| # taz.de -- Feuer im belgischen Reaktor Tihange: Atomkraft wieder brandaktuell | |
| > Der Brand im AKW habe „keine Folgen“, so die Betreiberfirma – und jubelt | |
| > über die Erlaubnis, alte Meiler wieder hochzufahren. | |
| Bild: Vorne Huy, hinten pfui. | |
| Huy taz | Ungeachtet aller Proteste und auch nach der Aufregung um den | |
| Brand im Atomreaktor Tihange 1 hält die belgische Regierung unbeirrt an | |
| ihren Plänen zur Wiederinbetriebnahme alter Atomkraftwerke fest. | |
| In der vergangenen Woche ging im AKW Tihange der umstrittene Reaktor 2 | |
| wieder ans Netz, der wegen tausender Haarrisse in seiner Stahlwand seit | |
| 2014 stillgelegt war. Zu Beginn dieser Woche soll der dritte Reaktor des | |
| anderen AKW in Doel folgen, so die Betreibergesellschaft Electrabel. | |
| Für beide hatte die nukleare Kontrollagentur FANC im November eine positive | |
| Sicherheitsbeurteilung abgegeben. Umweltorganisationen halten diese | |
| Beurteilung für vorschnell und fahrlässig. | |
| Unklar ist auch, wie es zu dem Brand in Tihange kam. Am Freitagabend war im | |
| Reaktor Tihange 1 Feuer ausgebrochen – „im nichtnuklearen Teil“, so ein | |
| Electrabel-Statement. Das Feuer sei rasch durch die Feuerwehr gelöscht | |
| worden. Der Reaktor habe sich automatisch abgeschaltet, die Ursache werde | |
| nun untersucht. | |
| ## Laufzeit bis 2025 verlängert | |
| Für Arbeiter, Bevölkerung und Umwelt, so Electrabel, habe der Vorfall | |
| „keine Folgen“. Der 1975 in Betrieb genommene Tihange 1 ist der älteste der | |
| drei Reaktoren des Atomkraftwerks und sollte eigentlich in diesem Jahr vom | |
| Netz gehen. Doch die Laufzeit wurde bis 2025 verlängert. | |
| Auch die Reaktoren Doel 1 und 2 sollen wie geplant in den nächsten Tagen | |
| wieder gestartet werden. Beide waren von Netz gegangen, nachdem sie die | |
| gesetzlich vereinbarte Betriebsdauer von 40 Jahren erreicht hatten. | |
| Im Rahmen der Verzögerung des belgischen Atomausstiegs, der 2003 | |
| beschlossen wurde, stimmte die Regierung in diesem Jahr einer | |
| Laufzeitverlängerung bis 2025 zu. Electrabel-Sprecherin Anne-Sophie Hugé | |
| sagte der taz, bis zum 24. Dezember seien damit alle Reaktoren wieder in | |
| Betrieb. „Ein Weihnachtsgeschenk.“ | |
| „Weihnachtsgeschenk? Vielleicht für die Aktionäre!“, kommentiert Leo | |
| Tubbax, aktiv beim Anti-Atom-Bündnis „Nucléaire Stop Kernenergie“. In | |
| Zusammenarbeit mit dem Aachener Anti-AKW-Bündnis und der „Milieufront“ aus | |
| dem niederländischen Eijsden haben sie 165.000 Unterschriften gegen einen | |
| Neustart der Meiler Doel 3 und Tihange 2 gesammelt. Nun will man wegen | |
| Gefährdung der Bevölkerung Klage einreichen. | |
| ## Unkritisches Verhältnis zur Atomkraft | |
| Im Fall einer Katastrophe, so Tubbax, müssten in einem 75-Kilometer-Radius | |
| um Tihange fünf Millionen Menschen evakuiert werden, etwa in Liège, Aachen, | |
| Maastricht, Charleroi und Namur. In Doel bei Antwerpen gehe es um neun | |
| Millionen Menschen, die durch die Lage Antwerpens an der Schelde und deren | |
| Untertunnelung zudem nicht rechtzeitig in Sicherheit gebracht werden | |
| könnten. | |
| Trotzdem pflegt man in Belgien ein bemerkenswert unkritisches Verhältnis zu | |
| seinen Atommeilern, zumal diese insgesamt 4.200 Arbeitsplätze bieten. Das | |
| Städtchen Huy etwa, keine fünf Kilometer Luftlinie von Tihange entfernt, | |
| hebt sich nicht zuletzt durch die Steuereinnahmen von Electrabel optisch | |
| von den umliegenden wallonischen Schwerindustriebrachen ab. | |
| In Doel indes hat man eine ganz besondere Beziehung zum dortigen AKW: Seit | |
| Jahrzehnten ist das Dorf an der Schelde durch Ausweitungspläne des | |
| Antwerpener Hafens vom Abriss bedroht. Die Sicherheitszone um den Meiler, | |
| die industrielle Aktivitäten verbietet, ist nicht ganz unschuldig daran, | |
| dass Doel überhaupt noch existiert. Vor diesem Hintergrund wirken die | |
| Kühltürme, die sich am Scheldedeich über das Dorf erheben, wie | |
| Schutzpatrone. | |
| „Oft fragen die Menschen: Was ist denn letzte Woche schon passiert, oder | |
| vorletzte?“, so die Bilanz des Aktivisten Leo Tubbax nach Dutzenden | |
| Flugblattaktionen. Eine nur vermeintlich rhetorische Frage, wie just der | |
| Brand am Wochenende zeigt. | |
| ## Endlager gesucht | |
| Die Anti-Atom-Bewegung im Dreiländereck ist über den Neustart der beiden | |
| Krisenreaktoren ebenso besorgt wie Greenpeace Belgium. Nicht nur die | |
| Entstehung und Entwicklung der Risse müssten im Fall von Doel 3 und Tihange | |
| 2 untersucht werden. | |
| Bemängelt wird auch, dass in Belgien eine langfristige Lösung für Atommüll | |
| fehlt. Electrabel-Sprecherin Anne-Sophie Hugé gibt an, an beiden Standorten | |
| werde der Abfall auf dem Gelände gelagert. Nach einem Endlager sucht man in | |
| Belgien noch immer. | |
| Jodtabletten wie in der Aachener Grenzregion hat man in Belgien bislang | |
| noch nicht verteilt – weder in der Umgebung von Doel noch von Antwerpen. | |
| Laut Aktivist Leo Tubbax seien Jodvorräte in jeder Apotheke im Umkreis von | |
| 35 Kilometer deponiert. Nur: „Was macht ein Apotheker, wenn wirklich etwas | |
| passiert? Packt er nicht seine Familie ins Auto und fährt weg?“ | |
| 20 Dec 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Tobias Müller | |
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