# taz.de -- Symposium in Karlsruhe: BGH schämt sich für Antiziganismus | |
> Bei einer Tagung mit dem Zentralrat der Sinti und Roma wurden | |
> rassistische Urteile des Bundesgerichtshofs aus den 1950er Jahren | |
> aufgearbeitet. | |
Bild: Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats der Sinti und Roma, beim Sympos… | |
KARLSRUHE taz | „Diese Rechtsprechung beschämt uns zutiefst.“ Bettina | |
Limperg, die Präsidenten des Bundesgerichtshofs, hat sich bei einem | |
Symposium in Karlsruhe von antiziganistischen Urteilen des BGH distanziert | |
und nannte sie „unerträglich“. | |
Im Mittelpunkt der Tagung, die gemeinsam von BGH und Zentralrat der Sinti | |
und Roma ausgerichtet wurde, standen zwei Urteile aus dem Jahr 1956. Damals | |
war Sinti und Roma, die im Mai 1940 als sogenannte Zigeuner in deutsche | |
Lager auf polnischem Boden deportiert wurden, die Entschädigung versagt | |
worden. Die Maßnahmen seien nicht rassistisch motiviert gewesen, sondern | |
Teil von „üblichen polizeilichen Präventivmaßnahmen“. | |
Zur Begründung verwies der BGH damals auf die „Zigeunerplage“ und führte | |
dann aus: „Sie neigen, wie die Erfahrung zeigt, zur Kriminalität, besonders | |
zu Diebstählen und Betrügereien, es fehlen ihnen vielfach die sittlichen | |
Antriebe zur Achtung vom fremdem Eigentum, weil ihnen wie primitiven | |
Urmenschen ein ungehemmter Okkupationstrieb zu eigen ist.“ Als | |
wissenschaftlicher Beleg wurde auf ein Kriminalistiklehrbuch aus der | |
NS-Zeit verwiesen. | |
Als „rassische Verfolgung“ der „Zigeuner“ erkannte der BGH damals nur d… | |
NS-Maßnahmen ab 1943 an, weil diese nun auf die Vernichtung der Betroffenen | |
abzielten. Diese Differenzierung vertrat der BGH bis 1963. Erst nun | |
gewährte er Entschädigung auch für die Zeit vor dem „Auschwitz-Erlass“ v… | |
SS-Reichsleiter Himmler. | |
## „Symbolische Bitte um Entschuldigung“ | |
Auf die Skandalurteile der 1950er Jahre hatte der Zentralrat 2014 bei einer | |
Veranstaltung des Justizministeriums hingewiesen und den BGH zu einer | |
ausdrücklichen Distanzierung aufgefordert. In der Folge traf sich Limperg | |
mit Romani Rose, dem Vorsitzenden des Zentralrats, und vereinbarte die | |
Organisation einer gemeinsamen wissenschaftlichen Tagung. „Diese | |
Veranstaltung ist für unsere Minderheit von großer Bedeutung“, sagte Rose | |
jetzt in Karlsruhe. Justizstaatssekretärin Stephanie Hubig (SPD) | |
bezeichnete die Tagung als „symbolische Bitte der deutschen Justiz um | |
Entschuldigung“. | |
Ingo Müller, Autor des Standardwerks „Furchtbare Juristen“, stellte die | |
Urteile in den Kontext der Nachkriegsjustiz. Damals habe die Justiz | |
versucht, NS-Verbrechen zu relativieren, wo es nur möglich war. „Weil es | |
die Ausgrenzung der ‚Zigeuner‘ auch schon vor 1933 gab, konnte sie kein | |
NS-Unrecht sein, so die Logik.“ Diese Haltung war aber auch in der | |
damaligen deutschen Justiz keineswegs alternativlos. „Einige | |
Oberlandesgerichte haben von Beginn an auch für die Deportationen von 1940 | |
Entschädigungen gewährt“, erläuterte der Rechtshistoriker Detlev Fischer, | |
ein ehemaliger BGH-Richter. „Sie blieben auch nach dem BGH-Urteil von 1956 | |
bei ihrer Linie, wurden aber vom BGH immer wieder korrigiert.“ | |
Im BGH-Senat, der für Entschädigungen zuständig war, saßen auch nicht nur | |
alte Nazis. So wurde der für die Urteile federführende Richter Walther | |
Ascher im Dritten Reich selbst verfolgt. Er war erst 1947 aus dem Exil in | |
Palästina zurückgekehrt. Möglicherweise wurde er in dem fünfköpfigen Senat | |
aber überstimmt. | |
Romani Rose warnte: „Auch heute wird die Kriminalität Einzelner oft wieder | |
zu einem Abstammungsmerkmal erklärt.“ | |
18 Feb 2016 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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