# taz.de -- Die USA und die Super Bowl: Der wahre Nationalfeiertag | |
> Mit Wings und Hymnen feiern die US-Amerikaner sich selbst bei der Super | |
> Bowl – und ihre Liebe zu einem durch und durch militärischen Sport. | |
Bild: Eine Sportveranstaltung? Jordin Sparks singt die Nationalhymne bei der Su… | |
Jeder Amerikaner, der am 28. Januar 1991 alt genug war, um die Super Bowl | |
wahrzunehmen, kann sich genau an diesen Tag erinnern. Die New York Giants | |
gewannen seinerzeit das große Finale der Profi-Football-Saison knapp mit | |
einem Punkt gegen die Buffalo Bills, nachdem Scott Norwood in letzter | |
Sekunde ein Field Goal verschoss. Doch das ist nicht der Grund, warum | |
Amerika so gerne an jenen milden Winterabend in Florida zurückdenkt. | |
In das nationale Gedächtnis eingebrannt hat sich vielmehr der Auftritt von | |
Whitney Houston, der in jenem Jahr die Ehre zukam, vor dem Spiel die | |
Nationalhymne zu singen. Houston kam in einem seidenen Trainingsanzug in | |
den Nationalfarben in das Stadion gejoggt, so, als sei sie Teil einer | |
imaginären Nationalmannschaft. | |
Es wurde ein Vortrag für die Ewigkeit. Houston steigerte sich mit ihrer | |
Jahrhundertstimme so in die Hymne, dass es den 72.000 im Stadion und den | |
vielen Millionen an den Bildschirmen kalt den Rücken herunterlief. Als dann | |
kurz darauf eine Formation von F-16-Bombern über das Stadion donnerte, in | |
dem Tausende rot-weiß-blaue Fahnen flatterten, explodierte der Patriotismus | |
in eine haltlose Ekstase, die quer durch das ganze Land bebte. | |
Erst zehn Tage zuvor war der erste Golfkrieg zu Ende gegangen, den Amerika | |
als High-Tech-Spektakel von Präzisionsbombardements live an den | |
Bildschirmen hatte verfolgen können. Der Krieg hatte die Nation entzweit, | |
Hunderttausende hatten gegen die Invasion demonstriert. Doch jetzt, in | |
diesem Moment, in dem Whitney Houston sich das Mikrofon schnappte, war das | |
vergessen, jetzt stand Amerika wieder geeint hinter seinen Truppen und | |
salutierte dem Star-Spangled Banner. | |
## Texte von Lincoln | |
Es war nicht das erste Mal, dass die Super Bowl als Ritual der nationalen | |
Einigung diente. Während der Geiselnahme im Iran 1981 wurden gelbe | |
Schleifen an die Zuschauer im Stadion verteilt und kollektiv das Volkslied | |
Yellow Ribbon gesungen, in dem eine Frau geduldig auf ihren Liebsten | |
wartet, der im Krieg ist. Richard Nixon nutzte die Super Bowl während des | |
Vietnamkriegs, um allen Protesten zum Trotz Bilder nationaler Einheit zu | |
erzeugen. Und vor der Super Bowl 2002, der ersten nach dem 11. September, | |
traten alle noch lebenden Präsidenten auf, um Texte von Abraham Lincoln zu | |
lesen – dem großen Einiger der Nation im Amerikanischen Bürgerkrieg. Im | |
Anschluss rezitierten Spieler Auszüge aus der Unabhängigkeitserklärung. | |
Der Super-Bowl-Sonntag erfüllt schon lange die Funktion des | |
Nationalfeiertags in den USA, als Tag, an dem die Nation all das | |
zelebriert, was sie vermeintlich verbindet und auszeichnet. Um den | |
Football-Sport geht es stets nur in zweiter Linie. Das Spiel ist viel mehr | |
eine Gelegenheit für Amerika, sich seiner selbst zu versichern. Es ist eine | |
große Feier amerikanischer Macht und Größe, die umso inbrünstiger begangen | |
wird, je stärker die realen wirtschaftlichen und politischen Ereignisse am | |
amerikanischen Selbstbewusstsein kratzen. | |
Dabei bleibt niemand außen vor, man kommt als Amerikaner an der Super Bowl | |
ebenso wenig vorbei wie an Thanksgiving. Es gibt kaum einen amerikanischen | |
Haushalt, der keine Super-Bowl-Party feiert, in jeder Kneipe des Landes | |
flimmert das Spiel über die Bildschirme. Dazu gibt es reichlich Bier und | |
Junk Food – Chicken Wings und Pizza stehen ganz oben auf der nationalen | |
Speisekarte. Alles ist erlaubt, was kurzfristig befriedigt – Super Bowl | |
Sunday ist der Tag, an dem Amerika kein schlechtes Gewissen kennt. | |
Das gilt schon für den Konsum des Spiels selbst. Football ist eine | |
unverhohlene Feier von Militarismus und Gewalt, und Amerika gibt sich hier | |
ohne Anflug von Scham seiner Liebe zu diesen Dingen hin. Wenn sich der Rest | |
der Welt in einer Mischung aus Abscheu und Faszination den Kopf kratzt, ist | |
dies nur noch mehr Grund, inbrünstig jenes Spiel zu zelebrieren, das den | |
amerikanischen Exzeptionalismus verkörpert. | |
## Marsch und Militär | |
Schon in seinen Anfängen im ausgehenden 19. Jahrhundert wurde Football mit | |
Militärmetaphern beschrieben. Das Gleichnis lag nahe: Das neue Spiel, dem | |
anfangs vornehmlich an den Elite-Colleges der Ostküste gefrönt wurde, | |
verband die rohe körperliche Gewalt von Rugby mit strategischem Denken und | |
Geschick. Dass Quarterbacks bis heute als „Feldherren“ gelten, während die | |
Linebacker „Grabenkämpfe“ ausfechten, liegt deswegen nahe. | |
So war es nur logisch, dass Football seit dem Ersten Weltkrieg zur | |
Offiziersausbildung gehört. Heute noch gehört das Spiel zwischen der Army- | |
und der Navy-Auswahl zu den wichtigsten Terminen im Kalender der | |
US-Streitkräfte. Und die Militärpräsenz mit Kampffliegern, Marschkapellen | |
und Vorzeigeeinheiten ist Teil der Standardinszenierung der Super Bowl. | |
Die gesamte Ästhetik des Spiels ist unverhohlen militärisch. Es geht um | |
Raumgewinn und Eroberung, erkämpft durch List und Geschick aber auch durch | |
nackte körperliche Kraft. Die modernen Spieler, durch Helme und Uniformen | |
anonymisiert, sind idealtypische Supersoldaten, durchtrainierte | |
Muskelberge, die wirken, als entsprängen sie einem Videospiel. Es sind | |
Übermenschen, unverwundbar, unbesiegbar, eine Armee von Terminatoren. | |
Doch wie hart die Körper dort geschunden werden, teilt sich dem Konsumenten | |
ebenso wenig mit wie die Grausamkeit der Kriege in Syrien, Irak oder | |
Afghanistan in der medialen, hochzensierten Vermittlung. So war es ein | |
erbitterter Kampf einer Handvoll Ärzte und Angehörigen von Spielern, die | |
Liga und die Öffentlichkeit dazu zu bringen, die Langzeitschäden des | |
Football-Spielens anzuerkennen. Die Liga tat alles, um zu leugnen und zu | |
vertuschen. | |
## 15 Milliarden Dollar Jahresumsatz | |
Die grausame Wirklichkeit auf dem Feld tat der Lust der Konsumenten an dem | |
Spiel ohnehin keinen Abbruch. Die NFL bleibt mit 15 Milliarden Dollar | |
Jahresumsatz die wirtschaftlich erfolgreichste Sportliga der Welt und für | |
die Super Bowl wird in diesem Jahr wieder eine Einschaltquote von rund 115 | |
Millionen Haushalten erwartet. Dieses Spiel ist im Internet-Zeitalter eines | |
der letzten globalen Live-TV-Spektakel. | |
Zelebriert werden am Super Bowl Sunday freilich nicht allein Militarismus, | |
Patriotismus und Gewalt, sondern auch der Konsumkapitalismus selbst. In | |
diesem Jahr kosten 30 Werbesekunden während der drei Stunden Übertragung | |
fünf Millionen Dollar. Es ist eine spezielle Version von „Amerika“, die | |
sich da am Super-Bowl-Sonntag manifestiert, sie hat etwas Karikaturhaftes, | |
so, als würde sie aus der Feder von Donald Trump stammen. Nicht zufällig | |
beklagte Trump jüngst, dass Football nach einer Regelverschärfung zur | |
Vermeidung von Kopfverletzungen zu „soft“ geworden sei. | |
7 Feb 2016 | |
## AUTOREN | |
Sebastian Moll | |
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