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# taz.de -- Weltgrößte Kunstmesse in Maastricht: Den Renoir an die Bürotür …
> Kunstkauf kann ein diffiziles Zockerbusiness sein, weiß Till-Holger
> Borchert. Er ist Profishopper für staatliche Museen.
Bild: Die Besucher der Kunstmesse bewundern einen Rembrandt im Original.
Maastricht taz | Till-Holger Borchert schwitzt. Gelegentlich kommen noch
kleine rote Flecken im Gesicht dazu. Es ist aber auch warm hier, voll und
darum anstrengend: Bei unserem Rundgang über die Tefaf in Maastricht, kurz
für The European Fine Art Fair, der größten Kunstmesse der Welt, gilt es
ständig wen zu grüßen, Smalltalk in vier Sprachen. Ca va, hello, wie
geht’s, tot ziens. Borchert, 50, scheint fast alle hier zu kennen; ein
bunter Hund im grauen Anzug.
Der gebürtige Hamburger arbeitet seit 16 Jahren „als Exildeutscher“, wie er
sagt, in den Museen der mittelalterlichen belgischen Touristenmetropole
Brügge. Seit dem Vorjahr als Generaldirektor. Jetzt geht er shoppen. Vorbei
an hallenhohem weißen Marmor, über fast matratzentiefe Auslegware und das
helle Holzparkett in der Eingangslounge, auf dem sich die Schritte der
Damenschuhe zu einem rhythmischen Schlagwerkkonzert verdichten.
Borcherts Spezialgebiet sind flämische Gemälde aus dem 15. und 16.
Jahrhundert und der Neoklassizismus. „Das ist unsere Kernkompetenz.“
Verfügbares Budget: rund 750.000 Euro jährlich, „ein Euro pro verkaufter
Eintrittskarte in den Brügger Museen“. In den vergangenen Jahren sei man
mit Zukäufen zurückhaltend gewesen und habe „einiges angespart“. Dadurch
sei es „durchaus möglich, Opportunitäten zu nutzen“, sagt er. So heißen
wohl Schnäppchen auf höherem Niveau.
Dennoch: Öffentliche Geldtöpfe sind Peanuts gegenüber privaten
Multimillionären. Die kommen gern mit dem Privatjet. Auf dem kleinen
Flughafen von Maastricht sind Parkplätze rar bei 350 Maschinen pro Jahr,
viele aus Übersee. Ja, den gebe es wohl, sagt Borchert, den reichen
Amerikaner, der eine Millionenpreziose unterm Arm im Privatflieger in die
neue Welt apportiert. „Das erzählt man. Nur gesehen habe ich es noch
nicht.“ Geht ja auch sehr diskret zu.
## Schnäppchen mit Niveau
Borchert sagt, er wolle etwas Besonderes zeigen. Und schnauft zielsicher
los durch das Labyrinth der Gänge, die Sunset Boulevard, Champs Elysées
oder Madison Avenue heißen. Vorbei an atemraubender, schierer Schönheit
überall.
Viele Aussteller haben ihre Stände, von außen verborgen wie Höhlen, ganz in
Schwarz gehalten – mit perfekt gesetzten Spots auf den Exponaten. Wow! Die
Augen wissen gar nicht, wohin. Diese Vielfalt. Alt neben neu. Chagall.
Klimt. Edeltrödel. Prachtbibeln, kaum dass Gutenberg sie möglich machte.
Designerstühle. Madonnen. Giacometti. Möbelkunst des Rokoko. Japanische
Schnitzereien. Und noch ein Picasso. „Die schnellen Wechsel“, vermutet
Borchert, „fesseln besonders und lassen Durchschnittsbesucher im Reflex
glauben, man könnte das alles besitzen.“
Manchmal stehen Preise an den Exponaten, etwa bei Dickinson, London/New
York, einem der großen Dealer hier - ein Gerhard Richter: 2 Millionen. Zwei
Picassos: 3,2 bis 3,5 Millionen. Daneben Klee, Matisse. „Im Vorjahr“, sagt
Borchert, „hatte Simon Dickinson, ein furchtbar netter Kerl übrigens, einen
van Gogh dabei.“ Ihren Renoir haben Dickinsons in diesem Jahr, als wäre es
ein billiger Werbekalender, an die Durchgangstür zu ihrem winzigen Büroraum
geschraubt.
## Price On Request
Viele Händler lassen ihre Preiswünsche ganz weg. Oder schreiben: POR. Das
steht nicht für Portugal, sondern heißt Price On Request, auf Anfrage.
„Manche rufen spontan eine Zahl auf, nach Instinkt des Händlers.“
Kunstkauf kann ein diffiziles Zockerbusiness sein. Im Vorjahr wollte
Borchert ein Bild kaufen: 250.000 Euro, sagte der Verkäufer. Zu viel für
Borchert. Darauf der Verkäufer: „Wenn ich es nicht verkaufe auf der Messe,
bekommt Ihr es für die Hälfte.“ Doch dann war es plötzlich weg. Borchert
kontaktierte umgehend den Käufer. „Wir haben ein Gebot gemacht, wodurch er
50.000 verdient hätte binnen weniger Stunden. Er wollte aber 150.000
verdienen.” Man verhandle bis heute.
Warum ist ausgerechnet das kleine Maastricht so groß? „In Holland und
Belgien nebenan“, weiß Borchert, „saßen schon vor fast 30 Jahren viele
Händler, die die Messe sehr gepusht haben.“ Und aus den Niederlanden kommen
viele alte Größen. „Anfangs lag der Schwerpunkt auch auf holländischer und
flämischer Kunst.“ Maastricht ist gut aus England zu erreichen und aus
Paris, zudem eine überschaubare Stadt: „In Brüssel würde sich das
verlaufen. Hier sind Hotels und Restaurants sehr eng beieinander, für
Händler, Sammler, Sponsoren, Investoren.“ Für die wichtige Kontaktzeit nach
18 Uhr, wenn die Hallen zumachen. „Hier lernt man sich näher kennen, for
the long run.“
## Zu Kunstwerken herausgeputzt
Die meisten Besucher haben sich selbst zu kleinen Kunstwerken
herausgeputzt. Maßanzüge, optimierte Gediegenheit, perfekt gestylte
Kostüme. Viele Seidentücher und kühne Schalarrangements. Nasen oft so hoch,
dass es draußen reinregnen würde. Man geht nicht, man schreitet. Die Blicke
liegen kennerisch auf den Objekten oder sind sinnend-souverän ins
Unendliche gerichtet. Aus den Mündern: Babylon. Die Gespräche: gedämpft.
Dabei ist heute eher die 1-b-Klientel da: die Laufkundschaft. Tags zuvor
war Vernissage für geladene Gäste, davor gab es „eine Vor-Voreröffnung für
zwei Stunden“, berichtet Borchert. „Da werden ganz gezielt Leute
eingeladen, die in den Jahren zuvor schon eingekauft haben.“ Die Messe habe
ein Interesse, dass möglichst viele Leute kommen. Den Händlern reiche der
eine, der zahlt. „Das reibt sich. Das muss auf einen Nenner.“
Ausstellen in Maastricht kann schnell eine Viertelmillion Euro kosten:
Standarchitektur und -miete, Verschiffen der Kunstwerke, Versicherung, 14
Tage Unterbringung des Teams. Große Häuser dürften, vermutet Borchert, noch
deutlich darüber liegen. „Aber alle wollen hier sein. Alle wollen gern
Hunderttausende zahlen. Weil hier Rekordpreise möglich sind: Siebenstellig
ist nicht ungewöhnlich.“
## Mittelalterliche Ritterrüstungen
Vor dem Stand mit mittelalterlichen Ritterrüstungen und alten Pistolen
spottet Borchert: „Ja, die Waffenhändler sind auch wieder da.“ Die
blitzenden Schmuckauslagen einen Gang weiter würdigt er keines Blickes:
„Das sind Sachen für die gelangweilten Gattinnen und Maitressen. Die sagen:
Wenn du wieder so einen Picasso kaufst, Schatz, dann will ich aber ein
Brillantcollier.“
Kunst ist vielfach privates Investment. Der Markt ist überhitzt, vor allem
bei zeitgenössischen Werken. „Auch der chinesische Markt ist
hochspekulativ“, sagt Borchert. Und die Araber? Keiner ist zu sehen,
vielleicht sind Agenten unterwegs? „Darüber kann man nur mutmaßen.“ Auch …
den Emiraten gelte: wenn, dann zeitgenössische Kunst. Auf seinem Terrain
dagegen, sagt Borchert, „schießen die Preise zum Glück noch nicht durch die
Decke“. Aber auch hier gehe es seit etwa zehn Jahren deutlich nach oben –
„wenn ein alter Meister in bestem Zustand ist, auch ohne die ganz großen
Namen“. Seine Spezialnische. „Leider sind da andere auch draufgekommen.“
Seit jeher helfe man sich mit engen Kontakten zu Privatsammlern. „Die
überlassen ihre Werke mitunter gern den Museen. Unentgeltlich.“ Verhandeln
müsse man nur über Versicherungsmodalitäten. „Viele glauben, ihre Bilder
verlieren an Wert, wenn sie nicht öffentlich zugänglich sind.“
Kurz hinter der „Design Sushi Bar“ steuert Borchert die Galerie Talabardon
& Gautier aus Paris an. Hier hängt, perfekt ausgeleuchtet, sein Liebling
2016: Philippe-Jacques van Brée aus Antwerpen. „Die malenden Frauen“ von
1817; gemalt mit Öl auf Leinwand, wuchtig, farben- und lebensfroh, 124 x
155 Zentimeter. „Schauen Sie!“, Borchert zeigt nach links unten auf ein
kleines, fast identisches Objekt, „dazu das Skizzenbild des Künstlers.“
Eine Pracht. „Das wäre schon interessant für uns.“ Preis? „Ja . . . eine
halbe Million.“
## Meisterliches Altöl
Bei T & G herrscht großes Gedränge. Das liegt an einem sehr kleinen Bild am
Eingang, „ein besonderer Leckerbissen für die Fans meisterlichen Altöls“,
wie die Aachener Nachrichten jetzt anmerkten. Das Bild soll zuerst auf
einem Flohmarkt aufgetaucht sein. Auf einer Auktion wurde es ersteigert;
die Szene, sagt Borchert, rätselte, von wem. Der neue Eigentümer ließ das
Stück aufwendig restaurieren – und es tauchte die Signatur eines gewissen
Rembrandt auf. Ein unbekanntes Frühwerk, „Der ohnmächtige Patient“. POR.
500.000 für den van Brée. Ein bisschen Rabatt sei immer drin, hofft
Borchert. „Wir werden das mit den Kuratoren überlegen. Entscheidend ist
diese Woche.“ Nicht dass so ein dahergeflogener Ami dazwischenkommt!
Till-Holger Borchert tut cool, und falls der Verkäufer lauscht oder diesen
Text jetzt gerade liest: „Wenn das Bild weg ist, ist es halt weg.“
19 Mar 2016
## AUTOREN
Bernd Müllender
## TAGS
Messe
Niederlande
Gemälde
Schwerpunkt Cornelius Gurlitt
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