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# taz.de -- Land scheut Verpflichtung: Landung als Bettvorleger
> Schleswig-Holstein macht Bibliotheken doch nicht zur gesetzlichen
> Pflichtaufgabe, sondern setzt auf ein Anreiz-System. Standortschließungen
> verhindert das nicht.
Bild: Damit Bibliotheken ihre Aufenthaltsqualitäten entwickeln können, dürfe…
FLENSBURG taz | Wer kennt das Wort „Konnexität“? Jeder, der politisch auf
Landesebene tätig ist. Dort ist es ein Angstwort. Denn es meint: Kommunen
können Geld vom Land verlangen – wenn dieses ihnen Lasten auferlegt. Eine
solche „Last“ sind beispielsweise Bibliotheken. In Schleswig-Holstein
verbreitet das böse Wort derzeit ein derartiges Unbehagen, dass es die
bundesweit größte Chance zu untergraben droht, ein belastbares
Bibliotheksgesetz zu schaffen.
Das Problem: Als Kultureinrichtungen sind öffentliche Bibliotheken
kommunale Kann-Aufgaben, also streichbar. 101 öffentliche Bibliotheken
wurden zwischen 2005 und 2013 deutschlandweit geschlossen – 101 pro Jahr.
Folgerichtig formulierte Anke Spoorendonk vom Südschleswigschen
Wählerverband (SSW) einen Gesetzentwurf, der den Erhalt von Bibliotheken
als Pflichtaufgabe definiert. Aus dänischer Sicht ist das ohnehin eine
Selbstverständlichkeit. Doch nun legt das mittlerweile von ihr geführte
Kulturministerium einen Entwurf vor, den die Opposition zu Recht der
Zahnlosigkeit bezichtigt: Die „Pflichtaufgabe“ ist gestrichen.
„Für uns war wichtig“, bestätigt Ministeriumssprecher Oliver Breuer, „d…
von keiner Stelle Ansprüche auf Konnexität geltend gemacht werden“.
Spoorendonk selbst betont, stattdessen nun ein „Anreizgesetz“ schaffen zu
wollen: Eines, das den Kommunen keine Pflichtaufgabe auferlege, sondern
eben „Anreize“ schaffe, „mit innovativer Bibliotheksarbeit voranzugehen�…
In der Tat steckt sie dafür 430.000 Euro in einen Topf, um die sich die
Einrichtungen bewerben können. Doch gleichzeitig drückt sich das Land vor
einer Verpflichtung, die sogar Verfassungsrang hat: Das Grundgesetz
garantiert das Recht, „sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert
zu unterrichten“ – was also deren ungehinderte Zugänglichkeit voraussetzt.
Ganz konkret definiert auch die Schleswig-Holsteinische Landesverfassung
die „Förderung des Büchereiwesens“ als Aufgabe nicht nur der Gemeinden,
sondern auch „des Landes“– das also auch ohne Konnexitätsprinzip ohnehin…
Boot ist.
Angstworten ist eigen, dass sie Analysen überflüssig erscheinen lassen. Es
wurde nicht einmal der Versuch gemacht, die möglichen Kosten einer
Unterhaltungspflicht von Bibliotheken abzuschätzen, wie das Ministerium
bestätigt. So aber erfüllt die befürchtete Finanzierungslawine die Funktion
eines unüberprüfbaren Totschlagarguments.
Dabei wäre sogar die Formulierung einer „Pflichtaufgabe“ möglich, die gar
keine akuten Kosten auslöst und trotzdem Sicherheit schafft: Man könnte,
wenn man schon die Definition von bibliothekarischen Mindestangeboten
scheut, wenigstens den Status quo garantieren. Das würde zumindest weitere
Erosionen verhindern.
Nordfriesland und der Kreis Schleswig-Flensburg sind seit Jahren vom
Bücherbus-System abgehängt. Selbst in der Landeshauptstadt werden viele
Zweigstellen der Stadtbibliothek nur noch ehrenamtlich geführt. In der
zweitgrößten Stadt des Landes, Lübeck, wurden sogar sieben von einstmals
elf Stadtteilbibliotheken geschlossen.
Die Glücksburger Stadtbibliothek hat nur noch befristet eingestelltes
Fachpersonal, weil ihre Zukunft ungeklärt ist – und das bereits seit fünf
Jahren. „Es gibt immer wieder existentielle Situationen“, sagt Heinz-Jürgen
Lorenzen, der Direktor der Büchereizentrale des Landes: „Wir haben drei bis
vier Brandherde pro Jahr.“
Statt substantiell beim Löschen zu helfen, wagt das geplante Gesetz noch
nicht einmal ein „soll“, wenn es um die Einrichtung von Haltestellen der
Fahrbücherei als Ersatz für geschlossene Standorte geht. Sie „können“
eingerichtet werden, heißt es lediglich. Der CDU-Abgeordnete Peter
Sönnichsen schmäht diesen Passus zu Recht als „Unverbindlichkeit in
Perfektion“ – freilich ohne zu erwähnen, dass die CDU als Regierungspartei
das Thema dekadenlang gar nicht anfasste.
Schulbüchereien werden in Spoorendonks Gesetz ausgesprochen stiefmütterlich
behandelt. Angesichts der stetigen Ausweitung des Ganztagsschulsystems wäre
deren fachliche Betreuung und konzeptionelle Weiterentwicklung im Verbund
mit den kommunalen Angeboten – wofür es etwa in Tornesch hervorragende
Praxisbeispiele gibt – ein hochrelevantes Thema.
Doch immerhin enthält Spoorendonks Entwurf einen wichtigen Punkt, dem man
gemeinhin gar nicht als notwendig ansehen würde: Die Garantie, dass
Bibliotheken unabhängig sind bei der Auswahl ihrer Anschaffungen. Es gebe
durchaus Versuche, sagt Lorenzen, bestimmte Medien per Dienstanweisung in
die Bestände zu bringen, respektive aus ihnen zu entfernen. In Zeiten von
Pegida nehme auch der Druck interessierter Kreise zu, Werke wie die
jüngsten Akif Pirinçci-Pamphlete zur Ausleihe anzubieten.
Ist Spoorendonks Perspetivwechsel wirklich nur der schlichten Wippbewegung
zwischen Opposition und Regierungsbank geschuldet? Noch immer sei das
Bibliotheksgesetz dem SSW „ein Herzensanliegen“, sagt deren
bildungspolitische Sprecherin Jette Waldinger-Thiering. Man mag gern
glauben, dass das auch Spoorendonk so sieht und empfindet. Doch durchsetzen
kann sie es innerhalb der „Küstenkoalition“ bislang nur als Torso.
7 Mar 2016
## AUTOREN
Henning Bleyl
## TAGS
Bibliothek
Kommunen
Bremen
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