# taz.de -- Weihnachtsgeschichte: Das renatige Verdauungsvieh | |
> Schwere Fettblöcke schmelzen dahin. Alle Welt stellt Rolltreppen mit | |
> Körpern voll. Ehen kriseln, Kinder werden zu Wurfgeschossen. Frohes Fest. | |
Bild: Mit hängender Rolltreppenvisage und Kaufrauschtüten ziehen sie durch Ko… | |
## Anreise | |
Schnatternde Quarkgänse aus Oberursel schnattern über schnatternde | |
Quarkgänse aus Oberursel. Unklar, ob die schnatternden Quarkgänse, über die | |
geschnattert wird, auch solch endfuffzigjährige, kreischende | |
Studienrätinnen a. D. sind, wie die, die grad im vollen U-Bahn-Waggon zu | |
viert umherschnattern – oder, ob es sich tatsächlich um das Mastvieh | |
handelt, das die alten Damen in ein paar Tagen zu verspeisen gedenken, auf | |
dass die Schnatterei (ihre eigene natürlich) kein Ende haben möge. Wohin | |
fahren die vier? Natürlich zum Gänseessen! | |
## Verpflegung | |
Am Jahresende findet der Mensch zu seiner eigentliche Natur, der des | |
Verdauviehs, zurück: auf den „Weihnachtsmarkt“ genannten | |
Freiluftfresstempeln. Wozu hat man schließlich Enzyme? Brühwein, | |
Schmalzwurst, Bratkuchen, Wurstkuchen, Kuchenzucker, Verbranntes, Guss, | |
Schuss, Sahne, stipp, stopf, schmatz: lecker, Renate, her damit! Rein | |
damit! Mehr davon! | |
Verstopfte Ossis aus Eichsfeld und Erzgebirge und Eisleben schlurfen – das | |
Fett klebt, glänzt noch in ihren ewiglich hängenden Mundwinkeln - nicht vor | |
und nicht zurück. An einem x-beliebigen Frittierstand schmilzt ein | |
zentnerschwerer Fettblock rasch dahin, und man lässt sein flüssig‘ | |
Gegenwesen, das nun eher den Anschein von Pipi besitzt, aus einem großen | |
Hahn in das Fettbecken strömen, wo es wallend an die Innenwände klatscht, | |
um darin tiefgekühlte Teigklumpen zu verbrennen. | |
## Zerstreuung | |
Ihnen, oh‘ durchschnittliche*r taz-Leser*in, kann man nur dankbar sein, | |
tranen Sie schließlich für den weihnachtlichen Geschenkekauf nur durch Ihr | |
Viertel zum Bioladen, um dort vegane Fahrradschlauchmarmeladen (falls Sie | |
wissen wollen, was es damit auf sich hat: wenden Sie sich vertrauensvoll an | |
den Autor; d. Red.) zu erwerben – nicht aber mit hängender | |
Rolltreppenvisage und Kaufrauschtüten durch vaste Konsumzonen, um alles mit | |
Ihren Körpern vollzustellen. | |
Wenn man es schön verpackt, lassen die Shopping-Lackaffen sich wirklich | |
alles andrehen. Warum also nicht mal etwas kleinere Geschenke machen? Eine | |
zerdetschte Frikadelle? Ein in der Tür eingeklemmter großer Zeh, ein | |
angelutschtes Bonbon? Einmal nicht reden? Oder, mein Favorit: frische Hefe | |
aus dem Supermarkt. Kompakt, preiswert, würfelförmig – und multifunktional. | |
Ich meine zu glauben, dass sie in rohem Zustand sogar letal wirkt – gut | |
einsetzbar also für die renatige Verwandtschaft, etwa, wenn die | |
Weihnachtsgans doch mal zu klein geraten sein sollte; oder zumindest für | |
die neue Töle, die der Nachwuchs sich ja so doll gewünscht hat, aber eh | |
nach drei Wochen verhungern lassen hätte. | |
Durch die Wahl günstigerer Geschenke kann man zudem bei gleichem | |
finanziellem Einsatz viel mehr Leute beglücken: Damit rückt der Weltfrieden | |
in greifbare Nähe und man hat genug Legitimation, den Rest des Jahres | |
wieder der übliche Affenarsch zu sein, der tief drin in einem wohnt. | |
## Reinigung | |
Komm in die totgesagte kirch‘ und schau/ Die brillen verpickelt | |
konfirmanden/ Des verhassten nachbarn noch verhasstere frau/ Schrillt mit | |
stimme durchs gewölb. | |
Die Predigt selbst hat was von Fernsehen, bloß mit spürbar weniger | |
Reizüberflutung. Aber die wohltuende Berieselung durch den Wissenden, die | |
bleibt: „Der Mönchsabt Claudinius, der 1625 diesen Kanon gedichtet hat, | |
hatte 14 Kinder, von denen zwölf bereits vor ihrer Pubertät wieder starben | |
– aber vom Glauben abfallen, no-ho-hooin, das zu tun wäre ihm nie | |
eingefallen. Gott sieht alles – sogar das, was ich mit meinen Konfirmanden | |
nach 23 Uhr noch so alles anstelle. Sanktissimus uns allen!“ | |
## Epilog | |
Wenn Gänseblut spritzt, Ehe kriselt und kleine Kinder zu Wurfgeschossen | |
werden, dann ist das wie Sportfest in der Psychiatrie. Bewaffnen Sie sich | |
also ausreichend (Zimsterne, Vanillekillerl, Brandäpfel). „Bleiben Sie | |
sicher!“ (Rudi Cerne) und „Bleiben Sie heiter – irgendwie!“ (Maybritt | |
Illner) | |
24 Dec 2015 | |
## AUTOREN | |
Adrian Schulz | |
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