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# taz.de -- Staatsbürgerschaft gegen Bares: Der gekaufte Pass
> Sie suchen eine neue Staatsbürgerschaft? Um die Vergabe von Pässen ist
> eine regelrechte Industrie entstanden. Die EU ist dagegen machtlos.
Bild: Zahlungskräftig? Da lässt sich doch was machen.
Die einen überwinden unter Lebensgefahr Grenzen und Meere und warten dann
jahrelang auf einen Pass, die anderen machen einfach ihr Portemonnaie auf.
Manche nennen es schon jus pecuniae (Recht des Geldes), als Ergänzung zum
jus sanguinis (Recht des Blutes) und zum jus soli (Recht des Bodens). Der
Terminus technicus ist aber ganz einfach „citizenship by investment“: Es
bedeutet, dass man durch eine Investition den Pass eines Landes seiner Wahl
erwerben kann – auch ohne jemals einen Fuß dorthin zu setzen.
Für viele high-net-worth individuals, wie die jährlich im World Wealth
Report ermittelten Dollarmillionäre genannt werden, ist ein Zweitpass in
politisch und ökonomisch unsicheren Zeiten zur besten Lebensversicherung
geworden, wie man wörtlich auf der Seite einer der Agenturen lesen kann,
die ihre Dienste bei der Passbeschaffung anbieten.
Die Kunden kommen hauptsächlich aus China, Russland und dem Mittleren
Osten. Sie suchen nach Anonymität, Sicherheit, besserer Bildung für ihre
Kinder oder schlicht nach der Möglichkeit, einen Teil ihrer Einkünfte dem
heimischen Finanzamt zu entziehen. Sie fühlen sich als Weltbürger und
betreiben sogar ein eigenes soziales Netzwerk: „A small world“, gegründet
2004, 100 Dollar jährlicher Mitgliedsbeitrag.
Neben den Citizenship-by-investment-Programmen gibt es die weniger
umstrittenen golden residence programs: Durch eine Investition bekommt man
eine Aufenthaltserlaubnis, mit der man sich nach einigen Jahren um die
Staatsbürgerschaft bewerben kann. Grundsätzlich ist das nichts Neues. Schon
seit einigen Jahren offerierten diverse Staaten, insbesondere die USA, eine
Aufenthaltserlaubnis gegen Investitionen, sogenannte immigrant investor
programs. Nur waren das bis dato absolute Einzelfälle. Seit 2009 und der
Finanzkrise haben weitere europäische Länder auf dieses Instrument
zurückgegriffen.
## Grieche wird man zum Schleuderpreis
Die Kriterien sind weitaus lascher als in Ländern wie Spanien, Portugal
oder Ungarn, die diese Programme schon lange im Angebot haben. Die
erforderliche Investitionssumme ist niedriger, der tatsächliche Wohnsitz
nur noch eine Formalität. Grieche etwa wird man heute zum Schleuderpreis.
Der Boom erreicht auch periphere Ecken des Globus. Die Karibikinsel St.
Kitts and Nevis erreichte er im Jahr 2006: Die Welt ist auf der Schwelle
zur Explosion der Subprime-Krise, der Zuckerpreis geht runter, und das den
wenigsten bekannte Südseeparadies ist dem Bankrott nahe.
Genau zu diesem Zeitpunkt präsentierte eine bis dahin unauffällige Agentur,
Henley & Partners, geleitet von einem Schweizer Anwalt namens Christian
Kälin, eine geniale Idee: Anstelle von Zuckerrohr könnte die Insel doch
Pässe exportieren. Auf St. Kitts gab es zwar schon seit 1984 ein
Passkaufprogramm, aber niemand hatte je in großem Stil von diesem Angebot
Gebrauch gemacht.
Da auch die Umstellung von einer Agrar- zur Dienstleistungsgesellschaft
stockte, wurde eine Stiftung zum Zweck des Passhandels gegründet und
gleichzeitig ein Gesetz zum Erwerb der Staatsbürgerschaft auf den Weg
gebracht, dessen Einkünfte diese Stiftung finanzieren sollten. Seitdem
reicht ein Investment von 250.000 Dollar, um einen Pass von St. Kitts and
Nevis zu erwerben.
Drei Jahre später, im Jahr 2009, vervielfachte dieser Pass seinen Wert
durch ein Abkommen in Brüssel. Dieses Abkommen versprach nämlich visafreies
Reisen in alle Länder der EU. Der Pass aus der Karibik wurde nun sehr stark
nachgefragt. Den Brüsseler Deal machte wiederum Anwalt Kälin. Und seine
Agentur wächst seitdem weltweit. Im Jahr 2006 hatte Henley & Partners schon
11 Büros, heute sind es 23.
## Marktführer im Geschäft mit Pässen
Das Unternehmen hat seinen Sitz im Steuerparadies Jersey, ist inzwischen
Marktführer im Geschäft mit den Pässen und Aufenthaltsgenehmigungen und
berät Regierungen in ganz Europa. Jedes Jahr Anfang November veranstaltet H
& P eine große Konferenz, an der Politiker, Berater, Rechtsanwälte und
Unternehmer aus der ganzen Welt teilnehmen. Das Geschäft mit den Pässen
beläuft sich laut der Finanznachrichtenagentur Bloomberg auf 2 Milliarden
Euro im Jahr, wenn man die Aufenthaltsgenehmigungen dazurechnet, sind es 4
Milliarden.
Vor knapp einem Jahr wurde der International Migration Council (IMC)
gegründet, eine Dachorganisation mit Sitz in Genf für alle am Business
beteiligten Unternehmen. Sie soll Standards festlegen in einem Markt, der
rasant wächst. Jedes Jahr veröffentlicht Henley & Partners seinen „Global
Restriction Index”, eine Klassifikation von Ländern nach dem Kriterium,
welche Reisefreiheit ihr Pass dem Inhaber ermöglicht. Und im vergangenen
Frühjahr ist die Broschüre „Global Residence and Citizenship Programs 2015�…
erschienen, ein Ranking der besten Programme für den Erwerb eines Passes
oder eines Aufenthaltstitels.
Den endgültigen Durchbruch schaffte Henley & Partners 2014 – in Malta. Für
650.000 Euro Schenkung, den Erwerb oder die Anmietung einer Immobilie sowie
150.000 Euro Investition in maltesische Staatsanleihen wird der
Interessierte zum EU-Bürger. „Die EU-Staatsbürgerschaft steht nicht zum
Verkauf“, tönte Viviane Reeding, EU-Kommissarin für Justiz, Grundrechte und
Bürgerschaft am Tag nach der Verabschiedung des Gesetzes.
## Machtlos gegen die Mogelpackung
Aber die EU war dagegen weitgehend machtlos, denn die Verleihung der
Staatsbürgerschaft obliegt dem nationalen Recht. Auch die zur Beruhigung
der Gemüter eingeführte Verpflichtung, wenigstens ein Jahr in Malta zu
leben, bevor die Staatsbürgerschaft verliehen werden kann, erwies sich als
Mogelpackung. Das schrieb jedenfalls die New York Times im Frühjahr 2015.
Mit dem maltesischen Pass kann man visafrei in 28 EU-Länder, nach Kanada
und in die USA reisen. Und, mehr noch: Malta hat Abkommen mit 65 Ländern
geschlossen, die eine doppelte Besteuerung ausschließen. Auch für Henley &
Partners, die das Programm für die maltesische Regierung entworfen haben
und es abwickeln, ist der Deal mehr als gut. Auf jeden Pass bekommt die
Agentur eine Provision plus 4 Prozent von der Gesamtinvestitionssumme.
Die ganze Sache ist, um es milde auszudrücken, heikel. Jelena Dzankic,
Autorin mehrerer Studien zum Thema und Forscherin am Robert Schuman Centre
for Advanced Studies im italienischen San Domenico di Fiesole, sagt, sowohl
die Programme „golden residence“ als auch „citizenship by investment“ s…
eine Herausforderung für die Demokratie – nicht nur, weil sie die
Gleichheit der Bürger zur Diskussion stellten, sondern auch, weil sie die
Tore der Korruption öffneten.
## Verdacht auf Korruption
In Portugal, Nummer eins auf der Liste von Henley & Partners, was Preise
und Schnelligkeit der Abwicklung bei der „golden residence“ betrifft,
begann im November 2014 die „Operation Labyrinth“: Elf mit dem Programm
„golden visa“ befasste Funktionäre des öffentlichen Dienstes wurden
verhaftet – im Zusammenhang mit Korruption, Geldwäsche und Betrug.
Anwalt Kälin erklärte daraufhin öffentlich, dass die Programme leider eine
gewisse Korruptionsanfälligkeit besäßen, aber dass er nie auch nur einen
Cent an eine Regierung gezahlt habe.
Aber es geht nicht nur um Korruption. „Wer einen Pass der EU besitzt, hat
Rechte in allen anderen Mitgliedstaaten“, sagt Jelena Dzankic. Die
Staatsbürgerschaft ist keine Ware. Sie gehört nicht auf den Markt. Anwalt
Kälin sagt, das sei eine altmodische Art, die Dinge zu betrachten. Auch das
ius soli und das ius sanguinis seien schließlich zufällige
Auswahlkriterien: Eine Leistung habe niemand für sie erbracht.
Aus dem Italienischen von Ambros Waibel
27 Feb 2016
## AUTOREN
Sara Farolfi
## TAGS
doppelte Staatsbürgerschaft
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Malta
Schwerpunkt Korruption
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Jakob Augstein
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