# taz.de -- „Fossil Free Berlin“ im Gespräch: „Es kann schnell gehen“ | |
> Berlin will bis 2050 klimaneutral werden. Die Initiative „Fossil Free | |
> Berlin“ fragt sich: Wann stößt das Land endlich seine Kohle-, Öl- und | |
> Gas-Beteiligungen ab? | |
Bild: Warum steckt Berlins öffentliches Geld in solchem Schweinkram? | |
taz: Herr von Gemmingen, der Klimavertrag von Paris ist jetzt auch schon | |
wieder ein paar Wochen alt. Wie bewerten Sie ihn? | |
Mathias von Gemmingen: Ich persönlich habe gemischte Gefühle. Das Resultat | |
ist besser, als zu erwarten war, wenn man bedenkt, dass fast 200 Staaten | |
diese Mammutaufgabe zu stemmen hatten. Viele hatten ja befürchtet, dass | |
Paris so ergebnislos wie die Konferenz in Kopenhagen 2009 ausgehen könnte. | |
Das ist zum Glück nicht passiert. Positiv zu sehen ist vor allem das | |
Signal, dass das 2-Grad-Ziel unterschritten werden soll, dass die 1,5 Grad | |
im Vertragswerk auftauchen. Eher unbefriedigend sind die Vorgaben, wie das | |
erreicht werden soll. Die sind im Grunde ähnlich unklar wie in früheren | |
Vereinbarungen. Man hat sich etwa erfolgreich davor gedrückt, das Wort | |
„Dekarbonisierung“ im Text zu erwähnen, also den kompletten Ausstieg aus | |
Kohle, Öl und Gas. | |
Kann man denn ohne den Verzicht auf fossile Energieträger das Klimaziel | |
erreichen? | |
Das Ziel, das jetzt ausgegeben wurde, lautet, bis Mitte des Jahrhunderts | |
„emissionsneutral“ zu sein. Also ein Gleichgewicht herzustellen zwischen | |
dem CO2, das in die Atmosphäre entweicht, und dem CO2, das in sogenannten | |
Senken gebunden wird. Damit ist zum Beispiel Wiederaufforstung gemeint, | |
andere verstehen aber darunter auch Geo-Engineering oder die Verpressung | |
von Kohlendioxid im Boden (CCS). All diese Dinge, die NGOs und viele | |
Wissenschaftler ablehnen, als technisch nicht machbar oder viel zu schwach | |
interpretieren. Saudi-Arabien oder Venezuela setzen vermutlich auf diese | |
Karte. | |
Für Sie ist aber klar, dass fossile Brennstoffe keine Option mehr sind. | |
Zwischen den Zeilen ist das allen Beteiligten klar. Die Hauptbotschaft des | |
Vertrags lautet: Das Ende der fossilen Ära ist eingeläutet. Das werden auch | |
viele Politiker so sehen und kommunizieren. Und wenn bis Mitte des | |
Jahrhunderts nicht so viele Länder wie möglich diesen Schritt tun, ist das | |
schöne Ziel von 1,5 bis 2 Grad utopisch. | |
„Fossil Free Berlin“ fordert jetzt Divestment. Was ist das überhaupt? | |
Der Begriff bedeutet den Ausstieg aus Investitionen in fossile Brennstoffe. | |
International ist das schon ein sehr gängiger Begriff. Wir fordern bereits | |
seit Anfang 2015, dass das Land Berlin seine Investitionen in Kohle-, Öl- | |
und Gaskonzerne beendet. Diese Investitionen in Höhe von rund 10 Millionen | |
Euro bestehen aus Aktien von Dax-30- und Euro-Stoxx-50-Konzernen wie RWE, | |
Total oder BASF. Das Land hält sie als Teil seiner Versorgungsrücklagen für | |
Renten und Pensionen. Aber man kann nicht Dividende verdienen wollen auf | |
Kosten des Klimas. Dieses Geld muss abgezogen werden, weil das ganz klar | |
dem Ziel Berlins widerspricht, bis 2050 klimaneutral zu werden. So steht es | |
auch im Berliner Energiewendegesetz. | |
Gibt es Beispiele für erfolgreiches Divestment? | |
Am weitesten ist man bei dem Thema in den USA, aber auch in Deutschland | |
gibt es bereits Erfolge. Münster hat sich als erste Stadt dazu | |
verpflichtet, dort gibt es die Zusage, dass die Finanzen bis April 2016 | |
sauber sein sollen. Inzwischen haben schon über 70 Städte weltweit | |
beschlossen, aus fossilen Investitionen auszusteigen. Es muss aber gar | |
nicht nur die öffentliche Hand sein. Im Unternehmenssektor ist die Allianz | |
vorgeprescht und hat ihr Geld zumindest aus Kohle-Projekten herausgenommen. | |
Auch die evangelische Kirche in Hessen hat einen stattlichen | |
Millionenbetrag aus dem Bereich abgezogen. Die Kirche argumentiert eher mit | |
der Moral, die Allianz natürlich rein kapitalistisch. Aber recht haben | |
beide. | |
Wieso macht es ökonomisch Sinn, aus „fossilen Papieren“ auszusteigen? | |
Es gab eine interessante Entwicklung im vergangenen Herbst: Da flog RWE | |
ganz offiziell aus dem Euro Stoxx 50, weil der Konzern in einem Jahr fast | |
50Prozent seines Börsenwerts verloren hatte. Unternehmen, die auf der Basis | |
fossiler Brennstoffe wirtschaften, sind eben massiv überbewertet, seit die | |
Wissenschaft berechnet hat, dass 60 bis 80 Prozent der noch vorhandenen | |
Rohstoffvorräte niemals genutzt werden dürfen, weil sonst das 2-Grad-Ziel | |
nicht mehr zu halten wäre. Das ist die Kohlenstoffblase. Gemeint sind | |
Bodenschätze, die in den Büchern stehen, aber in Zukunft nicht verkauft | |
werden können – weil sich die öffentliche Stimmung dreht und die | |
Gesetzgebung verschärft wird. Aus einem großen Teil der Kohle-, Öl- und | |
Gas-Reserven werden wertlose „stranded assets“. | |
Was sagt der Senat zu Ihrer Forderung? | |
Wir haben das ganze Jahr über vor allem den Regierenden Bürgermeister ins | |
Visier genommen. Herr Müller hat das Wort „Divestment“ aber noch nie in den | |
Mund genommen, jedenfalls nicht in der Öffentlichkeit. Dafür hat der | |
Finanzsenator, als wir ihn bei einer Veranstaltung danach gefragt haben, | |
erstmals durchblicken lassen, dass seine Verwaltung hinter den Kulissen zu | |
fossilfreien Investitionen recherchiert. Den wichtigsten Etappensieg gab es | |
aber am 11. November mit dem Abschlussbericht der Enquetekommission „Neue | |
Energie für Berlin“. Die sollte dem Senat konkrete Vorschläge machen, wie | |
Berlin klimaneutral werden kann. In ihrem Bericht steht unter anderem, dass | |
das Land den Ausstieg aus Braunkohle und Steinkohle bis 2020 bzw. 2030 | |
umsetzen soll. Was uns sehr freut: Es gibt ein Unterkapitel, in dem | |
Divestment gefordert wird. Und das haben Vertreter aller gewählten Parteien | |
einstimmig beschlossen! | |
Aber selbst wenn das Land seine klimaschädlichen Aktien abstößt, wäre es | |
noch lange nicht „fossil free“. | |
Man braucht viele Schritte, um Berlin klimaneutral zu machen. Aber aus | |
unserer Sicht kann Divestment das allererste Instrument sein. Es ist | |
politisch und technisch am einfachsten umzusetzen, man muss keine | |
langwierigen Verhandlungen mit Konzernen führen und keine neue Technologie | |
erfinden. Es kann zur Nachahmung inspirieren. Und es kann schnell gehen. | |
Kündigungsfristen und Laufzeiten dürfte es da auch geben. | |
Niemand kann uns erzählen, dass die Finanzexperten nicht Mittel und Wege | |
finden, um Geld schnell zu bewegen. Wenn es drauf ankommt, schaffen die das | |
immer. | |
4 Jan 2016 | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
## TAGS | |
Braunkohle | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Divestment | |
Nachhaltigkeit | |
CO2 | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kein Investment in Klimaschänder: Göttingen will sauberes Geld | |
Göttingen will sein Geld nicht mehr in Unternehmen stecken, die das Klima | |
schädigen, Waffen bauen oder korrupt sind. Denn das hat unschätzbare | |
Vorteile. | |
Ausstieg aus klimaschädlichen Energien: Berlin durchbricht die CO2-Mauer | |
Das Land zieht sein Geld aus Kohle, Öl und Gas ab – die Divestment-Bewegung | |
jubelt. Damit Berlin im Jahr 2050 klimaneutral ist, braucht es aber mehr. |