# taz.de -- Geboren am 2. Januar: Nicht einmal gut zum Sterben | |
> Der 2. Januar ist der niederträchtigste, boshafteste Tag des Jahres. | |
> Unser Autor rechnet ab – mit seinem eigenen Geburtstag. | |
Bild: Hass auf den Geburtstag. | |
Der 2. Januar ist ein durch und durch widerlicher, verabscheuungswürdiger, | |
boshafter und heimtückischer Tag. Es ist geradezu unverzeihlich, dass mich | |
meine Mutter ausgerechnet an einem 2. Januar zur Welt bringen musste. Schon | |
am Tage meiner Geburt, an diesem unglückseligen 2. Januar im Jahre 1974, | |
sage ich Ihnen, fing meine Leidensgeschichte mit diesem abgrundtief bösen | |
Tag an. | |
Bereits in der Silvesternacht, sagt meine Mutter, hätten die Wehen | |
eingesetzt. Sie sei ins Krankenhaus gefahren und dann habe es überall | |
geknallt und bunte Raketen seien geflogen und ich habe und habe einfach | |
nicht zur Welt kommen wollen. Dieser höllische Böllerlärm, so die Vermutung | |
meiner Mutter, hätte mir im Bauch verständlicherweise Angst gemacht. Erst | |
in den frühen Morgenstunden des 2. Januars, nach unvorstellbaren Schmerzen | |
und Qualen, sagt meine Mutter, hätte ich endlich den Mut gefunden, das | |
Licht der Welt zu erblicken. | |
Ein paar Stunden später sei mein Vater, dieser Nichtsnutz, Herumtreiber und | |
Taschendieb, ins Krankenhaus gekommen. Ungeachtet all seiner schlechten | |
Eigenschaften, habe sie diesen Mann nun einmal geliebt, sagt meine Mutter. | |
Schön und charmant sei er eben auch gewesen. Jedenfalls sei mein Vater ein | |
paar Stunden später ins Krankenhaus gekommen, habe mich gesehen, in die | |
Luft gehoben und vor Glück geweint. | |
Aufgeregt sei er gewesen, mein Vater, und habe darauf bestanden, in einer | |
Kneipe auf sein Glück anzustoßen. Da mein Vater mal wieder pleite gewesen | |
sei, habe sie ihm in einem Anfall geburtsberauschter Dummheit 20 D-Mark in | |
die Hand gedrückt. 20 D-Mark, sagt meine Mutter, seien damals viel Geld | |
gewesen. Er habe ihr nur versprechen müssen, nicht so viel zu trinken und | |
uns um Punkt 18 Uhr mit einem Taxi am Eingang des Krankenhauses abzuholen. | |
## Kalt und schneematschig | |
Um 18 Uhr sei sie dann mit mir vor dem Krankenhaus gestanden. Mein Vater, | |
dieser elende Herumtreiber, sei jedoch nicht aufgetaucht. Eine halbe Stunde | |
habe sie auf ihn gewartet und bitterkalt sei ihr gewesen. Später habe sie | |
erfahren, sagt meine Mutter, dass sich mein Vater an jenem Tag in | |
irgendeiner Kneipe so sehr betrunken hatte, dass er irgendwann bewusstlos | |
vom Barhocker gefallen sei. Sie habe an diesem Abend jedenfalls kein Geld | |
mehr gehabt. | |
Es sei ihr nichts anderes übrig geblieben, als mit mir durch die klirrend | |
kalte Nacht nach Hause zu laufen. Damals habe es ja noch keine Handys | |
gegeben, sagt meine Mutter, und nicht einmal für ein Busticket habe ihr | |
Geld gereicht. In jener Nacht habe sie meinen Vater verflucht, sie könne | |
gar nicht wiederholen, was für schlimme Flüche sie ausgestoßen habe. | |
Das muss man sich mal vorstellen, am ersten Tag in meinem Leben hat sich | |
mein Vater besoffen und ich wurde bei Schneetreiben und klirrender Kälte | |
von meiner fluchenden Mutter durch die trostlosen Straßen von Würzburg | |
getragen. Sie müssen mir doch zustimmen, dass dies ein geradezu | |
katastrophaler Lebensbeginn für so ein kleines unschuldiges menschliches | |
Wesen ist. | |
Wie dem auch sei: Später wurden die 2. Januars auch nicht viel besser. Zu | |
Weihnachten, sobald es ein größeres Geschenk gab, fiel stets der Satz, dass | |
dies auch schon ein wenig für meinen Geburtstag sei. Diese unrechtmäßige | |
Verbindung zwischen der Feier der Geburt von Jesu Christi und meinem | |
Geburtstag hat mich immer wieder aufs Neue maßlos geärgert. Jesus und der | |
Weihnachtsmann haben mir meinen Geburtstag gehörig versaut, sage ich Ihnen. | |
Kalt und schneematschig und dunkel war mein Geburtstag und anstatt mit | |
meinen Schulfreunden, die noch irgendwo in der Welt in den Weihnachtsferien | |
waren, zu feiern, musste ich jeden 2. Januar die dummdreisten | |
neujahrsverkaterten Gesichter der Erwachsenen ertragen. Gehasst habe ich | |
meinen Geburtstag, sage ich Ihnen, abgrundtief gehasst. | |
## Kleingeistiger Steinbockmann | |
Zu allem Überfluss ist man, wenn man an diesem Tage geboren wurde, auch | |
noch ein Steinbock. Und wenn man so viel Pech wie ich hat, wird man durch | |
den Aszendenten auch noch zu einem Doppelsteinbock. Wissen Sie, gemeinhin | |
sagt man, dass der Steinbockmann ein ernsthafter Mensch, ein Realist sei, | |
dem Klarheit und Sicherheit über alles gehen. Überschwang sei ihm fremd. | |
Zielstrebig und pflichtbewusst gehe er durchs Leben. | |
Mit diesem kleingeistigen und pedantischen Steinbockmann wollte ich jedoch | |
nichts zu tun haben. Seitdem ich denken kann, sage ich Ihnen, habe ich | |
gegen diese engstirnigen und bornierten Charaktereigenschaften des | |
Steinbockmannes angekämpft. Mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln | |
habe ich mich gewehrt, habe versucht leicht, untreu, verspielt, großzügig | |
und verschwenderisch zu werden. Aber was soll ich sagen: Ich bin | |
gescheitert, bin mit meinem Versuch, ein luftiger und lebensfroher | |
Bonvivant zu werden, jämmerlich und kläglich gescheitert. Einmal Steinbock, | |
immer Steinbock, sozusagen lebenslänglich im Knast des unbelehrbaren und | |
dickköpfigen Steinbocks. | |
Und wissen Sie, das habe ich mein Leben lang als Demütigung aufgefasst. Als | |
aufgeklärtes Individuum möchte man doch mündig, unabhängig und | |
selbstbestimmt sein. Jahrelang habe ich versucht, alleine durch die Kraft | |
meines Verstandes, mich als neuer Mensch zu erfinden. Wie einst Don Quijote | |
habe ich tapfer gegen die sternenbildverschuldete Unmündigkeit in meinem | |
Dasein angekämpft und mich dabei ganz und gar der Lächerlichkeit | |
preisgegeben. | |
Unerschütterlich habe ich an die Ideale der Aufklärung geglaubt, nur um | |
eines Tages festzustellen, dass die Kraft irgendeiner saublöden | |
Konstellation des Sternenhimmels, größer als die meines Willens und meines | |
Verstandes ist. Das ist doch eine bodenlose Unverschämtheit, sage ich | |
Ihnen. Und das alles nur, weil ich an einem gottverdammten 2. Januar | |
geboren wurde. | |
## Seit Jahrhunderten ein Unglückstag | |
Nichts, wirklich gar nichts spricht für diesen Tag. Es gab keine | |
Revolutionen oder bahnbrechenden Erfindungen an irgendeinem 2. Januar in | |
der Menschheitsgeschichte. Ein Nichttag ist dieser 2. Januar, an dem nur | |
zweit- oder gar drittklassige Menschen geboren werden. Und auch die Liste | |
der berühmten Persönlichkeiten, sage ich Ihnen, die an einem 2. Januar | |
gestorben sind ist, im Vergleich zu anderen Tagen, einfach nur erbärmlich. | |
Nein, nicht einmal zum Sterben taugt dieser schäbige und niederträchtige | |
Tag. | |
Ein hämisch grinsender Waldmännchentag ist dieser 2. Januar, sage ich | |
Ihnen. Was, Sie haben noch nie vom Waldmännchentag gehört? Dann passen Sie | |
mal auf, das habe ich recherchiert, das können Sie nachlesen. In der | |
hessisch-thüringischen Grenzregion gilt der 2. Januar seit Jahrhunderten | |
als Unglückstag. An diesem Tag ist es strengstens untersagt, das Haus zu | |
verlassen und in den Wald zu gehen. | |
Denn im Wald lebt ein Waldmännchen, eine Art Waldschrat oder Kobold, der | |
sich, sobald Sie an diesem Tag den Wald betreten, in seiner Winterruhe | |
gestört fühlt und Sie mit grimmiger Rachsucht oder gar mit dem Tod | |
bestrafen wird. Was soll man bitteschön, frage ich Sie, von einem Tag | |
halten, an dem man nicht im Wald spazieren darf, weil da irgendein | |
boshaftes Männchen sein Unwesen treibt? | |
Kommen wir zum Fazit meiner kleinen Untersuchung dieses durch und durch | |
gehässigen Tages. Falls Sie jemals planen, ein Kind in die Welt zu setzen, | |
bitte ich Sie inständig darum, den 2. Januar als Geburtstermin weiträumig | |
zu umschiffen. Da es jedoch auch zu unbeabsichtigten Unfällen beim | |
Geschlechtsverkehr kommen kann, möchte ich noch einen Schritt weiter gehen, | |
und Sie darum bitten, im möglichen Zeugungszeitraum zwischen dem 27. März | |
und 24. April, ganz auf den Sexualakt zu verzichten. Nur durch diese | |
zugegebenermaßen harte Maßnahme können Sie mit großer Wahrscheinlichkeit | |
ausschließen, dass Ihr unschuldiges Kind an diesem unglückseligen Tag | |
geboren wird. | |
2 Jan 2016 | |
## AUTOREN | |
Alem Grabovac | |
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Geburtstag | |
Schwerpunkt Flucht | |
Syrien | |
Theater | |
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