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# taz.de -- Die Wahrheit: Die Versorgungsehe
> Wenn der ökonomische Druck hoch ist, kann es nicht gut sein, sich passiv
> durchs Leben treiben zu lassen. Da hilft auch keine Stellvertreterin.
Mit Anfang dreißig begann ich unter dem Eindruck der unbefriedigenden
Entwicklung meiner Einkommensverhältnisse, eine Versorgungsehe mit einer
wohlhabenden Frau anzustreben. Alles dazu Notwendige wurde über ein
einschlägiges Institut abgewickelt. Es konnte schließlich die – in
finanzieller Hinsicht – richtige Frau für mich gefunden werden. Weil es
ausschließlich um ihr Geld ging, legte ich keinen Wert auf persönliches
Kennenlernen, und so wurde die Ehe auf schriftlichem Wege geschlossen.
Ich wähnte mich am Ziel und bereitete die Kündigung meines
Arbeitsverhältnisses vor. Da geschah etwas Folgenschweres. Durch einen
Computerfehler war die Frau, mit der ich soeben vermählt worden war, erst
zwei Jahre alt. Die Ehe wurde daraufhin annulliert – aus war es mit meiner
Versorgung.
Ich verklagte die Verursacher der Computerpanne auf Schadensersatz und
erreichte, dass mir per Gerichtsbeschluss eine freiwillige Stellvertreterin
zugeteilt wurde, mit der ich eine eheähnliche Beziehung unterhalten konnte.
Sie wurde von der unterlegenen Partei nach Tarif bezahlt und war nicht
vermögend. Also musste ich weiterarbeiten. Den Mut, nochmals eine
Versorgungsehe anzustreben, brachte ich nicht auf. Ich besuchte die
Stellvertreterin an den Wochenenden, und wir verbrachten die Zeit in ihrer
kleinen Wohnung.
Vor vier Jahren wurde ich von meinem Arbeitgeber gezwungen, Trendartikel
auf dem Gebiet der Unterhaltungselektronik zu entwickeln. Dafür konnte
niemand unzuständiger sein als ich. Von Elektronik hatte ich nicht nur
keine Ahnung, sondern verabscheute sie sogar. Aus finanziellen Gründen war
es mir jedoch unmöglich zu kündigen.
Irgendwo hatte ich gelesen, in hoffnungslosen Lagen sei es ratsam, sich
passiv treiben zu lassen, weil man dann durch unbewusste Prozesse zum Ziel
geführt werde. Ich schaltete meinen bewussten Willen aus. Bei einem meiner
infolgedessen plan- und ziellosen Gänge durch die Stadt entdeckte ich im
Schaufenster eines stark heruntergekommenen Hi-Fi- und
Fernsehtechnikgeschäfts den offenbar vor sehr langer Zeit handschriftlich
verfassten Aufruf: „Herbei, herbei, wer Elek-tronik lernen will!“ Die
Ladentür war allerdings verschlossen. Auf der beschädigten Leuchtreklame
stand eine Rufnummer, unter der sich nie jemand meldete, so oft ich sie
wählte. Als ich Tage später noch einmal zu dem Laden ging, sah ich mich mit
Leerstand konfrontiert.
Meine unbewusste Steuerung hat mich seither, was die Erledigung meines
Auftrags betrifft, nicht weitergebracht. Sie bewirkt nur, dass ich morgens
lange schlafe und schon seit vier Jahren nicht mehr zur Arbeit gegangen
bin. Dort scheint mich niemand zu vermissen, denn mein dürftiges Gehalt
wird nach wie vor jeden Monat überwiesen. Die freiwillige Stellvertreterin
hat sich versetzen lassen, ohne dass mir vom Gericht eine neue zugeteilt
worden wäre. Mir ist das alles recht, solange ich zu Hause bleiben kann und
fürs Nichtstun ein wenig Geld bekomme.
2 Feb 2016
## AUTOREN
Eugen Egner
## TAGS
Groteske
Berufswahl
Experimentelle Musik
Abstiegsangst
Menschen
Groteske
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