# taz.de -- Ökonomische Krise in Afrika: Wenn die Lichter ausgehen | |
> Lange verließen sich die Länder Afrikas auf den Rohstoffhunger Asiens. | |
> Nun bedroht die rückläufige Nachfrage die politische Stabilität. | |
Bild: Heimat einer ölgenährten Elite: Luanda, Angola. | |
Am 28. Januar trat in Kinshasa die Regierung der Demokratischen Republik | |
Kongo zu einer außerordentlichen Kabinettssitzung zusammen. Der einzige | |
Tagesordnungspunkt: die Wirtschaftskrise. Wenige Tage zuvor war bekannt | |
geworden, dass aufgrund der sinkenden Exporteinnahmen die Budgetplanung des | |
Landes über den Haufen geschmissen werden muss. Von den für 2016 geplanten | |
9,1 Milliarden Dollar müssen 1,3 Milliarden weg, weil das Geld nicht da | |
sein wird. | |
Eine Etatkürzung von rund 15 Prozent – das ist, als müsste Wolfgang | |
Schäuble schnell mal 50 Milliarden Euro einsparen. In einem Land wie dem | |
Kongo, wo die überwiegende Mehrheit der 75 Millionen Einwohner in bitterer | |
Armut lebt, wo es kaum funktionierende Infrastruktur oder staatliche | |
Dienstleistungen gibt, ist eine solche Kürzung der Unterschied zwischen | |
Fortschritt und Rückschritt und für manche zwischen Leben und Tod. Es | |
werden ja nicht dort die Gürtel enger geschnallt, wo etwas zu holen wäre. | |
Die Steuer- und Zollbehörden sind jetzt angehalten, noch eifriger als sonst | |
Geld einzutreiben von Leuten, die nichts haben. | |
Kongo lebt vor allem vom Export von Bergbauprodukten, deren Kurse in den | |
Keller gefallen sind. Woanders sieht es nicht besser aus. Angola, Afrikas | |
Ölboomland der letzten Jahre, musste seine öffentlichen Investitionen | |
letztes Jahr bereits halbieren: Wenn der Ölpreis um zwei Drittel sinkt, | |
füllen sich auch die angolanischen Staatskassen nicht mehr. | |
Nicht nur in Kinshasa saßen die Minister am 28. Januar zum Krisentreffen | |
beieinander, sondern auch in der angolanischen Hauptstadt Luanda 500 | |
Kilometer entfernt am Atlantik. Sie beschlossen eine „Anpassung der Zahlung | |
öffentlicher Schulden“, eine „Optimierung der Gehaltszahlungen im | |
öffentlichen Dienst“ und ein „Sondersteuerregime im Bankensektor, um | |
Überweisungen durch Steuerzahler zu kontrollieren“. | |
Im Klartext: Die schwerreiche angolanische Regierung, in deren | |
Präsidentenfamilie sich einige der reichsten Milliardäre Afrikas befinden, | |
will ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen, ihre Gehälter auch nicht und | |
gleichzeitig in Bankkonten greifen können. In einer autokratischen | |
postsozialistischen Diktatur wie Angola geht so etwas offenbar. Aber wie | |
lange geht es, dass in der Glitzerhauptstadt Luanda die mit Ölgeldern | |
genährte Elite sich in hochgesicherten Luxusenklaven vergnügt, während | |
draußen die Straßenkinder an Malaria sterben? | |
## Chinesische Einkäufe schrumpfen | |
In den letzten rund zehn Jahren hatte Afrika begonnen, sich ein neues, | |
positives Image zuzulegen: der kommende Boomkontinent, der endlich den Weg | |
zu hohen Wachstumsraten gefunden hat und wo eine kritische Masse | |
aufgeklärter und ungeduldiger Menschen beginnt, herrschende Verhältnisse | |
infrage zu stellen. Nähren sollte diesen Boom der Rohstoffhunger Asiens, | |
allen voran Chinas. China brauchte alles, und zwar immer mehr. | |
Afrikanische Staatschefs strömten zu Gipfeltreffen in Peking und Delhi. Die | |
Flüge über den Indischen Ozean waren voll. Chinesische Firmen warfen mit | |
Beton und Dollars um sich. Man lernte in Afrika Chinesisch und kam sich | |
fortschrittlich vor. Man musste sich nicht mehr nach den Weißen richten – | |
ein befreiendes Gefühl. | |
Aber auch Chinas Rohstoffbedarf ist nicht mehr grenzenlos. Die chinesischen | |
Einkäufe schrumpfen, die Rohstoffpreise sinken auf allen Märkten der Welt. | |
Seit kurzer Zeit klafft zwischen China und dem afrikanischen Kontinent ein | |
gigantisches Handelsbilanzdefizit, in das die mühselig verdienten Devisen | |
der letzten Jahre verschwinden wie in einem schwarzen Loch. Unversehens | |
verkehrt sich die Blüte in eine neue Abhängigkeit. | |
Um Investitionspläne zu retten, fangen jetzt Regierungen an, sich auf den | |
Kapitalmärkten zu verschulden. Die Geschichte lehrt, dass das böse endet, | |
vor allem wenn die eigene Währung sich im freien Fall befindet, was bei | |
wachsenden Handelsdefiziten leider unvermeidlich ist. Dann schrumpft und | |
verfault die eigene Wirtschaftsleistung wie Fisch in der Tropensonne. | |
## Verletzliche neue Mittelschicht | |
Die Krise trifft alle. Afrikas mit Abstand bevölkerungsreichstes Land, | |
Nigeria, das erst letztes Jahr seinen ersten demokratischen und friedlichen | |
Machtwechsel vollzog und zu Recht darauf stolz ist, muss dringend in seine | |
arbeitslose Jugend investieren. Der neue Präsident Muhammadu Buhari wollte | |
eigentlich dieses Jahr den Staatshaushalt dafür um 20 Prozent erhöhen. | |
Aber woher soll das Geld kommen, solange Öleinnahmen 70 Prozent der | |
Staatseinnahmen ausmachen – und ausbleiben? Und wie reagieren die Menschen, | |
wenn Buhari seine Wähler enttäuscht? Dieser Tage debattiert Nigerias | |
Parlament den Staatshaushalt 2016. Es gibt Warnungen vor einem | |
Staatsbankrott noch in diesem Jahr. | |
Ähnliche Schatten stehen über Afrikas größter Volkswirtschaft, Südafrika, | |
wo bereits rund die Hälfte der Jugendlichen arbeitslos ist und die Wut | |
gärt. Südafrikas Präsident Jacob Zuma steht in den Augen vieler für | |
Vetternwirtschaft und Ideenlosigkeit. Offiziell träumt Afrika davon, | |
endlich auf eigenen Füßen zu stehen; Südafrika war bei dieser Rhetorik | |
immer ganz vorn. Tatsächlich verließen sich afrikanische Führer darauf, | |
dass Asiens Rohstoffhunger ihnen ein Schlaraffenland frei Haus liefert. Was | |
sollen all die jungen Südafrikaner, Nigerianer, Kongolesen, Angolaner tun, | |
wenn die Lichter ausgehen und die Realität sie einholt? | |
Es droht in vielen Ländern mehr als ein konjunktureller Abschwung. Es droht | |
das Ende einer Hoffnung. Afrikas neue Mittelschicht hat keine Puffer für | |
magere Zeiten; sie ist schmal, verletzlich und schnell aus dem | |
Gleichgewicht zu werfen. Sie bezieht ihre Dynamik aus dem Willen und der | |
Fähigkeit, den eigenen Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen: Man | |
leistet sich bessere Schulen, vernünftige Ärzte, Wasser und Strom. Wenn das | |
nicht mehr geht, weil das eigene Einkommen sinkt oder weil die gewünschten | |
Dienstleistungen unerschwinglich werden, brechen diese Lebenswelten | |
zusammen. Dann naht die Revolte der nächsten Generation. | |
31 Jan 2016 | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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