern auch die gesetzlichen und privaten Krankenkassen. Bislang beruhen
etwaige Kostenübernahmen durch die Kassen ausschließlich auf
Einzelfallentscheidungen; eine grundsätzliche, gesetzliche Klärung des
Problems steht aus.
Experten gehen davon aus, dass fünf bis zehn Prozent der jährlichen rund
70.000 Brustkrebserkrankungen in Deutschland auf eine familiäre Veranlagung
zurückgehen. Sollten viele dieser Frauen sich zur einer vorsorglichen
Operation entschließen, dann, so befürchten Sozial- und
Gesundheitspolitiker, geriete die klassische Definition von Krankheit,
wonach ein krankhafter Befund vorliegen muss, um einen Eingriff zu
rechtfertigen, ins Wanken.
Die Folgen für das Leistungsrecht sind bislang noch nicht absehbar.
Politisch zu klären bleibt nun die Frage, ob künftig auf Kosten der
Solidargemeinschaft statt Krankheiten Risiken behandelt werden sollen und
dürfen. Gegen die Entscheidung wurde Revision beim Bundesverwaltungsgericht
zugelassen.
10 Mar 2016
## AUTOREN
Heike Haarhoff
## TAGS
Brustkrebs
Krankenkassen
Gesundheitspolitik
Krankenversicherung
Ärzte
Genetik
Brustkrebs
## ARTIKEL ZUM THEMA
Aktivistin über Eierstockkrebs: „Wir müssen übers Sterben reden“
Andrea Krull ist die Gründerin des Vereins Eierstockkrebs Deutschland. Ein
Gespräch über Hoffnung und Unterstützung.
Höhere Kosten für Krankenversicherung: Beiträge sollen spürbar steigen
In den kommenden Jahren sollen Versicherte immer mehr für die
Krankenversicherung zahlen. Bis 2019 soll der Zusatzbeitrag von 1,1 Prozent
auf 1,8 Prozent steigen.
Individuelle Gesundheitsleistungen: Ärzte schröpfen Patienten
Krankenkassen üben scharfe Kritik an Zusatzleistungen. Ärzte nutzten das
Vertrauensverhältnis „schamlos“ aus. Ein teurer Spaß.
Ethiker über Präventionsgesellschaft: „Lernen, mit Risiken umzugehen“
Wir sind auf dem Weg zu einer Präventionsgesellschaft, sagt der Ethiker
Peter Dabrock. Ein Risiko dabei sei, dass aus dieser Chance eine Pflicht
zur Prophylaxe wird.
Gendiagnostik, Brustkrebs und die Folgen: Eine Frage des Befunds
Nadine Prahl hat das Brustkrebsgen BRCA geerbt und ließ sich die Brüste
vorbeugend abnehmen. Nun streitet die Finanzbeamtin um die Kosten.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.