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# taz.de -- Guy Debords „Kriegsspiel“: Repräsentation des Kriegs
> Spiel, Kunstwerk, Anleitung: Guy Debords und Alice Becker-Hos
> „Kriegsspiel“ liegt nun auf Deutsch vor. Ein wunderbar sperriges Werk.
Bild: Auch eine „Repräsentation des Kriegs“: SoldatInnen der Bundeswehr in…
Ursprünglich war es als Spiel konzipiert, dann aber wurde es Kunst. Als „Le
‚Jeu de la Guerre‘ “ von Guy Debord und Alice Becker-Ho, das nun auch auf
Deutsch unter dem Titel „Kriegsspiel“ vorliegt, 1987 in Frankreich
erschien, da trug es den Untertitel „Geländeskizzen der aufeinander
folgenden Positionen der gesamten Streitkräfte im Laufe einer Partie“, die
Debord mit seiner Frau Alice Becker-Ho gespielt hat. Die Partie dauerte
ungefähr zwei Stunden, und es fanden 110 Spielzüge statt, die alle, mit
einem Kommentar versehen, dokumentiert wurden.
Als Spielanleitung taugt so etwas nicht wirklich. Und auch die mehr als 20
Seiten umfassende Erläuterung der Spielregeln lässt sich nicht ohne
Probleme anwenden. Becker-Ho räumt in einer Neuauflage des Buches Fehler
ein, und auch der deutsche Übersetzer Ronald Voullié, der den nicht
einfachen Stoff hervorragend gemeistert hat, entdeckte noch regelwidrige
Züge.
Und wenn schließlich bei Debord zu lesen ist, dass das „Kriegsspiel“ „den
Gesetzen der Theorie von Clausewitz“ folgt, also „auf dem Modell des
klassischen Krieges des 18. Jahrhunderts“ beruht, „erweitert um die Kriege
der Französischen Revolution und des französischen Kaiserreichs“, dann
liegt die Vermutung, dass das Spiel einer gewissen Vorbereitung bedarf,
doch ziemlich nahe.
Denn Debord gibt zu verstehen, dass man nicht nur Clausewitz, sondern auch
Jomini und Sun Tse gelesen haben sollte. In Großbritannien kam das
„Kriegsspiel“ mit Spielbrett, Infanterie, Kavallerie und Artillerie heraus,
aber selbst in Frankreich ging niemand davon aus, dass Leute sich der Mühe
unterziehen würden, das Kriegsspiel zu erlernen.
## „In girum imus nocte et consumimur igni“
Mitte der 50er Jahre dachte sich Debord das „Kriegsspiel“ aus. 1965 meldete
er es als Patent an, und 1977 gründete er mit seinem Freund und Verleger
Gérard Lebovici eine Firma, die die Produktion, Publikation und Verwertung
des Spiels vorantreiben sollte. Ein Kunsthandwerker stellte vier oder fünf
Exemplare des Kriegsspiels mit ziselierten Figuren aus versilberten Kupfer
her. Ein Exemplar wurde dann 2013 in der großen Ausstellung des Nachlasses
von Debord in der Bibliothèque nationale gezeigt.
Dieses Spiel hat Debord sein Leben lang nicht losgelassen. Nicht nur
erschienen auf sein Betreiben hin im Verlag Champ Libre viele Bücher von
Kriegstheoretikern, Debords intensive Beschäftigung mit diesem Thema
schlägt sich auch in seinem theoretischen Hauptwerk „Die Gesellschaft des
Spektakels“ nieder und ging so weit, dass er seine Rolle während des Mai 68
als Protagonist der Situationistischen Internationale in Begriffen der
Kriegsführung dachte, wie in seiner filmischen Rückschau „In girum imus
nocte et consumimur igni“ deutlich wird, wenn er davon spricht, „mehr oder
weniger starke Einheiten im richtigen Moment ins Gefecht zu werfen“ und als
Illustration Ausschnitte aus Filmen über den amerikanischen
Sezessionskrieg, eine in Formation reitende Kavallerie, Eisensteins
„Panzerkreuzer Potemkin“ und das „Kriegsspiel“ selbst gezeigt werden.
Auf das „Kriegsspiel“, so Debord nicht ohne Stolz, trifft zu, was Marco
Girolamo 1529 über Schach gesagt hat: „Ludimus effigiem belli“ – was wir
hier spielen, ist eine Repräsentation des Krieges. Diese Repräsentation
bringt jedoch Einschränkungen mit sich, denn einige Faktoren, die im Krieg
eine entscheidende Rolle spielen, können im „Kriegsspiel“ nur „unzureich…
abgebildet“ werden, wie Debord schreibt. Weder der Zufall noch die
klimatischen Bedingungen und die Moral oder die Erschöpfung der Truppen
lassen sich darstellen. Dennoch ist Debord überzeugt, dass das
„Kriegsspiel“ „exakt sämtliche Faktoren, die im Krieg eine Rolle spielen,
und noch allgemeiner: die Dialektik aller Konflikte reproduziert“.
Um das bestätigt zu finden, muss man sich auf ein Wagnis einlassen, das
nichts mit der bei Brettspielen intendierten Zerstreuung zu tun hat,
sondern wirkliches Interesse voraussetzt, aber Debord ist ja auch nicht
dafür bekannt, dass er es einem dabei hätte leicht machen wollen. Ein
wunderbar sperriges Werk, das den Charme der Unnahbarkeit versprüht.
16 Mar 2016
## AUTOREN
Klaus Bittermann
## TAGS
Michel Foucault
Kunsthalle
Schwerpunkt 1968
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