| # taz.de -- US-Bürgerrechtsanwalt über Ehe für alle: „Die Ehe ist ein Inkl… | |
| > Er ist der Kopf der „Freedom to marry“-Bewegung in den USA. Der Supreme | |
| > Court gab den Forderungen nach. Evan Wolfson über Privilegien, Liebe und | |
| > Aktivismus. | |
| Bild: Ein Selfie nach dem Urteil: drei Supporter am 26. Juni 2015 vor dem Supre… | |
| taz: Herr Wolfson, Sie waren als Bürgerrechtsanwalt am stärksten am | |
| [1][Urteil des Supreme Court in Washington] beteiligt, nach dem die Ehe nun | |
| auch gleichgeschlechtlichen Paaren offensteht. Feiern Sie immer noch? | |
| Evan Wolfson: Ich schwimme seit Juni auf einem Ozean der Freude. Es gibt | |
| viele Leute, die hart arbeiten und alles richtig machen, aber dann ist die | |
| Zeit noch nicht reif und sie bekommen den Erfolg nie zu sehen. Ich empfinde | |
| es als großes Glück, dass ich diesen Sieg miterleben darf. | |
| Die jubelnde Menge – sind das lediglich Schwule, Lesben und Transsexuelle? | |
| Natürlich habe ich viele glückliche Homosexuelle im Land gesehen. Für viele | |
| Menschen fühlt es sich zum ersten Mal so an, als ob wir vollwertige | |
| Mitbürger sind. Wir sind Teil der Gemeinschaft. Aber es sind nicht nur | |
| Schwule und Lesben, die feiern. Es ist ein Sieg für das ganze Land. Für | |
| alle, die sich um die Menschenrechte kümmern. | |
| Warum war dieser Kampf so wichtig für sie? | |
| Ich habe 1983 meine juristische Dissertation darüber geschrieben, warum | |
| Schwule die Freiheit zu heiraten haben sollten. | |
| Ja, warum? | |
| Das Recht auf die Ehe bedeutet einen Zugang zu einer riesigen Reihe | |
| greifbarer wie nichtgreifbarer Bedeutungen, Begünstigungen und | |
| Verpflichtungen. Es ist ein Inklusionsmotor. Die Ehe ist diese sinnliche | |
| Institution nicht nur in unserer Gesellschaft, sie trägt einen besonderen | |
| Rang. Sie vorenthalten zu bekommen, bedeutet, etwas sehr Wichtiges | |
| vorenthalten zu bekommen. | |
| Manche Schwule und Lesben sagen, die Ehe ist nicht nötig, für niemanden, | |
| vor allem nicht für Homosexuelle. | |
| Ich würde aber sagen: Indem wir für die Freiheit zu heiraten kämpfen, | |
| fordern wir auch einen Wortschatz der Liebe und der Hingabe, der Beziehung | |
| und der Inklusion ein. Und dies könnte zum Umwandlungsmotor werden. Es | |
| könnte nichthomosexuellen Menschen dabei helfen, Schwule und Lesben besser | |
| zu verstehen. Die Ehe ist nicht der einzige, aber der herausragende | |
| Ausdruck für Liebe. Indem wir also die Ehe für uns einfordern, zielen wir | |
| auf das Herz des eigentlichen Grunds dafür, warum wir diskriminiert werden. | |
| Die New Yorker Historikerin Dagmar Herzog sagte uns neulich, die | |
| Homosexuellenbewegung habe in gewisser Weise auf das Sprechen über Sex von | |
| Lesben und Schwulen in den heterosexuellen Mainstream hinein verzichtet – | |
| um sich auf die Ehe zu konzentrieren. Ist das nicht ein Verrat? | |
| Nein. Ich glaube, hier wird ein falsches Dilemma beschrieben. Historisch | |
| ist es so: Schon kurz nach den berühmten Unruhen im „Stonewall“ von New | |
| York 1969, drei Jahre danach also, versuchten erste Paare als Schwule oder | |
| Lesben zu heiraten. Der „Freedom to marry“-Fokus ist nicht erst in jüngerer | |
| Zeit öffentlich geworden. Der oberste Gerichtshof entschied aber nach | |
| vielen Instanzen 1972, diese Freiheit abzulehnen. Die Zeit war noch nicht | |
| reif. | |
| Michael Warner schrieb schon in den Neunzigern über die Hierarchie von | |
| respektablen Schwulen und nichtrespektablen Schwulen, die mit der „Freedom | |
| to marry“ entstünde. | |
| Ich verstehe die Kritik. Ich stimme ihr nur nicht zu. Die Debatte ist eine | |
| akademische. Die deutliche Mehrheit von Homosexuellen wollte schon immer | |
| das Recht auf die Ehe. Ihnen ist nur gesagt worden, dass sie es nicht haben | |
| können. Einige Aktivisten und Akademiker, die die Ehe vielleicht verachten, | |
| waren bereit, der Mehrheit der Lesben und Schwulen ihre Meinung | |
| aufzudrücken. Die Freiheit zur Ehe sollte nicht Michael Warners | |
| Entscheidung sein, auch nicht meine. Es sollte die von jedem Einzelnen | |
| sein. | |
| Kurze Zeit nach der Rebellion von New York, der Geburt der modernen | |
| Homosexuellenbewegung 1969: Muteten da die Debatten um das Heiratsrecht von | |
| Homosexuellen in der Community nicht bizarr an? | |
| Das weiß ich nicht sicher, weil es damals noch keine Meinungsumfragen gab. | |
| Wir waren auch nicht so sichtbar wie heute – und entsprechende Diskussionen | |
| waren nicht im Spiel. Wenn man sich frühe Filmaufnahmen unserer Bewegung | |
| anschaut, sieht man jedoch die Pioniere der „Freedom to marry“-Aktivitäten. | |
| Etwa: Auf dem Wagen einer Gay-Pride-Parade sitzt ein Paar, das auf einem | |
| Schild das Recht auf die Ehe fordert. | |
| Okay, alles eine Frage, wer Geschichte schreibt. Meist sind und waren das | |
| ja AkademikerInnen ohne Bewusstsein für das politisch Naheliegende. | |
| Ende der Neunziger waren es erst 27 Prozent, die glaubten, die Ehe werde es | |
| für Homosexuelle geben, am Ende waren es mehr als zwei Drittel, die | |
| offenbar dieses Recht erwarteten und befürworten. | |
| Sie sagten vor einiger Zeit, man muss neue Horizonte entdecken, um neue | |
| Ideen zu haben. Was meinten Sie damit konkret? | |
| Während der vielen Jahre, als ich nicht nur als Rechtsanwalt arbeitete, | |
| sondern bei Aufklärung und politischen Aktionen mitgemacht habe, trug ich | |
| einen Zettel in meinem Geldbeutel mit mir herum. Darauf stand etwas von | |
| einer Frau, die im 19. Jahrhundert das Wort Feminismus geprägt hat – sie | |
| war eine der Führerinnen der Sufragettenbewegung. Ihr Name war Hubertine | |
| Auclert. Sie kämpfte für das Wahlrecht für Frauen. Sie schrieb: Wenn man | |
| ein Recht erhalten möchte, muss man es erst ausrufen. Man muss sagen: Wir | |
| schaffen das! | |
| Der Spruch des obersten Gerichshofs gab Ihnen recht. | |
| Was ich sagen will, ist: Als wir uns trauten, die „Freedom to marry“ zu | |
| denken, war eine Vision geboren. Ein Traum. Der hat uns den Weg nach vorn | |
| gewiesen. Es war ein harter Weg – aber kein Kampf und keine Ehe ohne | |
| Gefecht (im Original: engagement). Und nebenbei: Beim Kampf für das | |
| Frauenwahlrecht gab es viele, auch weibliche Stimmen, die davon sprachen, | |
| Frauen wollten gar nicht wählen. | |
| Abermals: Einige Leute hier in Deutschland und in den USA sagen: Schwule | |
| repräsentieren eine neue sexuelle Welt – wozu da so eine bürgerliche Ehe? | |
| Wir forderten nicht die gleichgeschlechtliche Ehe, sondern die Ehe. Nicht | |
| mehr, nicht weniger. Wer keine Ehe will, muss sie ja nicht wollen. Einerlei | |
| ob Heteros oder Homos. Im Übrigen: Viele der Akademiker und der Aktivisten | |
| gegen unsere Arbeit an der „Freedom to marry“ sind inzwischen verheiratet. | |
| Der deutsche Sexualwissenschaftler Martin Dannecker sagt, die Begriffe | |
| „mein Mann“ oder „meine Frau“ seien heteronormativ vergiftet. | |
| Auch hier gilt: Jeder hat das Recht auf eigene Ansichten. Ich bin gegen | |
| ideologische Positionen, die so tun, als seien sie das Beste für alle | |
| anderen. | |
| Ist es denn nötig, alle Energie in die „Ehe für alle“ zu stecken? | |
| Wer hat gesagt, wir sollten all unsere Energie für diese rechtliche | |
| Gleichstellung aufwenden? Warum soll man die politischen Projekte | |
| gegeneinander ausspielen? | |
| Aber ist es nicht oft so gewesen? Als die Lesben zur Frauenbewegung | |
| stießen, wurde gesagt: Erst kämpfen wir für die Frauenrechte und dann | |
| kommen wir zu dem, was lesbische Fragen sind. | |
| Nein, die Geschichte hat uns gezeigt, dass es nicht so war. Wir haben mehr | |
| Absicherungen für Trans*menschen erstreiten können – während unserer | |
| Ehekampagne. Es gibt in den USA viel mehr Antidiskriminierungsprogramme, in | |
| vielen US-Bundesstaaten andere Schullehrpläne, mehr Aufklärung über | |
| Programme für schwule und lesbische SeniorInnen. Da ist nichts | |
| gegeneinander ausgespielt worden, aber die Kampagne „Freedom to marry“ hat | |
| alle anderen Projekte erheblich beflügelt. | |
| Farbige Trans*gender-Frauen wollen auch präsent sein, oder? | |
| Diese Anliegen zeigen uns, dass die Arbeit noch nicht getan ist. | |
| In[2][einem Text für die New York Times] nach dem Urteil des Supreme Court | |
| schrieb ich, dass uns ein extrem wichtiger Sieg gelungen ist. Aber dass es | |
| weitergehen muss, steht außer Frage. Es gibt noch so viel zu tun. | |
| Wie haben andere soziale Bewegungen auf den Sieg Ihrer Bewegung reagiert? | |
| Erstaunlich – und naheliegend. Viele gucken uns jetzt an und wollen wissen, | |
| wie wir unseren Erfolg errungen haben. Die Bewegung gegen die Todesstrafe, | |
| gegen Rassismus, für eine bessere Gesellschaft überhaupt. Ich denke vor | |
| allem dies: Man muss an das, was man erreichen will, glauben. | |
| 1 Dec 2015 | |
| ## LINKS | |
| [1] /!5207308/ | |
| [2] http://www.nytimes.com/2015/06/27/opinion/evan-wolfson-whats-next-in-the-fi… | |
| ## AUTOREN | |
| Jan Feddersen | |
| Enrico Ippolito | |
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