| # taz.de -- Kolumne German Angst: Entwicklungstechnisches Ödland | |
| > Das deutsche Leid ist grenzenlos – zumindest wenn man es an der | |
| > Oder-Neiße-Grenze misst – und immer eine diplomatische Katastrophe. | |
| Bild: Die Oder-Neiße-Grenze erkannte sie nicht an, aber dafür diese Kostüme:… | |
| Sechzig Millionen Menschen sind in diesen Monaten weltweit auf der Flucht. | |
| So viele, wie nie zuvor gezählt wurden. Warum gibt es in Deutschland | |
| eigentlich keine Bundesstiftung, die für das Thema zuständig ist? | |
| Ah, gibt es doch. Es gibt die „Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung“, | |
| diesen Klotz am Bein der Bundesregierung. Sie war gegründet worden, um „an | |
| die Vertreibung von 60 bis 80 Millionen Menschen in der ersten Hälfte des | |
| 20. Jahrhunderts“ zu erinnern. Das 21. Jahrhundert könnte also ihre große | |
| Zeit sein! Ist es aber nicht. | |
| Im Stiftungsrat nämlich dominiert der [1][Bund der Vertriebenen] (BdV). | |
| Zwei Direktoren wurden über das Jahr verschlissen. Nachdem der | |
| Wunschkandidat der Vertriebenen, [2][Winfried Halder], auserwählt worden | |
| war, verließen alle nichtdeutschen Mitglieder den wissenschaftlichen | |
| Beraterkreis. Halder trat dann trotzdem nicht an. | |
| Im BdV geht es indes leisetreterisch zu, seit die notorische Revisionistin | |
| Erika Steinbach [3][auf Twitter abgeschoben] wurde ( „;-)“ ). Die war noch | |
| gegen den EU-Beitritt Polens, stand 1991 eisern gegen die Anerkennung der | |
| Oder-Neiße-Grenze. In ihrer 16-jährigen Amtszeit prägte sie vor allem das | |
| Bild des BdV als nationalistisch und revisionistisch. So ist es eben. Wenn | |
| die Deutschen an ihr Leid erinnern, verlieren sie das Maß. Das deutsche | |
| Leid ist grenzenlos, zumindest wenn man es an der Oder-Neiße-Grenze misst, | |
| und immer eine diplomatische Katastrophe. | |
| Aber nun ist es so weit. Die Landsmannschaften haben kapituliert. Nicht so, | |
| wie Sie jetzt denken. Vor dem Zahn der Zeit. Die realitätsverneinende | |
| Volksdeutschigkeit beginnt sich in Zeitgeistfloskeln aufzulösen, seit die | |
| echten Vertriebenen eine Rarität geworden sind. | |
| [4][Der neue BdV-Präsident Bernd Fabritius] betont die Gemeinsamkeiten der | |
| neuen und der alten Vertriebenen. Es heißt nun „binationale Identität“, | |
| „mehrfacher kultureller Hintergrund“ oder „Diskriminierungserfahrung“. | |
| Tatsächlich berät der BdV auch Flüchtlinge, bisher wusste man das nur | |
| nicht. Die Russlanddeutschen könnten deren Lage besonders gut | |
| nachvollziehen, betonte jüngst auch der Regierungsbeauftragte für | |
| Aussiedlerfragen, Hartmut Koschyk, auf einer Berliner Konferenz. Und auch | |
| die anwesenden Landsmannschaften lobten Merkels Flüchtlingspolitik. | |
| Top-down-Prinzip. Das kennen die alten Kameraden noch ganz gut. | |
| Funktioniert trotzdem nicht. Bis vor Kurzem konnte man die Konservativen | |
| zur Weißglut bringen, [5][nannte man die Geflüchteten von heute | |
| Vertriebene]. Nun tun sie das selber. | |
| Aber 70 Jahre reaktionäre Politik tun das ihrige in den ergrauten Köpfen: | |
| nichts. Entwicklungstechnisch bleibt dort Ödland. Geistiges Stalingrad. | |
| Darum bekommt ein alter Mann im Publikum viel Applaus. Er hatte nach einer | |
| finalen territorialen Rehabilitierung verlangt und gerufen: „Kaliningrad | |
| ist deutsch.“ In den letzten Jahrzehnten hat er wohl vergessen, dass er | |
| Königsberg meint. | |
| Wie reagiert man nun auf diesen müden Volkssturm? „Ich habe Sie nicht ganz | |
| verstanden“, antwortete der russische Botschafter kühl. „Möchten Sie zur�… | |
| nach Russland?“ | |
| Treffer. Versenkt. | |
| 21 Dec 2015 | |
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| Sonja Vogel | |
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