# taz.de -- TV-Drama über eine Pastorin: Die Heilige Judith von Brandenburg | |
> Claudia Michelsen spielt in „Im Zweifel“ eine Berufene mit allen | |
> Schwierigkeiten. Keine leichte Kost für einen Samstagabend in der ARD. | |
Bild: Gebet für eine Tote: Judith Ehrmann am Unfallort. | |
Sie trägt einen anderen Filmnamen, er endet auch auf -mann. Ach, nennen wir | |
sie doch gleich Margot Käßmann. Aber nein, das wäre zu albern. Denn da | |
hätte nicht nur jeder Protestant sofort die (Art) Person vor Augen, um die | |
es hier geht: | |
„Wie? Du fragst mich doch jetzt nicht ernsthaft, ob ich Landesbischöfin | |
werden will?“ – „Du kennst Härtling. Wenn der es wird, dann ist erst mal | |
Schluss mit Reformen.“ – „Ich weiß. Aber ich bin die Falsche. Ich bin | |
nämlich nicht so diplomatisch wie du.“ – „Du bist seit zehn Jahren in der | |
Kirchenleitung. Deine Stimme hat Gewicht. Und außerdem kriegen wir jede | |
Menge Zuschriften, wenn du im Radio sprichst. Du erreichst die Menschen. | |
Vor allem die Jugend.“ | |
Der angesprochene Härtling (Wilfried Hochholdinger) ist wirklich ein | |
homophober, reaktionärer Kotzbrocken. Nicht auszudenken, wenn der | |
Landesbischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-Schlesische | |
Oberlausitz würde. Die brandenburgische Margot Käßmann wiederum heißt | |
Judith Ehrmann und wird von Claudia Michelsen ganz großartig zurückhaltend | |
gespielt. | |
Sie fragt nicht erst nach der Konfession oder gar Gottgläubigkeit der | |
Menschen, denen sie ihre Hilfe mitunter auch aufdrängt. Als | |
Notfallseelsorgerin ist sie mittendrin. Neben der Leiche eines gerade bei | |
einem Autounfall tödlich verunglückten Mädchens sagt sie: „Du kannst nicht | |
tiefer fallen als in Gottes Hand. Und wir bleiben hier zurück und fragen | |
uns, warum.“ In ihrer eigenen Radiosendung: „Lasst uns also gemeinsam | |
zweifeln. Denn der Zweifel kann ein Ort der Begegnung sein. Ein Ort, an dem | |
wir uns gegenseitig trösten.“ | |
Das ist wirklich gut aufs Maul geschaut und bestimmt nicht diffamierend | |
gemeint. Aber je nach Einstellung gegenüber Religion und (evangelischer) | |
Kirche, mag der Zuschauer solche Worte entweder sehr angemessen finden – | |
oder für unverbindliches, pseudo-spirituelles Gewäsch halten. | |
## Denunziert als „Gutmensch“ | |
Berufene wie Margot Käßmann/Judith Ehrmann werden als „Gutmenschen“ | |
denunziert. Wenn sie sich kümmern wollen, kommt das als „Predigt“ an oder | |
„Inquisition“ – sogar in der Familie. „Guck dich doch an. Du bist die | |
Heilige Judith von Brandenburg“, hält der eigene Mann (Henning Baum) ihr | |
vor. Und: „Genau das brauchst du doch. Genau das ist doch dein Kick. Dass | |
alle dich brauchen. Am besten, wenn’s um Leben und Tod geht.“ | |
Um Leben und Tod geht es in „Im Zweifel“ tatsächlich. Das tote Mädchen war | |
eine Mitschülerin von Ehrmanns Sohn, Ehrmanns Ehemann der Lehrer der | |
beiden. Er fährt einen schwarzen Kombi und lügt wegen eines Lackschadens am | |
Kotflügel. In den Unfall war ein schwarzer Kombi verwickelt, Fahrerflucht. | |
Judith Ehrmann belügt den ermittelnden Kommissar wegen des Lackschadens. Im | |
Radio fragt sie (sich): „Ich glaube, Wahrheit ist immer auch eine Sache der | |
Loyalität. Wem bin ich loyal gegenüber? Und darf ich aus Liebe lügen?“ | |
Die mögliche Schuld eines Familienmitglieds am Tod eines Menschen und die | |
damit einhergehenden großen, existentiellen Fragen von Verdächtigung, | |
Verdrängung, Vertrauen, Verantwortung hat Regisseurin Aelrun Goette bereits | |
in ihrem Spielfilmdebut „Unter dem Eis“ (2005) verhandelt. Vielleicht noch | |
größer wäre „Im Zweifel“ sogar ohne den Zweifel. Als kleine | |
Charakterstudie, als Porträt einer Ehe: Die Dauer-Genervtheit des Mannes | |
wäre ebenso nachvollziehbar wie Judith Ehrmanns permanente Unentspanntheit. | |
Das Berufen-sein hat seinen Preis. | |
## Schmerzhafte Ausführlichkeit beim Bestatter | |
Die Regisseurin („Tatort“), die Autorin („Tatort“), Michelsen (“Poliz… | |
110“) und Baum (“Der letzte Bulle“) haben alle Krimi-Erfahrung. Das | |
Überbringen der Todesnachricht an die Angehörigen – die von den Kommissaren | |
immer auch sofort zuhause angetroffen werden – ist so eine | |
Krimi-Standardsituation. In einem Atemzug wird dann meistens gleich | |
gefragt: „Hatte er/sie Feinde?“ Hier läuft diese Szene einmal ganz anders | |
ab, bestimmt realistischer. Auch das Prozedere beim Bestatter wird in aller | |
schmerzhaften Ausführlichkeit gezeigt. | |
Keine leichte Kost. Aber die hat man von Aelrun Goette auch nicht zu | |
erwarten. Ob der Gewaltexzess eines Teenagers oder der Suizid einer | |
depressionskranken Mutter – Goettes großes Thema sind die menschlichen | |
Abgründe. Wirklich neu ist, dass sich diese Abgründe in der ARD nun auch am | |
Samstagabend auftun, zur besten Sendezeit. | |
30 Jan 2016 | |
## AUTOREN | |
Jens Müller | |
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