| # taz.de -- Grenzen für den Klimawandel: Das Zwei-Grad-Ziel | |
| > Für Diplomaten beginnt die nicht beherrschbare globale Erwärmung bei | |
| > einem Temperaturanstieg um zwei Grad Celsius. Woher kommt diese Grenze? | |
| Bild: Zwei Grad Erwärmung lösen einen globalen Meeresspiegelanstieg von mehre… | |
| Was ist die Zwei-Grad-Grenze? | |
| Das Ziel der internationalen Klimapolitik ist die Begrenzung der globalen | |
| Erwärmung auf maximal zwei Grad Celsius über dem vorindustriellen | |
| Temperaturniveau. Dieses Ziel wurde im Jahr 2010 beim Klimagipfel der | |
| Vereinten Nationen in Cancún von praktisch allen Staaten der Erde formal | |
| beschlossen. Da es sich um eine Obergrenze handelt, ziehe ich den Begriff | |
| Zwei-Grad-Grenze dem häufiger gehörten Zwei-Grad-Ziel vor. | |
| Der erste umfassende Bericht, der empfahl, die Erwärmung bei zwei Grad zu | |
| stoppen, und der ein damit verträgliches Budget an Treibhausgasemissionen | |
| berechnete, stammt bereits aus den 1980er-Jahren. Seit 1995 ist die | |
| Zwei-Grad-Grenze das offizielle Klimaziel der deutschen Regierung, seit | |
| 1997 auch der EU. Bislang hat die Welt bereits eine Erwärmung um rund ein | |
| Grad im Vergleich zum vorindustriellen Temperaturniveau erreicht. | |
| Diese Erwärmung ist überwiegend vom Menschen verursacht. Ohne den | |
| menschlichen Einfluss hätte sich der langsame Abkühlungstrend des späten | |
| Holozäns fortgesetzt, der durch Zyklen in der Erdbahn um die Sonne | |
| verursacht wird. In nur einem Jahrhundert haben wir rund fünftausend Jahre | |
| vorangegangener Abkühlung wettgemacht. | |
| Ist diese Grenze wissenschaftlich? | |
| Mancher kritisiert die Zwei-Grad-Grenze als politisch und nicht | |
| wissenschaftlich gesetzt. Das muss aber so sein, denn es handelt sich um | |
| ein normatives Ziel und damit um eine Werteabwägung. | |
| Wissenschaftler können und sollten keine politischen Entscheidungen fällen; | |
| sie können nur die Informationen liefern, die Grundlage einer solchen | |
| Entscheidung sind. Die Risiken einer Erwärmung um zwei Grad oder mehr sind | |
| wissenschaftlich bestens dokumentiert und durchdiskutiert, in der | |
| Fachliteratur, in den Berichten des Weltklimarats IPCC und auf | |
| Fachkongressen. | |
| Die zwei Grad sind Ergebnis einer umfassenden Abwägung, bei der die Risiken | |
| der globalen Erwärmung den Kosten der Emissionsvermeidung gegenübergestellt | |
| wurden. Es ist bemerkenswert, dass fast alle Staaten der Erde – darunter | |
| Saudi-Arabien, China, die Malediven oder Norwegen – hierüber einen Konsens | |
| gefunden haben. Kontrovers war dabei vor allem die Frage, ob nicht 1,5 Grad | |
| die angemessenere Grenze wäre. | |
| Sind zwei Grad Erwärmung „sicher“? | |
| Bereits heute sind die Folgen der globalen Erwärmung für die Menschen – | |
| besonders für die Verletzlichsten, sei es, weil sie arm, krank oder alt | |
| sind – deutlich zu spüren. Messdaten zeigen, dass Hitzewellen, bei denen | |
| neue Monatsrekorde auftreten, heute weltweit etwa fünfmal so oft auftreten, | |
| als dies in einem stabilen Klima der Fall wäre. | |
| Solche Hitzewellen sind keinesfalls harmlos: Der „Jahrhundertsommer“ 2003 | |
| hat selbst im reichen Europa rund 70.000 Todesopfer gefordert. Auch | |
| Extremniederschläge, Dürren und besonders starke Tropenstürme häufen sich | |
| und bringen Leid. Bei zwei Grad Erwärmung werden sich diese Trends | |
| erheblich verstärken, man sollte nicht den wissenschaftlich unseriösen, | |
| professionellen Verharmlosern auf den Leim gehen. | |
| Bei zwei Grad Erwärmung wird der Mensch einen globalen Meeresspiegelanstieg | |
| von mehreren Metern ausgelöst haben, der sich nicht mehr aufhalten lässt | |
| und in kommenden Jahrhunderten Küstenstädte und ganze Inselstaaten | |
| verschlingen wird. Schon jetzt gilt es als höchst wahrscheinlich, dass der | |
| kritische Punkt einer Destabilisierung des Westantarktischen Eisschildes | |
| bereits überschritten wurde und sein weiterer Zerfall damit praktisch | |
| unaufhaltsam ist. | |
| Weitere „Kipppunkte“des Klimasystems könnten selbst bei Einhaltung der | |
| Zwei-Grad-Grenze überschritten werden: für den grönländischen Eispanzer, | |
| für die Korallenriffe der Erde oder die Gebirgsgletscher. Zwei Grad sind | |
| daher keineswegs eine sichere Grenze, sondern ein politischer Kompromiss, | |
| bei dem große Risiken eingegangen werden, die zudem unumkehrbar sind. | |
| Kann die Zwei-Grad-Grenze noch eingehalten werden? | |
| Bei dieser Frage werden oft die physikalischen, technischen, | |
| wirtschaftlichen und politischen Dimensionen vermischt. Physikalisch ist | |
| die Antwort Ja – die weitere Erwärmung lässt sich höchstwahrscheinlich | |
| rechtzeitig stoppen. Technologisch haben wir bereits die wichtigsten | |
| Alternativen – vor allem die erneuerbaren Energien und wesentlich bessere | |
| Effizienz, wir müssen sie lediglich großskalig umsetzen. | |
| Ein formaler Prozess des Expertendialogs der Vereinten Nationen zur | |
| Vorbereitung des Pariser Klimagipfels in diesem Jahr kam zu dem Schluss, | |
| dass sogar eine Begrenzung der Erwärmung auf 1,5 Grad nicht nur | |
| empfehlenswert, sondern auch noch machbar wäre. | |
| Der Knackpunkt ist der politische Wille, der dazu nötig wäre. Die Folgerung | |
| daraus kann nicht lauten, sich lamentierend dem Defätismus zu ergeben und | |
| zu klagen, wir werden es ohnehin nicht schaffen, wie das einige | |
| Medienkommentatoren inzwischen tun. Das ist erbärmlich, und dazu steht zu | |
| viel auf dem Spiel. | |
| Was kostet die Begrenzung auf zwei Grad? | |
| Es mag manchen erstaunen, wie billig die Begrenzung der Erwärmung auf zwei | |
| Grad laut zahlreicher ökonomischer Analysen verschiedenster Institute wäre. | |
| Innerhalb von rund fünfzig Jahren müssten die globalen Emissionen auf null | |
| heruntergefahren werden – fünfzig Jahre für einen Strukturwandel weg von | |
| fossilen Energiequellen. Die mittleren Wachstumsverluste durch dieses | |
| Umbauprogramm liegen bei 0,06 Prozent des globalen Sozialprodukts. | |
| Konkret bedeutet dies zum Beispiel statt eines mittleren | |
| Wirtschaftswachstums von weltweit 2,30 Prozent jährlich nur 2,24 Prozent | |
| jährlich. Das achtfache Wohlstandsniveau, das wir – wächst die Wirtschaft | |
| weiter wie bisher – im Jahre 2100 erwarten können, wäre damit nur zwei | |
| Jahre später erreicht. Und selbst wenn es dreimal so teuer werden würde: | |
| Billiger als die Klimaschäden, die ansonsten zu erwarten wären, wird es | |
| sicherlich. | |
| Die Investitionen für diesen Strukturwandel belaufen sich laut „Global | |
| Energy Assessment“ – der bislang umfassendsten Studie zur weltweiten | |
| Energieversorgung, an der über fünfhundert Experten mitgearbeitet haben – | |
| auf rund fünfhundert bis tausend Milliarden US-Dollar pro Jahr. Das | |
| entspricht einer Erhöhung der derzeitigen Energieinvestitionen um fünfzig | |
| bis hundert Prozent. Zum Vergleich: Fünfhundert Milliarden US-Dollar | |
| verschwendet die Energiewirtschaft derzeit jährlich auf der Suche nach | |
| neuen fossilen Ressourcen, die ohnehin im Boden bleiben müssen, wenn man | |
| den Klimaschutz ernst nimmt. | |
| Und nach einer Studie des Internationalen Währungsfonds aus diesem Jahr | |
| geben Regierungen sogar etwa das Zehnfache, nämlich fünf Billionen | |
| US-Dollar, zur Subventionierung fossiler Energien aus. Die Transformation | |
| zu einem nachhaltigen, klimaverträglichen Energiesystem wird also nicht an | |
| Geldmangel scheitern. Wie der Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman | |
| letztes Jahr in der New York Times formuliert hat: „Den Planeten zu retten | |
| wäre billig, womöglich sogar gratis.“ | |
| 23 Nov 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Stefan Rahmstorf | |
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