# taz.de -- Die Rohstoffe im arktischen Eis: Polarbonus und schwarze Kohle | |
> Der Abbau von Steinkohle auf Spitzbergen rentiert sich nicht. Doch die | |
> Regierungen in Oslo und Moskau halten aus strategischen Gründen daran | |
> fest. | |
Bild: Viele Gruben in Longyearbyen sind bereits geschlossen. | |
SPITZBERGEN taz | Der Nordpol liegt näher als Oslo oder gar Moskau. Beim | |
Landeanflug nach Longyearbyen heben sich im bläulich schimmernden Licht der | |
Polarnacht bunte Holzhäuschen gegen das Bergmassiv ab. Wegen des | |
Permafrosts sind sie auf Stelzen gebaut. Etwa 2.000 Menschen leben im dem | |
Städtchen, in Sichtweite fließt der Gletscher Longyearbreen vorbei. Erst | |
Anfang März wird sich die Sonne wieder über den Horizont erheben. | |
Seit etwa einem Jahrhundert wird auf Spitzbergen Steinkohle abgebaut. | |
Förderbänder aus Stahlseilen, an denen hoch in der Luft Grubenwagen hängen, | |
umsäumen das arktische Städtchen wie metallene Girlanden. Die Gruben sind | |
bis auf Grube 7 längst geschlossen. | |
Trotz des starken Preisverfalls der Kohle hat die norwegische Regierung der | |
Erschließung eines weiteren Abbaugebiets zugestimmt. Dabei geht es weniger | |
um die Kohle selbst als darum, durch sie die Lebensgrundlage und | |
strategische Bedeutung dieser Stadt zu sichern. | |
Der nördliche Meeresboden ist reich an Rohstoffen, die durch das vom | |
Klimawandel verursachte Abschmelzen des Eises freigelegt werden. Dabei | |
wächst vor allem die Hoffnung auf große Mengen Erdgas und -öl. Über die | |
Eigentumsrechte der Arktis wird im arktischen Rat und vor der | |
UN-Seerechtskonvention hart verhandelt. | |
## Sonderkonditionen für die Arbeitskräfte | |
„Die norwegische Regierung tut viel dafür, dass Menschen bleiben“, sagt | |
Jannicke Darre Hirsch. Die junge Frau arbeitet seit drei Jahren in | |
Longyearbyen. „Im Vergleich zu den Festlandsnorwegern genießen wir enorme | |
Steuererleichterungen.“ Hirsch steht vor einer Wand mit Fotografien von | |
springenden Eisbären und auffliegenden Wasservögeln, die WildPhoto Travel & | |
Gallery ist eine Art Reisebüro. Ein gutes Gehalt und eine Dienstwohnung | |
locken gerade junge Norweger in die Arktis. Das Konzept scheint aufzugehen, | |
Jannicke Darre Hirsch will noch ein paar Jahre bleiben. | |
In den Wintermonaten sind die Menschen per Schneemobil unterwegs. | |
Abenteuergeist müssen sie mitbringen, denn selbst für einen kleinen Ausflug | |
außerhalb der Stadtgrenze empfiehlt es sich, wegen der Eisbären das Gewehr | |
mitzunehmen. Die Gemeinschaft auf der arktischen Inselgruppe setzt voraus, | |
dass man fähig ist, sich selbst zu versorgen: Es gibt keine alten oder | |
kranken Menschen, und zum Sterben müsste man ohnehin aufs Festland. Auf | |
Spitzbergen dürfen keine Menschen begraben werden – wegen des Permafrosts. | |
Store Norske ist der größte Arbeitgeber in Longyearbyen – auch wenn die | |
Firma im vergangenen Jahr Arbeiter entlassen musste. Eine kleine Lore steht | |
vor dem Firmensitz, während auf der gegenüberliegenden Straßenseite das | |
Stampfen und Klirren von industriellen Transportanlagen zu hören ist. Wie | |
überall wird man gebeten, bei Betreten des Gebäudes die Schneestiefel | |
ausziehen. Hausschuhe stehen stets bereit. | |
## 20 Jahre weiter so | |
Marketingleiter Aleksander Askeland zeigt auf einer Wandkarte begeistert | |
Lunckefjell – das neue Erschließungsgebiet, das noch tiefer im Berg liegt. | |
„Damit können wir die nächsten zwanzig Jahre weitermachen“, verkündet er | |
und verweist darauf, dass man damit die Stahlproduktion qualitativ | |
verbessere. Die einzigartigen Ökosysteme in der Arktis sieht der Manager | |
nicht gefährdet. Mit einem Augenzwinkern räumt er ein, dass die Kohle zum | |
größten Teil ja nicht in Norwegen verbrenne. | |
Dagegen hatte UN-Klimasekretärin Christiana Figueres 2014 bei einem Besuch | |
die sofortige Schließung aller Kohleminen gefordert. Der Abbau sei schwer | |
mit dem neuen Label Spitzbergens als internationales Klimaforschungszentrum | |
zu vereinen. | |
In der „Svalbar“, einer Kneipe im Ort, gibt es Bier ohne Mehrwertsteuer, | |
erheblich günstiger als auf dem Festland. Ein Trupp junger Leute stürmt | |
herein, eine bunte Mischung internationaler Studierender, die alle wind- | |
und wasserfeste Funktionskleidung tragen. Die Universität Spitzbergen ist | |
eine Außenstelle der norwegischen Universitäten, die durch Kooperationen | |
und Forschungsprojekte fortwährend ausgebaut wird. Der einheimische Guide | |
geht zum Tresen und übergibt der Barfrau sein Gewehr – ein bisschen | |
Wildwest im hohen Norden. | |
## Die russische Enklave | |
Zwei Stunden dauert die Reise im Schneemobil von Longyearbyen ins 60 | |
Kilometer entfernte Barentsburg. Während im Sommer die Mitternachtssonne | |
monatelang nicht untergeht, ist im Winter die Landschaft aus Gletschern und | |
Fjorden in diffuse Blauweißtöne getaucht. Massive Betonstahlblöcke erheben | |
sich mitten im Niemandsland, mintgrün, blau und altrosa gestrichen, als | |
wolle man das Unwirtliche der Gegend wettmachen. Die russische Enklave | |
Barentsburg hatte sich in den letzten zwanzig Jahren in eine Geisterstadt | |
verwandelt: schwarzer Schnee, menschenleere Straßen. Nun ist man dabei, den | |
Ort in eine Touristenattraktion zu verwandeln. | |
Das Staatsunternehmen Trust Arktikugol gab es schon zu Sowjetzeiten, es | |
versorgte die Städte Murmansk und Archangelsk mit Energie. Und schon damals | |
war der Kohleabbau hier kaum profitabel, daran hat sich wenig geändert. | |
Umgekehrt ist die Versorgung des Ortes per Schiff und Hubschauer sehr | |
kostenintensiv. | |
„Der Tourismus soll den Kohleabbau in wenigen Jahren bei Weitem | |
übertreffen“, erzählt Iwan Welitschenko, ein sportlicher junger Mann mit | |
großen Ohrringen, in flüssigem Englisch, dabei grinst er, als glaube er | |
selbst nicht ganz daran. Noch ist es der Polarbonus, der vor allem | |
ukrainische Bergarbeiter in die Arktis zieht. Er sieht höhere Löhne und | |
eine Extrazahlung nach zwei Jahren vor. | |
In einem Wohnhaus lungern auf einem Sofa russische Bekannte von Iwan. Sie | |
schauen eine Mittelalter-Serie auf einem Flachbildschirm und knabbern | |
geröstete Sonnenblumenkerne. Danila Trofimow, Maria Petuchowa und Dimitri | |
Alexejew arbeiten im Tourismussektor. Danila, ein Barmann, stimmt ein | |
Loblied auf 78er Wodka an - es gebe einen alten Seemannsspruch, dass der | |
Promillegehalt des Getränks mit dem Breitengrad übereinstimmen müsse. In | |
den Sommermonaten führt er mit dem Boot Touristen zu der stillgelegten | |
russischen Bergarbeitersiedlung Pyramiden. | |
## Wiktor aus dem Donbass | |
„Wir haben alle eine Chipkarte, auf die unser Monatslohn in Rubel geladen | |
wird. Damit können wir einkaufen und essen gehen“, erzählt Danila Trofimow. | |
In der Arbeiterkantine von Arktikugol gibt es an diesem Tag in Mayonnaise | |
getränkten Rote-Bete-Salat sowie Kohlsuppe. Wiktor Terjaniks Schicht ist | |
gerade vorbei, seine Augen sind schwarz umrandet. Er löffelt seinen | |
Borschtsch zu Ende, dann fängt er an zu erzählen. Wie die meisten Arbeiter | |
kommt er aus dem Donbass-Becken und ist froh, dass er hier ist. Der | |
Ingenieur überprüft die Maschinen unter Tage und kontrolliert | |
Arbeitsabläufe. Er hat zunächst nur einen Dreimonatsvertrag – mit Option | |
auf Verlängerung. „Ich hoffe, dass ich hier zwei Jahre lang Geld verdienen | |
kann und sich sich die Situation in meiner Heimatregion wieder entspannt“, | |
sagt er. | |
Barentsburg war zu Sowjetzeiten eine sozialistische Vorzeigestadt. Auch | |
heute gelten klare Regeln: Wer stiehlt, wird einmal verwarnt und danach in | |
seine Heimat zurückgeschickt. Der noch immer lesbare Spruch „Unser Ziel ist | |
der Kommunismus“ neben der auf den Grönfjord blickenden Leninstatue wird | |
allerdings eher belächelt. „Ihr seid zu modern in Barentsburg, klagen | |
manche Touristen“, erzählt Timofei Rogoschin amüsiert. „Ihr seid viel zu | |
wenig ,back to the USSR‘.“ Rogoschin ist der Manager von Tourist Artikugol, | |
einem Ableger der Minengesellschaft. Wild stehen ihm seine rötlichen Locken | |
vom Kopf. | |
Seit 2006 sind in Barentsburg nahezu alle Gebäude renoviert worden, und | |
2012 wurde eine eigene Brauerei eröffnet, die nördlichste der Welt. Dort | |
wird allerdings nur Leichtbier mit 2,6 Prozent Alkohol ausgeschenkt. Die | |
norwegische Verwaltung erlaubt nicht mehr. Ebenso sind nur eine Flasche | |
Wodka und ein Kilo Zucker pro Monat für die Barentsburger erlaubt. | |
Rogoschin, der in Murmansk aufgewachsen ist, hält nichts davon, die | |
russische Enklave als „Sowjetkulisse“ zu erhalten und zu bespielen. Dieser | |
Ort sei längst in einer anderen Zeit angekommen, sagt er und erzählt | |
begeistert vom Museum des Ortes. Hier soll sich mit Ausstellungen, Musik- | |
und Tanzveranstaltungen die Vielfalt der Kulturen widerspiegeln, die im | |
Laufe in die Arktis gelangt sind: darunter Schweden, Niederländer und | |
Pomoren, eine slawische Volksgruppe, die sich im 12. Jahrhundert am Weißen | |
Meer niedergelassen hat. Außerdem will man in Zukunft Touren zu den alten | |
Walfängerkochstätten sowie Kanu- und Motorschlittenfahrten anbieten – und | |
das nicht nur für russische Gäste. | |
Rogoschin setzt dabei auf die junge gebildete russische Generation – wie | |
Maria aus Moskau und Iwan aus Petersburg. Alle hier müssten etwas tun, das | |
sei normal, sagt auch Wiktor Terjanik, der Minenarbeiter aus Donezk. Vor | |
den langen Polarnächten hat er keine Angst. In der Ukraine sei er immer | |
morgens im Dunkeln los. Unter Tage werde es ja sowieso nicht hell. | |
24 Jan 2016 | |
## AUTOREN | |
Alice Rombach | |
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