# taz.de -- Beginn der Tourismus-Börse in Berlin: Kitsch trifft Bolle-Berliner | |
> Am 9. März feiert die ITB ihren 50. Geburtstag. Auch unsere Autoren haben | |
> sich dort mal getummelt, als Türsteher oder schwuler Journalist. Vier | |
> Erinnerungen. | |
Bild: Sommer, Palmen, ITB: Das ist das geliebte Klischee der Messe. | |
## Schwulsein am Omanstand | |
Zehn Jahre lang hab ich mir die ITB gegeben. Beim ersten Mal vor zwölf | |
Jahren hab ich mich ein paarmal verlaufen, weil ich das ineinandergreifende | |
Hallensystem nicht verstanden hab. Aber mir fiel auf: Alles sieht hier ja | |
gleich aus! Die Stände der Länder dieser Welt. Alles auswechselbar. Die | |
Schweiz und Oman, Taiwan und Israel. Überall riesige Bilder von | |
irgendwelchen Landschaften und stets lachenden, erholt aussehenden | |
Menschen. Mein Verlag hat mich auf Reisen geschickt und auch für den | |
ITB-Verlagsstand verpflichtet. Es ging darum, Kontakte zu knüpfen. Dafür | |
ist die ITB tatsächlich gut. Man stellt sich vor, kommt ins Gespräch, | |
trinkt ein Glas Wein – die Liechtensteiner zum Beispiel schenken an ihrem | |
kleinen Stand wahrlich vorzüglichen Wein aus – und verabredet eine | |
Pressereise. Das sind Reisen auf Kosten der Steuerzahler eines Landes, auf | |
denen Journalisten gezeigt wird, wie schön es dort ist. Für solche | |
Multiplikatoren ist die ITB damit ein Muss. Weil ich für schwul-lesbische | |
Medien unterwegs war, kam es deshalb mitunter zu seltsamen Begegnungen. | |
Natürlich stellte ich mich bei den stets lächelnden Standbetreuern als | |
schwuler Reisejournalist vor und fragte nach schwul-lesbischen | |
Pressereisen. Und an den Ständen von Oman und Ungarn erstarb das Lächeln | |
sofort. | |
## Eine richtige Inderin spielen | |
ITB ist Messehallencharme mit Klischeekitsch. Das ist so wunderbar gar | |
nicht Berlin. Und außerdem zu Schulzeiten eine gute Gelegenheit, sein Konto | |
aufzupeppen. Morgens fahre ich also in Jeans und Turnschuhen zum grauen | |
Messegelände, wickele mich in einen meterlangen Sari, behänge mich mit | |
Goldketten, klebe mir ein Bindi auf die Stirn. Fertig ist meine neue | |
Identität. Das Ziel: eine gute Inderin sein. Ein beliebtes Fotomotiv für | |
Presse und Besucher. Dezent lächeln, Flyer verteilen. Menschen, die | |
schlechtes Englisch sprechen, laden mich zu sich nach Hause zum Müggelsee | |
ein. Hach ja, auf der ITB ist die Welt noch in Ordnung, Weltkonflikte gibt | |
es hier keine, die Hawaiianerinnen tragen Blumenkettchen, die | |
Holländerinnen lustige Holzschuhe. Kultur, wie es sich die Provinznudel | |
halt vorstellt. Mit der richtigen ironischen Haltung kann das richtig Spaß | |
machen. Und Alkohol, den braucht man auch. Am Ende des Tages wickele ich | |
mich wieder aus, taumele glücklich betrunken in Turnschuhen aus der | |
ITB-Parallelwelt zurück ins multikulturelle Berlin. In den Tagen darauf | |
entdecke ich in der Zeitung ein Foto von mir im Sari – über einem Artikel | |
zur Witwenverbrennung in Indien. Schlechtes Karma, denke ich. | |
## Die milieufremde taz | |
Als die taz 1991 erstmals mit einem Stand auf der ITB vertreten war, wurde | |
sie ständig mit dem Tagesspiegel verwechselt. Die taz war offensichtlich | |
milieufremd in der Welt des schönen Reisens. Nach vier Versuchen haben wir | |
es aufgegeben, mit unseren tourismuskritischen, Nachhaltigkeit und | |
Entwicklung diskutierenden Schwerpunkten die Messe zu bereichern. Die | |
Resonanz am Stand war bescheiden, sicher auch weil wir nicht mit den | |
anderen Ständen und ihrer Give-away-Kultur konkurrieren konnten. Wer will | |
schon in der Welt der verheißungsvollen bunten Prospekte und Souvenirs ein | |
Schwarz-Weiß-Exemplar auf billigem Papier? Damals war die ITB eine | |
großzügige Messe: nicht nur Berliner Taxifahrer schwärmten vom Trinkgeld | |
der Messeteilnehmer, auch Alkohol floss reichlicher, Häppchen wurden | |
angeboten, die Give-aways hatten tatsächlich Wert, Einladungen zum | |
gemütlichen Come-together wurden noch großzügig ausgesprochen. Heute in | |
Zeiten des Speed-Dating bleibt für nichts Zeit. Betriebswirtschaftlich | |
knallhart durchkalkuliert, muntert den müden Messebesucher kein freundlich | |
angebotener Espresso auf. Die sinnliche Welt des Reisens ist auf der ITB | |
unsinnlich, seelenlos, buchhalterisch geworden. Lustiger war es früher | |
schon. | |
## Die härteste Tür von Halle 5 | |
Mein persönlicher ITB-Satz lautet: „Can I see your badge, please?“, auf | |
Deutsch: „Darf ich Ihren Ausweis sehen?“ Die ITB ist eine Publikumsmesse – | |
reisen kann ja jeder, denkt jeder – und dann findet sie auch noch in Berlin | |
statt, also der Stadt, deren Bewohner auch eine Schwimmbadeinweihung am | |
Stadtrand zum Anlass nehmen, sich und ihre Bagage in Bewegung zu setzen: | |
rumlaufen, kieken, Maulaffen feilhalten. Und, wichtig, Bratwurst essen. | |
Also auch: ITB, Prospekte einsammeln. Mein studentischer Job im | |
USA-Pavillon bestand dann auch darin, die Bolle-Berliner fernzuhalten. Kann | |
ich mal bitte Ihren Fachbesucher-Ausweis sehen? An meinem Pavillon-Eingang | |
betrieb ich also stets und zuverlässig die härteste Tür von Halle 5. Wie in | |
einem Videospiel vergraulte und vergrämte ich die USA-interessierten | |
Westberliner, und das sind seit Kennedy eine ganze Menge. Linke Seite, | |
rechte Seite, mittig. Bis auch ich an meinen Meister geriet, nämlich einen | |
richtigen Amerikaner. Der Versuch, ihn an der Einreise in den Pavillon zu | |
hindern, führte zu einem Eklat, schrie er doch in patriotischer Erregung | |
ununterbrochen „I WANT TO SEE THE PEOPLE OF MY COUNTRY, RIGHT NOW“. Und | |
obwohl er kein Fachbesucher war, erreichte er am Ende sein Ziel und wurde | |
von höher geordneter Stelle hineingeleitet. What a Fuckbesucher. | |
8 Mar 2016 | |
## AUTOREN | |
Andreas Hergeth | |
Jasmin Kalarickal | |
Edith Kresta | |
Martin Reichert | |
## TAGS | |
ITB | |
Urlaub | |
Messe | |
Reiseland Italien | |
ITB | |
Tourismus | |
Reiseland Malediven | |
ITB | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Tourismus am Mittelmeer: Benvenuto, bienvenido | |
Italien und Spanien profitieren von der Terrorangst in Ländern wie Tunesien | |
und der Türkei. Viele Einheimische nervt der Boom schon. | |
Reisemesse ITB: Fast alles außer Balkonien | |
Auf der Internationalen Tourismusbörse diskutiert die Branche über | |
Sicherheit und Terror. Die betroffenen Länder leiden, die Reiseindustrie | |
boomt. | |
Tourismusmesse in Berlin: Klischees aus aller Welt | |
Hier ist alles noch so, wie man sich fremde Länder einst vorstellte: In | |
Frankreich wimmelt es von Croissants, in der Türkei gibt‘s vor allem Tee. | |
Ein Besuch auf der ITB. | |
Maledivische Opposition ist für Tourismus: „Nicht nur am Strand liegen“ | |
Der ehemalige Außenminister der Malediven fordert von Touristen | |
Unterstützung bei der Rückkehr des Inselstaates zur Demokratie. | |
Kolumne Aufgeschreckte Couchpotatoes: Was Gäste wollen | |
Die Internationale Tourismusbörse präsentiert die Welt im Speeddating auf | |
der Suche nach Einzigartigkeit und anderen Superlativen. | |
Tourismus-Börse ITB in Berlin: Einmal um die ganze Welt | |
Für Reisen geben die Deutschen weiterhin viel Geld aus. Das mobile Internet | |
ist für Reisende zum wichtigen Informationskanal geworden. |