| # taz.de -- Zum Tode von Kurt Masur: Er nahm die Dinge in die Hand | |
| > Er war energisch, einnehmend, mitunter eigensinnig, als Dirigent genau | |
| > wie als Leipziger im Wendeherbst 1989. Nun ist Kurt Masur mit 88 | |
| > gestorben. | |
| Bild: Kam oft ohne Taktstock aus: Kurt Masur. | |
| Alles an Kurt Masur war unverwechselbar und einzigartig. Sein kraftvoller, | |
| weit ausholender Dirigierstil mit den scheinbar nervös flatternden Händen, | |
| bei dem er meistens ohne Taktstock auskam. Seine von klaren Vorstellungen | |
| bestimmte, vehemente und fordernde Art, am Pult zu dominieren. Aber auch | |
| sein entschiedenes, manchmal bärbeißiges Auftreten im gesellschaftlichen | |
| und politischen Leben. | |
| In den letzten Jahren flatterten seine Hände leider aus anderen Gründen: | |
| Die Parkinson-Krankheit gewann zunehmend die Herrschaft über diese starke | |
| Persönlichkeit. Am Samstag starb Kurt Masur 88-jährig auf einer Reise | |
| unweit von New York in einem Krankenhaus von Greenwich, wie seine | |
| Sprecherin Anna-Barbara Schmidt am Nachmittag mitteilte. | |
| Kurt Masur gehört zu einer Reihe von Künstlern verschiedener Genres, deren | |
| Talent, Fleiß und gute Ausbildung über die provinzielle Enge und | |
| Abschottung der DDR hinausführte, ja ihnen sogar Weltgeltung verschaffte. | |
| Wobei das Kriterium einer kompletten Ausbildung bei Masur gerade nicht | |
| zutrifft. 1927 im damals schlesischen Brieg geboren, besuchte er zunächst | |
| die Landesmusikschule Breslau. Nach dem Krieg begann er in Leipzig Klavier, | |
| Komposition und Dirigieren zu studieren. Doch schon 1948 beendete er dieses | |
| Studium vorzeitig, nicht ganz freiwillig, wie man hört. Er muggte wohl | |
| zuviel des nachts als Jazzpianist, wie Musikanten sagen. | |
| Auf das Klavier zielten auch zunächst seine Ambitionen, doch ein | |
| Fingerleiden verhinderte die Pianistenlaufbahn. Das Talent bekam dennoch | |
| Anstellungen als Repetitor und Kapellmeister an Bühnen in Halle, Erfurt und | |
| Leipzig, später noch einmal kurz in Schwerin. Die erste wichtige | |
| hauptamtliche Stelle trat er 1955 für knapp vier Jahre bei der Dresdner | |
| Philharmonie an, der er zeitlebens verbunden blieb. 1967 wurde er hier für | |
| fünf Jahre Chefdirigent. In dieser Zeit beriet er die auch Erbauer des 1969 | |
| eingeweihten Dresdner Kulturpalastes. | |
| ## Masurs geschmeidiger Gewandhausklang | |
| Der Durchbruch kam für ihn 1960 mit der Verpflichtung als Chefdirigent an | |
| der Komischen Oper Berlin durch Walter Felsenstein. In der Hauptsache aber | |
| steht der Name Masur für 26 Jahre Leitung des Gewandhausorchesters Leipzig | |
| bis zum Jahr 1996, also über das Ende der DDR hinaus. Man nannte ihn und | |
| das traditionsreiche Gewandhausorchester fast in einem Atemzug und dachte | |
| dabei an den geschmeidigen Gewandhausklang. Die vielleicht berühmtesten | |
| Aufnahmen stammen aus den achtziger Jahren, wobei ein gewisser Akzent auf | |
| Beethoven lag. Die Statistik verzeichnet allein 900 Tourneekonzerte. | |
| Masurs Sprung auf Konzertpodien der Welt schien folgerichtig. Mancher | |
| fragte sich allerdings auch, wie er noch in seiner Leipziger Ära ab 1991 | |
| die New Yorker Philharmoniker sozusagen nebenbei übernehmen konnte. Und wie | |
| er es schaffte, außerdem noch das Amt des Musikdirektors des London | |
| Philharmonic Orchestras auszufüllen und ab 2002 bis 2008 zusätzlich die | |
| Leitung des Orchestre National de France in Paris zu übernehmen. Überdies | |
| ist er Vater von fünf Kindern, war ab 1975 in dritter Ehe mit der | |
| japanischen Sopranistin Tomoko Sakurei verheiratet. | |
| Bei Nennung des Namens Kurt Masur klingt allerdings nicht nur der große | |
| Musiker an. Zwei kulturpolitische Taten in Leipzig verdienen eine | |
| Würdigung. Ohne seinen Einsatz und sein taktisches Gefühl für die | |
| politischen Verhältnisse hätte das neue, dritte Gewandhaus in Leipzig 1981 | |
| nicht eingeweiht werden können. Es blieb der einzige Konzertsaalneubau in | |
| der DDR. Auch für das Mendelssohn-Haus, das Museum seines Amtsvorgängers im | |
| 19. Jahrhundert Felix Mendelssohn-Bartholdy, machte er sich stark. | |
| Politiker erinnern nun nach Masurs Tod vor allem an dessen mahnende und | |
| mäßigende Rolle im so genannten Wendeherbst 1989 in Leipzig, vor allem an | |
| die Tage nahe der Großdemonstration vom 9. Oktober. Sechs Persönlichkeiten | |
| der Stadt, darunter Masur, unterzeichneten damals ein Plädoyer für einen | |
| friedfertigen und dialogbereiten Umgang von Staatsmacht und Bürgern. Masur | |
| stilisierte sich nie zu einem Widerstandskämpfer gegen das SED-Regime, | |
| „musste sich aber auch nicht schämen“, wie er sagte. | |
| Von der Krankheit gezeichnet, stürzte der weltbekannte Kapellmeister nach | |
| 2012 mehrfach schwer, so in Paris und Tel Aviv. Zuletzt dirigierte er vom | |
| Rollstuhl aus. Man mag sich fragen, ob dies ein würdevoller Abschied vom | |
| Pult war. Doch wer Masur beobachtete, wusste, dass er ein energischer Mann | |
| von hoher Selbstdisziplin war und versuchte, Parkinson etwa durch | |
| Krafttraining etwas entgegenzusetzen. | |
| Ganz abgesehen davon, dass er Musik immer als sein Lebenselixier | |
| bezeichnete. „Ohne Musik kann ich nicht leben“, lautete sein wohl am | |
| meisten zitierter Satz, der sich auf traurige Weise nun erfüllt hat. Kurt | |
| Masur hat der Interpretation sinfonischer Musik seinen ganz eigenen Akzent | |
| hinzugefügt. Und er ist darüber hinaus als einer der Weichensteller für den | |
| friedlichen Verlauf der „Kerzenrevolution“ in der DDR schon in die | |
| Geschichtsbücher eingegangen. | |
| 19 Dec 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Michael Bartsch | |
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