# taz.de -- Trainingslager in den Golfstaaten: „Der Sport ist ein löchriger … | |
> Sport ist nicht unpolitisch, sagt der Sportethiker Elk Franke. Ein | |
> Gespräch über den schwierigen Tourismus deutscher Bundesligisten an den | |
> Golf. | |
Bild: Selfie mit Katari: Bayern-Profi David Alaba hält sich mit politischen S… | |
taz: Herr Franke, der FC Bayern München ist nach Doha, Katar gereist, | |
Eintracht Frankfurt und Borussia Dortmund haben ihre Trainingslager in den | |
Vereinigten Arabischen Emiraten aufgeschlagen. Das wird heftig kritisiert | |
wegen der schwierigen Menschenrechtslage, unwürdigen Arbeitsbedingungen von | |
Gastarbeiten. Bayern-Chef Karl-Heinz Rummenigge findet, ein Trainingslager | |
sei „keine politische Äußerung“. Hat er recht? | |
Elk Franke: Es ist naheliegend, dass der Vertreter eines auf sportlichen | |
Erfolg ausgerichteten Vereins so argumentiert. | |
Warum? | |
Leute wie Rummenigge bedienen sich gern eines Arguments, das nach dem | |
Zweiten Weltkrieg geprägt wurde: Der Sport ist unpolitisch. In diesem Sinne | |
gilt die Trainingsreise in einen Golfstaat nicht als politische Äußerung. | |
Alle drei Klubs haben hervorragende Bedingungen in Katar in der „Aspire | |
Academy for Sports Excellence“ und den Emiraten. Aber heiligt der Zweck die | |
Mittel? | |
Rummenigge bezieht sich auf eine alte Position, die in der jungen | |
Bundesrepublik von Sportpolitikern gefeiert worden ist. Das war nach den | |
Erfahrungen des Nationalsozialismus, wo der Sport von den Nazis vereinnahmt | |
und politisch instrumentalisiert wurde, auch nachvollziehbar. Man wollte | |
sich aus der Politik heraushalten und glaubte eine eigene Welt aufbauen zu | |
können. Dies gilt zwar für das Spiel auf dem Rasen, aber für seine | |
Organisationsformen ist es eine Illusion. Die Politik nimmt den Sport | |
gern für sich in Anspruch. Umgekehrt profitiert der Sport auch stark davon. | |
Somit wird der Satz „Der Sport ist unpolitisch“ zu einer ideologischen | |
Aussage, die in der Alltagspraxis keine Gültigkeit hat. | |
Es handelt sich also um eine reine Schutzbehauptung? | |
Man benutzt dieses Diktum, um ein doppeltes Spiel zu spielen. Auf der | |
Hinterbühne wirken in hohem Maße betriebs- und gewinnorientierte | |
Mechanismen bis hin zu Betrügereien, und auf der Vorderbühne fordert man | |
Respekt, Fairness und authentisches Leistungsstreben. Gerade der Fußball | |
lebt in einer Doppelwelt, die sich glaubt durch eine Doppelmoral | |
stabilisieren zu müssen. Es gibt allerdings auch viele Konsumfans, die sich | |
an der Doppelmoral nicht stören, sondern nur den Erfolg ihres Vereins im | |
Auge haben. | |
Ist ein Verein, auch wenn er wie der FC Bayern München neuerdings eine | |
Abteilung „Public Affairs“ hat, nicht überfordert in der Rolle des | |
politisch korrekten Mahners beziehungsweise des Importeurs westlicher | |
Werte? | |
Manche Spieler lassen bereits eine gewisse Sensibilität bei Medienfragen zu | |
diesem Thema erkennen. Sie werden ja auch, wenn sie zum Beispiel in Israel | |
sind, zur Holocaustgedenkstätte Jad Vaschem gefahren oder dergleichen. | |
Andererseits könnte man auch auf die vielen deutschen Touristen verweisen, | |
die gern zum günstigen Tarif ins Fünfsternehotel nach Doha reisen, in eine | |
Unterkunft, die möglicherweise von Sklavenarbeitern gebaut wurde. | |
Münchens Kapitän Philipp Lahm hat bei seiner Ankunft in Katar die | |
Gretchenfrage gestellt: „Was ist besser: Geht man wirklich offen mit dem | |
Thema um oder sagt man, man bleibt einfach zu Hause. Oder fährt man hin und | |
spricht darüber?“ Was sagen Sie: hinfahren oder wegbleiben? | |
So eine Reise muss nicht nur der eigenen Leistungssteigerung dienen, sie | |
kann auch mehr sein: ein gesellschaftspolitisches Unternehmen. So könnte | |
man die Attraktivität als Verein vor Ort nutzen, um über den Tellerrand zu | |
schauen und Missstände anzusprechen. Das hätte einen hohen aufklärerischen | |
und reflektierenden Wert. | |
Ein symbolpolitischer Akt? | |
Nicht nur. Wenn beispielsweise die Spieler des FC Bayern München in Katar | |
in ein Elendsquartier der Gastarbeiter fahren würden, die die Stadien für | |
2020 bauen, dann wäre das mehr als Symbolpolitik. | |
Das ist aber wohl nicht geplant. | |
Es wäre wünschenswert, wenn Vereine sich nicht nur bei der Reklame für mehr | |
Respekt, sondern auch sonst als moralische Institution verstehen würden. | |
Woher rührt die moralische Sonderrolle des Sports? Man muss ja bedenken, | |
dass die Bundesregierung die „strategische Partnerschaft“ mit Katar | |
hervorhebt, in den Emiraten operieren 900 deutsche Firmen. Katar hält | |
Beteiligungen an VW, Hochtief und Siemens. Und allein im ersten Halbjahr | |
2014 wurden Rüstungsexporte nach Katar und in die Emirate im Volumen von | |
über 55 Millionen Euro genehmigt. Warum wird im wirtschaftlichen Bereich | |
die Wertedebatte nicht mit der gleichen Vehemenz geführt wie im Sport? | |
Diese Frage tangiert das Selbstverständnis des Systems Sport. Ein Sieg | |
eines Fußballteams ist nicht nur ein Erfolg, er hat immer auch eine | |
ethisch-ästhetische Bedeutung. Es sind im Idealfall natürliche Leistungen | |
von authentischen Akteuren bei offenem Handlungsablauf zu bestaunen. Das | |
bietet die Grundlage für eine Identifizierung, die im Zirkus oder Theater | |
nicht möglich ist. Das Kulturgut Wettkampfsport kann aber nur geschützt | |
werden, wenn es seine Werte wirklich glaubwürdig vermittelt. Die | |
Identifizierungsbereitschaft der Fans hängt ab von der Balance zwischen | |
Gewinnorientierung und einer gewissen Glaubwürdigkeit der Bedingungen, | |
unter denen Leistungen erbracht werden. Es sollte daher kennzeichnend für | |
Fußballvereine sein, sich nicht automatisch so zu verhalten wie ein | |
VW-Konzern oder eine Bank. | |
Lässt sich ein Fußballverein auf diese Weise hervorragend vor den Karren | |
eines moralischen Imperialismus spannen? | |
Ja. Der Sport ist ein inhaltsfreies Drama, das eine Identifikation mit | |
allen möglichen Inhalten erlaubt. Ein Schweizer Käse, in dessen Löcher | |
allerhand reinpasst, ohne dass der Geschmack verloren geht. | |
Oder eine Leinwand, auf die alles Mögliche projiziert werden kann. | |
Der Sport hält viel aus, zum Beispiel auch die omnipräsente Werbung. Dies | |
zeigt sich im Kontrast, wenn zum Beispiel die Musiker eines | |
Symphonieorchesters mit einer Marlboro-Schärpe spielen würden? Das ist eher | |
undenkbar. Der Sport ist ein Prototyp dafür, wie etwas vermarktet werden | |
kann, ohne dass das Produkt darunter leidet. | |
Der FC Bayern kriegt jetzt wieder das meiste Fett weg, weil er das | |
Trainingslager in der Golfregion aufschlägt, dabei müsste Eintracht | |
Frankfurt im Zentrum der Kritik stehen, denn die Hessen treten in einem | |
Freundschaftsspiel gegen den saudischen Klub Al-Ahli Dschidda an, ein | |
Angebot, das Borussia Dortmund bewusst abgelehnt hat. Im Vorjahr spielte | |
der FC Bayern gegen den saudischen Spitzenverein Al-Hilal, was später auch | |
von Rummenigge als Fehler bezeichnet wurde. Warum regt sich niemand über | |
die Eintracht auf? | |
Das beschäftigt eher die Lokalpresse. Es war wohl für die Frankfurter nicht | |
so einfach, Spielpartner zu finden, die gut sind. Aber die Diskussion über | |
Saudi-Arabien ist auch etwas scheinheilig. Der Blogger Raif Badawi, der zu | |
1.000 Peitschenhieben verurteilt wurde und mit dem Leben bedroht ist, ist | |
seit eineinhalb Jahren in den Medien, ohne dass es eine so deutliche Kritik | |
wie zuletzt an Saudi-Arabien gegeben hätte. So gesehen ist die | |
Kontaktaufnahme der Frankfurter Eintracht mit Dschidda nicht nur | |
unverantwortlich, sondern auch naiv. | |
Kann so ein Spiel nicht auch eine Brücke schlagen? | |
Der Sport wird manchmal durch seine unverbindliche Art zum Türöffner und | |
kann unter bestimmten Umständen auch zum Abbau von Spannungen beitragen wie | |
in einigen Fällen zur Zeit des Kalten Krieges. Er darf sich dabei aber | |
nicht hinter der Nachkriegsfloskel vom unpolitischen Sport verstecken. | |
Gerade ein so schwammiger Begriff wie Glaubwürdigkeit hat auch eine hohe | |
ökonomische Bedeutung. Deshalb sollte der Fußball sensibler mit den | |
Bedingungen umgehen, unter denen er stattfindet. | |
Die Sportfunktionäre und Vereinsmanager werden jetzt immer wieder die | |
Gelegenheit bekommen, darüber nachzudenken, wie politisch sie sein wollen, | |
denn Katar hat sich als Sportgroßmacht etabliert, richtet in diesem Jahr | |
die Straßenrad-WM aus, 2018 die Turn-WM, 2019 die Leichtathletik-WM und | |
2022 aller Voraussicht nach die Fußball-WM. Wird sich die Diskussion über | |
Werte möglicherweise verändern? | |
Das ist schwer zu prognostizieren. Man muss beobachten, ob solche | |
Sportevents auch zu gesellschaftspolitischen Veränderungen führen werden. | |
Dabei spielen die westlichen Medien eine große Rolle, wenn sie nicht nur | |
über den Ereignissport, sondern auch über das Land berichten. | |
Man gewinnt aber den Eindruck, dass große Sportevents, ob sie nun am | |
Persischen Golf, in Aserbaidschan oder China stattfinden, eher | |
systemstabilisierend im Ausrichterland wirken? | |
Kurzfristig ist so ein Stabilisierungseffekt meist noch erkennbar. Aber es | |
gibt inzwischen auch die Welt der neuen Medien, die gern Hintergründe | |
sichtbar machen. Dadurch könnten solche Events mittelfristig auch zu | |
Pyrrhussiegen für die veranstaltenden Länder werden. | |
10 Jan 2016 | |
## AUTOREN | |
Markus Völker | |
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