# taz.de -- Die Wahrheit: Die geldlose Zeit | |
> Ein dringender Report über die Zwerge, die gewöhnlich die Zahlungsmittel | |
> im Garten herstellen, aber ihren Betrieb offenbar eingestellt haben. | |
Meinen treuen Lesern draußen an ihren in- und ausländischen Lesegeräten | |
sowie in der Friedrich-Ebert-Straße und im Waldhof will ich heute an dieser | |
Stelle ein getreuliches Bild meiner Lebensverhältnisse in schwerer Zeit | |
vermitteln. | |
Während der letzten zwanzig Jahre suchte ich immer öfter die altbekannte | |
Stelle im Garten auf, wo die Zwerge das Geld entstehen ließen. Ohne solch | |
segensreiche Einrichtung der Natur wäre schlichtweg kein Überleben möglich | |
gewesen. Vor ein paar Tagen aber wurde ich mit einer Veränderung | |
konfrontiert: An besagter Stelle entsteht kein Geld mehr. Die Zwerge haben | |
den Betrieb aufgegeben und sind nach Norden gezogen, jedenfalls steht das | |
auf dem Zettel im Aushangkasten für finanzielle Gartenmitteilungen. | |
Bei längerem ungläubigen Lesen der Mitteilung bildet sich der Zusatz: „In | |
dringenden Fällen bitte an die Insekten wenden.“ Wenn der eingetretene Fall | |
kein dringender ist, dann weiß ich nicht, was mit der Formulierung | |
„dringender Fall“ gemeint sein soll. Aber werden die Insekten uns helfen? | |
Ich glaube mich nämlich zu erinnern, dass ich zu meiner Zeit (neun Uhr | |
Celsius) eine Insektenverzichtserklärung unterzeichnet habe. Deshalb bin | |
ich nicht sicher, ob es klug wäre, mich an die Insekten zu wenden. | |
Hier ist guter Rat teuer. Auch die leere Teekanne weiß mir keinen. Was hat | |
sie überhaupt im Garten zu suchen? Weitere sich aufdrängende Fragen sind: | |
Weshalb haben die Zwerge sich so still davongemacht? Konnten sie uns nicht | |
rechtzeitig vorher über ihre Absicht in Kenntnis setzen, damit wir uns auf | |
die einschneidende Veränderung einstellen konnten? Und konnten sie nicht | |
die Größe besitzen, uns eine Ersatzstelle zu nennen, an der künftig Geld | |
für uns entstehen würde? Das Verhalten der Zwerge hat etwas entschieden | |
Brutales, anders kann ich es nicht ausdrücken. | |
Eine wahrhaft schwere Zeit ist das, nicht zuletzt wegen der Geldlosigkeit. | |
Oft setze ich mich vor dem Zubettgehen noch an den Schreibtisch und | |
schreibe schnell einen Roman. Irgendwo muss das Geld ja herkommen, sage ich | |
mir, aber es kommt keins. Der Notarzt lehnt es ab, mir eine größere Summe | |
zu leihen. Von Schenken will er gleich gar nichts hören. | |
Die altbekannte Stelle im Garten, an der die Zwerge nun plötzlich kein Geld | |
mehr entstehen lassen, soll künftig anders genutzt werden. Wir müssen sie | |
dazu umgraben, doch ist das nicht so einfach. Vorher muss gründlich geprüft | |
werden, ob im Boden notwendige Versorgungsleitungen verlaufen. Mit diesem | |
Thema ist nicht zu spaßen, denn, wie das Versorgungsamt nicht müde wird zu | |
betonen, wenn Versorgungsleitungen beschädigt werden, kann Versorgung | |
freigesetzt werden. Niemand will, dass so etwas geschieht, am wenigsten | |
wollen wir es, und schon gar nicht in einer so schweren Zeit. | |
Zum Schluss vielleicht noch etwas anderes: Die Ordnungsbehörden haben mich | |
gebeten, öffentlich bekanntzugeben, dass die Kantate „Der Sünde Joch mir | |
grünt“ nicht von Johann Sebastian Bach stammt. | |
11 Dec 2015 | |
## AUTOREN | |
Eugen Egner | |
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