# taz.de -- Bürgerengagement in Prenzlauer Berg: Bücherwürmer retten Bibliot… | |
> Die Kurt-Tucholsky-Bibliothek kann nur mit Ehrenamtlichen den Betrieb | |
> aufrechthalten. Denn der Bezirk hat kein Geld, viele Bibliotheken mussten | |
> bereits schließen. | |
Bild: Damit Bibliotheken ihre Aufenthaltsqualitäten entwickeln können, dürfe… | |
Elena legt ein Fantasybuch und eine Benjamin-Blümchen-DVD auf die | |
Ausleihtheke. "Die ist für meinen Bruder", sagt die Achtjährige zur | |
Bibliotheksleiterin Grit Nitzsche. Das blonde Mädchen kommt oft nach der | |
Schule, der Pausenhof grenzt an den Hof der Kurt-Tucholsky-Bibliothek in | |
der Esmarchstraße im Bötzowviertel. "Im Winter war hier geschlossen. Das | |
war ätzend, weil wir mit der Straßenbahn zu einer anderen Bibliothek fahren | |
mussten." Dass die Bibliothek in Prenzlauer Berg kurz vor dem Aus stand und | |
nun durch die ehrenamtliche Arbeit von Menschen wie Grit Nitzsche | |
offengehalten wird, weiß Elena nicht. Auch nicht, dass der Arbeitslose Ulli | |
Dobertin, der gerade Kleinkinderbücher sortiert, in seiner Freizeit hier | |
ist und keinen Cent für seine Arbeit bekommt. | |
Ende letzten Jahres hatte der Bezirk die Kiez-Bibliothek trotz großer | |
Widerstände im Kiez geschlossen. Der Grund: Personaleinsparungen. Kitas, | |
Anwohner und Schulklassen organisierten eine "Kulturbesetzung" der Räume, | |
es gab Unterschriftensammlungen. Anfang dieses Jahres gründeten Anwohner | |
den Verein Pro Kiez e. V., der es sich zur Aufgabe machte, die Bibliothek | |
zu erhalten. Es folgten Verhandlungen mit dem Bezirk und im März der | |
Beschluss: Die Kurt-Tucholsky-Bibliothek kann wieder eröffnet werden. | |
Allerdings ohne Geld für Stellen vom Bezirk. | |
Der Verein Pro Kiez stellt jetzt das Personal. Das arbeitet seit der | |
Wiedereröffnung Ende Juni komplett ehrenamtlich. Das Bezirksamt Pankow | |
bleibt rechtlicher Träger. Ihm gehört auch der Medienbestand der | |
Bibliothek. Dafür ist die Einrichtung weiterhin an den Voebb (Verbund | |
öffentlicher Bibliotheken Berlins) angeschlossen. | |
"Ungefähr 30 Leute helfen mit", erzählt Nitzsche, die die Koordination der | |
ehrenamtlichen Bibliothekare übernommen hat. "Rentner, Studenten, | |
Arbeitslose und Berufstätige: Die Helfer kommen aus allen Ecken", erzählt | |
sie. Engpässe habe es bisher nicht gegeben. Allerdings sind die | |
Öffnungszeiten kürzer als früher, Räume und Bestand wurden verkleinert. Und | |
die Ehrenamtlichen müssen, bevor sie anfangen können, eine zweitägige | |
Computer-Schulung durchlaufen und zwei bis drei Monate in anderen Pankower | |
Bezirksbibliotheken hospitieren. | |
Der Psychologiestudent Matthias Schulz erledigt gerade die Verlängerung | |
mehrerer Bilderbücher für eine Mutter mit Kleinkind. Er hat sich ebenfalls | |
zur unentlohnten Mithilfe entschlossen. "Ich habe im schulpychologischen | |
Dienst gearbeitet, da ist mir klar geworden, wie wichtig Bücher für die | |
Entwicklung von Kindern sind", erzählt er. "Allerdings sorgen wir | |
Ehrenamtlichen nur für das Grundgerüst, machen sozusagen einen | |
Bibliotheksnotdienst", betont der Student. Bestandspflege und -aufbau, das | |
könnten sie nicht leisten. "Der Verein fordert deswegen, dass der Bezirk | |
wenigstens ein oder zwei feste Stellen für Fachkräfte finanziert", ergänzt | |
Nitzsche. | |
Rettung per Gesetz | |
In den letzten zehn Jahren haben allein im Bezirk Pankow 22 Bibliotheken | |
geschlossen. Gab es im Jahr 2000 noch 29 Büchereien, so sind es jetzt 7. | |
"Die Personaleinsparungen waren unerlässlich", sagt die Pankower | |
Bezirksstadträtin Lioba Zürn-Kasztantowicz (SPD). Pankow sei immer noch | |
einer der schlimmsten Schuldenbezirke. Zudem kämen die vielen Schließungen | |
auch durch Zusammenlegungen zustande. "Trotzdem ist ehrenamtliche Arbeit | |
nicht die Lösung für Personaleinsparungen. Auf Dauer kann sie das | |
Fachwissen der ausgebildeten Bibliothekare nicht ersetzen", räumt die | |
Bezirksstadträtin ein. Man müsse aufpassen, dass das Ehrenamtlichenmodell | |
in der Bibliothekslandschaft nicht Schule mache. Vielmehr solle das Land | |
Berlin einen stärkeren Schwerpunkt in schulischer und außerschulischer | |
Bildung, wozu die Bibliotheken gehörten, setzen. | |
Auch Peter Venus, der Sprecher des Vereins Pro Kiez, sieht den Senat in der | |
Verantwortung. "Kultur muss Pflichtaufgabe werden", sagt er. "Das | |
Bezirksamt kann Einsparungen nur in Bereichen vornehmen, auf die die Bürger | |
keinen Rechtsanspruch haben. Darunter fallen die Kultureinrichtungen." | |
Deswegen fordere Pro Kiez ein Bibliotheksgesetz, das den Anspruch der | |
Bürger auf Bibliotheken verankere. In Thüringen wird ein solches Gesetz | |
bereits diskutiert. | |
19 Aug 2008 | |
## AUTOREN | |
Franka Nagel | |
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Bibliothek | |
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wunderbar. Wenn aber Politiker auf ehrenamtliches Engagement setzen, muss | |
man hellhörig werden. |