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# taz.de -- Fast schon wie Malerei: Collagen aus abgekratzten Plakaten
> Die Kunsthalle Emden zeigt in der Ausstellung "Ganz schön gerissen" die
> Arbeiten des kommunistischen Künstlers Asger Jorn.
Bild: Zeigt gerade Collagen als Gegenentwurf zum Alltag: Kunsthalle Emden.
EMDEN taz | Collage und Malerei sind durchaus miteinander verwandt.
Gemeinsam haben sie ihre plane Fläche, auf die etwas auf- und dann
vielleicht auch wieder abgetragen wird. Auch wenn Farbe und Papier als
recht unterschiedliche Materialien erscheinen. Der dänische Maler Asger
Jorn widmete sich einige Jahre lang ganz den Collagearbeiten. Und schuf
dabei Werke, die seinen gemalten Bildern sehr ähnlich sind.
Einen Großteil dieser Papierarbeiten zeigt zurzeit die Kunsthalle Emden.
Ihr Titel „Ganz schön gerissen“ spielt auf Jorns Arbeitsweise an. Er
verwendete selten die Schere, stattdessen riss er seine Materialien. Der
schlechte Humor im Titel passt ganz gut zu dem piefigen friesischen Museum.
Für diese Ausstellung und den hervorragenden Katalog kann man aber wirklich
dankbar sein.
Asger Jorn wurde 1914 im dänischen Jütland geboren. Er war Mitglied von
Cobra, einer Gruppe, in der sich Künstler aus Kopenhagen, Brüssel und
Amsterdam zusammengeschlossen hatten. Berühmt wurde er mit seinen
Übermalungen alter Ölbilder.
Jorn malte in die Szenerien längst verstorbener Kollegen des 19.
Jahrhunderts seltsame Wesen, Monster und Strichmännchen. Als
kommunistischer Künstler beteiligte er sich in der Situationistischen
Internationale. Nach seinem internationalen Durchbruch zu Beginn der
1960er-Jahre finanzierte er die Aktivitäten der Gruppe maßgeblich.
Jorn fertigte seine Collagen aus Plakaten, die er an den Mauern und Zäunen
der Städte fand. Er brachte riesige, dicke Schichten neben- und
übereinander geklebter Plakate in sein Atelier. Dort ordnete er seine
Beute, wählte aus, riss auseinander, setzte neu zusammen und fügte hier und
da Farbe hinzu.
Wie bei seinen Ölgemälden entstanden so an informelle Malerei erinnernde
Bilder, die sich jedoch zwischen abstrakter Form und Gegenständlichkeit
nicht so recht entscheiden wollten. Figürlichkeit wird zwar hier und dort
von ihm nahegelegt, sie ist jedoch nie zwingend. Möglich ist immer auch ein
bloßes Wuchern von Formen und Farben.
Die Einladungskarte der Emder Ausstellung ziert ein solch seltsames Bild.
In einen hölzernen Rahmen eingefasst sieht man ein kleines Männchen mit
riesengroßem Kopf und dicker Nase. Jorn hat es in übereinander gekleisterte
Plakate hinein gerissen. Die oberste Schicht ist nahezu monochrom
dunkelblau. Sie bildet den Hintergrund. In der Mitte hat der Künstler sich
in die Tiefe des Pappmaché vorgearbeitet und hellere Farben freigelegt.
Natürlich konnte er nicht wissen, wie sich die Farben und Formen auf den
überklebten Plakaten verhalten – aber wie es der Zufall wollte, ordneten
sie sich zu jener dicknäsigen Gestalt an. Beine und Augen betonte er
nachträglich mit dem Pinsel. Die kleine Figur entstand so erst allmählich,
indem Jorn seinen papierenen Fund bis in seine tiefer liegenden Schichten
hin erforschte.
Die Technik des Reißens, der sich Jorn beim Erstellen seiner Collagen
bediente, verstärkte ihren gestischen Charakter. Ein Riss ist
unberechenbarer als ein Schnitt. Gleichzeitig ist der Weg vom Kopf zum
Material unmittelbarer. Plötzliche Impulse werden direkt umgesetzt.
Jorn liebte das Spontane und Unkontrollierbare. Seine Bilder sind geprägt
von Dilettantismus und kindlicher Freude am Unsinn. Sie sind nicht
konstruiert. Weder die geklebten noch die gemalten. Vielmehr sind sie
Resultate anarchischer Zusammenkünfte, wilder Gelage unterschiedlicher
Materialien, Farben und Papierschnipsel.
Bestechend ist die gleichzeitige Nähe und Ferne der Klebebilder zur äußeren
Wirklichkeit. Das verwendete Papiermaterial kommt direkt aus dem Alltag der
Straße. Es gibt dieses realistische Ideal in der Kunst, diese möge so nah
an die Wirklichkeit herankommen wie nur irgendwie möglich. Als ästhetisches
Nachempfinden oder praktische Angleichung. Ein Bild, das aussieht, wie ein
Stück Plakatwand oder ein Stück Plakatwand, das zum Bild erklärt wird.
Großartig an Jorns Collagen hingegen ist das Paradox, dass er das
Alltagsmaterial nutzt, um einen Gegenentwurf zu eben jenem Alltag zu
schaffen und ihm so zu entfliehen. Der bildliche Inhalt seiner Arbeiten und
sein Formenvokabular haben mit der wirklichen Welt nur wenig zu tun.
Das entspricht in etwa Jorns politischer Praxis. Als Gründungsmitglied der
Situationistischen Internationale engagierte er sich mit Theoretikern und
Künstlern wie Guy Debord, Michelé Bernstein, Karel Appel und Constant für
einen radikalen gesellschaftlichen Bruch. Die technischen und auch medialen
Errungenschaften der Warengesellschaft sollten aus ihrem funktionalen
Zusammenhang gelöst und ins Spiel überführt werden.
Das war kein Steinzeitkommunismus. Die bisher entwickelten technischen
Möglichkeiten sollten ganz in den Dienst der Erweiterung von Erfahrungen,
der Lust und des Spiels gestellt werden. So sah für die Situationisten die
Vision der befreiten Gesellschaft aus.
In Jorns Collagen wird dieses Ideal im Kleinen realisiert. Die Plakate
werden ihrer Aufgabe, für Waren und Ideologie zu werben, entledigt. Ihre
Bestandteile, ihre Reste wechseln in den Bereich der Fantasie. Sie werden
zu seltsamen Mustern, Landschaften und Lebewesen. Als gesellschaftliches
Material weisen sie den Weg hinaus aus dieser Gesellschaft.
## „Ganz schön gerissen“: bis 18. Januar, Kunsthalle Emden, Hinter dem
Rahmen 13
7 Jan 2015
## AUTOREN
Radek Krolczyk
## TAGS
Kunsthalle
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